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Venetian Snares x Daniel Lanois

»Venetian Snares x Daniel Lanois«

Timesig/Planet Mu

Für einen absichernden Blick nach hinten ist im endlosen Strom des Moments keine Zeit. Was wirklich zählt, ist die ständige Ausrichtung der eigenen Fähigkeiten und die Prüfung der eigenen Wahrnehmung. Manche würden von einer Form des Anpassens sprechen, doch auch dafür fehlt die Muße. Anpassung ist Antizipation und der stoische Blick nach vorne, ohne dabei wirklich zu wissen, wo vorne ist. So oder so ähnlich tickt Aaron Funk, der als Venetian Snares mit seiner Musik seit über zwei Jahrzehnten den aberwitzigsten und gleichzeitig unvorhersehbarsten Taktstrukturen unter der beständigen Verschiebung des Zeitgefühls verfallen ist. Dagegen ist sein neuester Sparringpartner ein stocksteifer Traditionalist. Denn Daniel Lanois gelang weniger wegen seines vertrackten Zeitverständnisses zu größerer Bekanntheit, als vielmehr durch sein Schaffen als stilprägender Produzent im Geschäft der ganz Großen. Nebenbei verfolgt er – mehr aus gutem Willen und der Liebe zur Musik – ein virtuoses Gezupfe an der Pedal-Steel-Gitarre, deren von amerikanischem Folk angehauchte Erzeugnisse er durch ausgedehnte Hallstrukturen schleift und damit Formen der mittleren Entschleunigungen entstehen lässt. Auf den ersten Blick mögen die beiden also wenig bis gar nichts miteinander zu tun haben. Und auch der zweite Blick vergewissert nicht viel mehr als die gegenseitige Anerkennung des jeweiligen Werkes. Einerseits sind da die erratischen und zur überschäumenden Hyperventilation getriebenen Rhythmen von Funk und andererseits eben jener vernebelt-leiernde Americana-Ambient von Lanois. Maximales Chaos und der unbändige Gedanke der Akzeleration treffen folglich auf zurückhaltende Ausdehnung von staubiger Südstaaten-Musik.

Genügend Gegensätze ziehen offensichtlich aber doch irgendwann an. Die gemeinsame Liebelei mündete in einem Album, das in Toronto in einem zum Studio umgebauten buddhistischen Tempel aufgenommen wurde. Wer angesichts dieser Voraussetzungen auf asketische Enthaltsamkeit hofft, dürfte allerdings bitterböse enttäuscht werden. Schwurbelndes Bliepen und wild durcheinander gestreutes Sampling im scheinbar ewig andauernden Getöse aus jenem Drill’n’Bass, mit dem auch schon Aphex Twin vor 20 Jahren seine Stücke aufbaute, lassen bekanntlich wenig Platz für stilbrechende Kompromisse. Dabei ist es nicht die augenscheinliche Ziellosigkeit der Stücke, die ja in Anbetracht der absoluten Akkumulation des Moments noch zu verzeihen wäre. Es sind eher die wenig spannungsgeladenen, mehrheitlich vor sich hin plätschernden Arrangements, die hier so stören. Ein Stück beginnt behaglich, die Beats dreschen ein paar Minuten auf einen ein und irgendwann endet die Chose, ohne Spuren zu hinterlassen. Dabei würde das auch durchaus anders funktionieren. »HpShk5050 P127« setzt interessante Kontrapunkte zwischen sphärischem Gitarrenspiel und rasendem Samplegewitter. Und auch »Bernard Revisit P81« sticht in Aufbau und Struktur heraus. Die Gegensätzlichkeiten sind dort nicht plump übereinandergelegt, sondern ergänzen sich, geben sich Raum zur gegenseitigen und gemeinsamen Entfaltung. Über die Dauer einer guten halben Stunde sind solche Momente aber viel zu selten. Oft suggeriert dann der Einsatz von Hall Tiefe, wo keine Tiefe zu finden ist. Man tritt hektisch auf der Stelle, stets darauf bedacht, sich nicht zu weit voneinander zu entfernen, aber eben doch nie zueinander zu finden. Vielleicht ist das die ewig andauernde Weiterführung des Moments, vielleicht aber auch einfach nur die fehlende Entwicklung von Aaron Funk.

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