The Shadow of Your Smile

Wie Brian Wilson den Beatles doch noch ihre Englischhörner verbiegt

Zur Veröffentlichung der Komplettneueinspielung von »Smile«, dem bisherigen »most famous pop-music album never released«.

»We are not aiming much for the music; it’s the psychological structure of someone like the Beach Boys.« (Kraftwerk 1975 in einem Interview über das Konzept zu »Autobahn« zu Lester Bangs)

LSD on the beach & music in the head

»S.M.I.2L.E.: Auswanderung ins All (Space Migration) plus erhöhte Intelligenz (Intelligence2) plus Lebensverlängerung (Life Extension)« (Dr. Timothy Leary 1975, zitiert nach Robert Anton Wilson: »Cosmic Trigger«, 1977).
Im Dezember 1965 hört Brian Wilson »Rubber Soul«, das brandneue Werk der Beatles – für ihn ein Quell der Inspiration, aber auch der Herausforderung. Also versucht er, es den Beatles mit »Pet Sounds« zu zeigen. Die bringen ihrerseits 1966 das von Motown wie Timothy Leary gleicherma&szligen beeinflusste »Avantgarde«-Album »Revolver« heraus und hören sich ansonsten »Pet Sounds« sehr genau an. Was sich unüberhörbar auf »Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band« (1967) niederschlägt. Aber was ist mit Wilsons Antwort auf die 1965er/1966er-Elaborate der Beatles? Besser gefragt: Wo sind sie? Und damit beginnen schon die Probleme.

Die »Ton-Poeme« und »Pseudosymphonien« (Nik Cohn) von »Beatle Brian Dylan« (Karl Bruckmaier) werden immer mehr zu echter »Head Music«, die nur noch in Wilsons Kopf (und eventuell in dem von Textlieferant Van Dyke Parks) zu hören sind. Doch während der ehemalige Disney-Komponist Parks Solo mit »Song Cycle« (1968) am ehesten der »Smile«-Vision einer mehrstündigen Pop-Oper/Operette nahe kommt (wenn auch in abgespeckter Form) und damit auch gleich als der »bedeutsamsten Konzeption amerikanischer Musik seit George Gershwin« (Richard Goldstein) überführt wird (den Gershwin-Vergleich hatte das »Smile«-Projekt von Anfang an im Auge), versinkt Wilson in seinem verdunkelten Komponierzimmer immer mehr in jenem riesigen Haufen aus Sand und LSD, den er glaubt zur Inspiration zu brauchen. Den Sand für die Dekonstruktion des kalifornischen Beach-Feeling und die Drogen für alles andere. Was bei Wilson selbst 2004 noch irgendwie klasse klingt: »Drogen inspirieren beim Schreiben von Melodien und noch mehr beim Schreiben von Texten.« Jedoch gilt es rigorose Einschränkungen zu beachten: »Keine Drogen für die jüngere Generation, ganz egal zu welchem Zweck.«

Vielleicht sind Drogen als Erklärungsmuster zu einfach, denn immerhin sind die surrealen, scheinbar unlogischen Elemente bei den Abenteuern, die sich der Logiker und Mathematiker Lewis Carroll für seine Alice im Wunderland und hinter den Spiegeln ausgedacht hat, umso spannender, je weniger sie mit psychedelischem Hirn-Feng-Shui von ihren quantenphysikalischen Effekten entfernt werden. Schon 1969 schrieb Nik Cohn in seiner Pop History: »Seine andere (Wilsons, Anm.) Schwierigkeit bestand darin, dass er sich, wie alle talentierten und intelligenten Pop-Schreiber, in einer ganz und gar faulen Position stecken sah. Verständlicherweise wollen die Autoren alle Fortschritte machen und sich weiterentwickeln. Aber ihr schwieriges Publikum, die Leute, die schlie&szliglich ihre Platten kauften, die sind vielleicht sechzehn Jahre alt und auf gar keinen Fall auf Experimente aus. (…) Und da ist die Klemme: die Autoren dürfen nicht nach vorn gehen, wollen nicht auf der Stelle stehen bleiben, können nicht zurück. Sie sind von allen Seiten eingeschränkt. Ihr gro&szliger Fehler ist nur, dass sie zu intelligent sind.«

Zuviel Intelligenz in Wilsons Kopf befürchtete wohl auch das Beach-Boys-Label Capitol Records (auf dem pikanterweise als US-Lizenzprodukt ausgerechnet Wilsons-Ultrakonkurrenz The Beatles unter Vertrag waren) und brachte nach dem 1966er USA-Flop von »Pet Sounds« (die LP war ironischerweise nur in England ein Hit) sicherheitshalber und sozusagen zur Vorabfederung des zuerst »Dumb Angel« betitelten »Smile«-Fiaskos gleich zwei »Greatest Hits«-LPs der Beach Boys auf den Markt. In der Zwischenzeit hatten Wilson und Van Dyke Parks in sechsmonatiger Kleinstarbeit immerhin »Good Vibrations« zusammengebastelt (inklusive psychedelisierendem Theremin-Geheule). Damit schafften die Beach Boys zwar ihren ersten Millionenseller, aber für »Smile« bedeutete es – nicht zuletzt, weil Capitol endlich Resultate hören wollte und der Rest der Beach Boys auch schon zu maulen anfing – das Ende. Wilson nannte das Ganze kurzerhand einen »Workshop«, verteilte unbefriedigende »Smile«-Bruchstücke auf späteren Beach-Boys-Platten und begründete damit den Mythos um »das beste Psychedelic Pop-Album der Welt« (»Musik Express«). Welcome To Nerd-Heaven!

Pacific Exotica & Easy Listening

»The Smile songs traced surfing’s evolution from pagan simplicity and physicality through to a remote, introverted beatnik mysticism.« (David Toop)
Was Toop hier »pagan simplicity« nennt, ist nichts anderes als Exotica – ein Genre, das Capitol Records durch Acts wie Les Baxter, Martin Denny, Arthur Lyman, Yma Sumac, Walter Wanderley, Sergio Mendes, Dean Martin, Sam Butera und Perez Prado ma&szliggeblich mitgestaltet hatte. Was Brian Wilson sicher nicht unbekannt war. Nicht nur veröffentlicht sein Vater – Murry Wilson – dort als » frustrated easy-listening composer« (Toop) 1967 den Flop »The Many Moods of Murry Wilson«. Brian selber, schon immer sozusagen eher Fan der Experimente der »Väter« (Speedy West, Burt Bacharach, Dick Dale und vor allem Phil Spector), denn ein Progressive-Rocker, erlernt das Arrangeurhandwerk auch noch bei Nelson Riddel, dessen Capitol-Zusammenarbeiten mit Frank Sinatra bis 1962 – u. a. »In The Wee Small Hour« (1954) und »Only The Lonely« (1958) – den Terminus »Konzeptalbum« prägen sollten. Solcherart geschult schreibt Wilson abseits der Beach Boys einige Songs für die Roger-Corman-Teensploitation-Produktion »Muscle Beach Party«, die von niemand geringerem als dem Stravinsky-Fan und von Sun Ra hoch verehrten Exotica-King Les Baxter arrangiert und für den Soundtrack eingespielt werden. Baxter hatte schon 1947 zusammen mit dem damals für seinen Soundbeitrag zum von Hitchcocks »Spellbound« (1945) bekannten Theremin-Spieler Dr. Samuel J. Hoffman (er ist in den 1950s auch für die Alien-Sounds bei Sci-Fi-Filmen wie »The Thing« und »It Came From Outer Space« zuständig) die »Incredibly Strange Music«-LP »Music Out of the Moon« veröffentlicht, deren Vocal-Spuren und Gesangs-Arrangements schon wie Vorwegnahmen von Wilsons »Smile«-Vocals klingen (auch Wilsons Vorliebe für verhallte und durch Echos gejagte Drum-Wirbel kommen aus dieser Ecke). Die wiederum erinnern – retroaktiv als vom eigentlichen Song isolierte Samples gedacht – nicht nur an Brian Eno, Minimal Music, Kraftwerk (siehe Eingangszitat respektive spätestens seit »Radioaktivität«) oder – logisch – Psychic TV, sondern erscheinen plötzlich auch als Art fehlende Bindeglieder zwischen Alices Wunderland und dem Lande Oz im Werk der Melvins (allein Wilsons »Mrs. O’Leary’s Cow« würde auch super zu den Melvins der »Houdini«/»Stag«-Phase passen). Immerhin reicht in der Link-Abteilung von www.lesbaxter.com ein Mouseclick, um zu Alternative Tentacles und dort zur neuen CD der Jelvins, also Jello Biafra & The Melvins‘ »Never Breathe What You Can’t See« zu gelangen. Wenigstens hat Brian die Sachen mit Charles Manson seinem Bruder überlassen. Jedenfalls dürfte Strandjunge Bruce Johnston schon damals den Braten in etwa gerochen haben, als er Wilsons Arbeit einmal als gefährlich nahe an »Doris Day on Surfboards« bezeichnete (Doris Days Sohn, in Hollywoods Musikindustrie tätig, war bekanntlich der Besitzer jenes Hauses in dem Sharon Tate von der Manson Family ermordet wurde). Nur, die Idee war ja, es den Beatles mit etwas genuin amerikanischem (inklusive Rückgriffe von der Tin Pan Alley-Vaudeville Musichall bis hin zur US-Operetten-Sprache des 1879 in Prag geborenen »Indian Love Call«-Komponisten Rudolph Friml) zu zeigen. Und da braucht es keine Rückgriffe auf feudale Euro-Klassik, da reicht es den sowieso transatlantisch verwuselten Pop-Kanälen von pazifischer Americana-Exotica zu folgen.
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Brian Wilson: »Smile«
(Nonesuch/Warner 2004)

»Music Out Of The Moon« wurde zusammen mit der 1948er Hoffmann/Baxter-Kooperation »Perfume Set To Music« und dem Hoffmann/Billy May-Album »Music For Peace Of Mind« als »Waves In The Ether. The Magical World of the Theremin« via Revola Records 2004 wiederveröffentlicht).

Surf-Tipp zu Themen wie Zen & »SMiLE«, Zen & »Pet Sounds«, Zen & »Revolver«:
http://pages.cthome.net/tobelman/index.htm

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