Le GGRIL &copy; <a title="http://tourdebras.com" target="_blank" href="http://tourdebras.com/">Sebastien Raboins</a><br />
Le GGRIL © Sebastien Raboins

Viermal kräftiger Armumfang

Tour de Bras und seine hauseigenene Improvisationsschmiede Le GGRIL. Ein Kurzbesuch beim kanadischen Label.

Tour de Bras nennt sich ein kanadisches Label, das sich komplett der improvisierten Musik verschrieben hat, und das darüber hinaus Konzertreihen, Workshops und ein zweijährlich stattfindendes Festival veranstaltet. Gefördert werden soll damit die Impro-Musik in der Region, wobei mit Region hier die Provinz Quebéc gemeint ist, mit 8 Millionen Einwohnern der besiedlungsdichteste Fleck in Kanada. Nicht unbedingt, was wir unter einer »Provinz« verstehen.

vivaces.jpgEines der Lieblingsprojekte des Labels ist Le GGRIL (steht für GRAND GROUPE RÉGIONAL D’IMPROVISATION LIBÉRÉE), ein Live-Impro Ensemble aus einer Kleinstadt im Osten von Quebéc, das auf eine mittlerweile sechsjährigen Spielpraxis in eher schriller Zusammensetzung (etwa zwei Akkordeons, ein elektrischer und ein Kontrabass, Tuba und Fagott, sowie Violinen, Percussions und diverse Bläser) zurückblicken kann. Eine sehr feine Demonstration dieser Konstellation bietet die CD »Vivaces« von 2012, realisiert in 13-köpfiger Besetzung und offensichtlich doch nicht komplett free umgesetzt. Laut Labeleigendefinition handelt es sich aber ohnehin um »musique neuve et d’occasion«, was eigentlich einen sehr schönen Begriff in die Improvisationsmusik einführt, eben den der Okkasion. Bei uns leider viel zu einschlägig als günstige Gelegenheit oder gutes Geschäft besetzt, doch im Französischen ist die »occasion« viel näher am Begriff des Ereignishaften. Musik als Ereignis, für die Ort und Umstände und natürlich auch der Zeitpunkt des Entstehens essentiell sind. Zu diesen Umständen gehört auf »Vivaces« ein strukturiertes Miteinander einzelner Ensembleteile, was zusätzlich für eine angenehme Abwechslung gegenüber der sonst viel zu häufigen Monotonie im Improgenre sorgt. Auch der regionale Einschlag, der vor allem durch die beiden Akkordeons ins Spiel kommt und immer wieder Assoziationen zu einem außer Rand und Band geratenen Chanson-Abend unter Avantgardisten weckt, machen »Vivaces« zu einer charmanten Angelegenheit.

Phasen und Flughäfen
DenleyTransition.jpgZwei Jahre zuvor zeigte ein Teil des Le GGRIL-Ensembles, dass man auch ganz klassisch im Sinne der Improvisationsmusik kann. Auf »Transition de Phase« geben sich die zwei Saxophonisten Jim Denley und Philippe Lauzier gemeinsam mit Pierre-Yves Martel (Violakorpus und Elektronik), Kim Myhr (Akustikgitarre) und Eric Normand (Bass) die Ehre. Die fünf Herren gehen es weitaus introspektiver an und betreiben zugleich das Spiel gegen den instrumentalen Strich, also Ûberblasen, Schnattern, Kratzen, Bürsten usw. – eben alles was man tun kann, um seinem Instrument unerwartete Noises zu entlocken. Auch diese Ûbung ist prächtig gelungen, wenn auch nicht ganz so klangfarbenprächtig wie im großen Ensemble.

beau.jpgAuf »Beau comme un aéroport« treffen wir die Herren Philippe Lauzier und Pierre-Yves Martel wieder. Gemeinsam mit fünf weiteren Herren haben sie offenbar beschlossen, unter dem halbwegs bescheuerten Gruppennamen Mecha fixes clock eine fast schon traumwandlerisch sichere Gratwanderung zwischen Impro und Jazz einzuspielen. Hier stimmt fast alles, hier liebt man fast alles, egal aus welchem Lager man kommt. Natürlich schlägt das Pendel in die eine oder andere Richtung aus, mal spielen Saxophon und Trompete herrlich trockene Phrasen, während die Kompagnons fröhlich dagegen bürsten, dann wieder knackst und noiselt es, bis das Piano unverfroren ein süßlich-minimalistisches Thema einstreut, das aber dann ebenso fröhlich wieder zerhäckselt wird. Und mitunter kommt sogar noch ein Beat dazu und man vertschüsst sich zeitweilig ins Sphärische. Sehr fein ist diese CD geworden, ein Leckerbissen für Quereinsteiger ebenso wie Genrefans. Auch toll: die außerordentlich hübsch gestaltete CD-Hülle.

Vinylporno
le_GGRIL_Combinesx.jpgApropos besonders hübsch. Wir kehren zurück zum aktuellen Release von »Tour de Bras«, der unter dem Titel »Combines!« wieder das komplette Ensemble von Le GGRIL vereint. Nur dieses Mal auf Platte – und zwar auf knallrotem Vinyl, das in einer durchsichtigen Hülle, die natürlich mehr zeigt als versteckt. Ein Vinylporno, wenn man so will – und entsprechend geil anzusehen. »Combines!« wirkt streckenweise wie die Quintessenz aller bisher besprochenen CDs. Das strukturierte Ensemblespiel ist wieder da (ein Stück funktioniert als Improvisationsspiel, ein anderes ist für zwei Dirigenten ausgelegt), die disziplinierte Zurückhaltung, die in fast jazzige Reminiszenz gleitet (irgendwo zwischen spätem Gil Evans und frühem Cecil Taylor, aber wie gesagt nur fast), und natürlich das franko-kanadische Lokalkolorit. Alles zusammen ergibt eine hübsch spannungsgeladene, immer wieder fordernde, aber auch belohnende Ensembleimprovisation, die wirklich wärmstens empfohlen werden kann.

Ach ja, »Tour des Bras« heißt übersetzt »Armumfang«, kann aber auch »Was das Zeug hält« heißen, je nach dem. Wer danach googelt, findet jedenfalls vor allem tätowierte Oberarme von einschlägigen Muskelpaketen.

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