New York Dolls 1973 © AVRO, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0 NL
New York Dolls 1973 © AVRO, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0 NL

The Positive Power of Fake

Das selbstbetitelte Debüt der New York Dolls erschien am 27. Juli 1973 auf Mercury Records/Universal. Ein Rückblick auf einen Meilenstein der ROCK-Geschichte anlässlich des 50-jährigen Jubliläums.

Als vor 50 Jahren das Debüt der New York Dolls erschien, wurde dies eher als Witz rezipiert, den sich ein paar verhaltensauffällige, geschminkte sowie in Lederjacken und Frauenkleidern verpackte New Yorker Nichtsnutze ausgedacht haben. Aber es sollte (später) anders kommen. Was haben die nur angerichtet? Kiss, Mötley Crüe, Poison, Cinderella, Guns N’ Roses oder die 2017 beim ESC erfolgreichen Måneskin sind nur eine Handvoll Bands von vielen, die es ohne die New York Dolls wohl nie gegeben hätte – und die ohne die Dolls vielleicht auch nur halb so viel Spaß machen würden, weil die Dolls dann doch für einen flamboyant-anarchistischen Mehrwert stehen, der bei den zuvor Genannten zwar nicht unbedingt gleich zu finden ist, auf den sie jedoch selber immer wieder verwiesen, auch wenn sie dabei nicht immer wissen, was sie da eigentlich tun.

Spiders From The Bronx

Optisch sahen die New York Dolls aus, als wären sie aus einem Warhol-Film (oder aus dem Factory-Umfeld) in das Universum von John Waters gestolpert. Oder als wäre Ziggy Stardust auf dem Weg zu den Diamond Dogs mit der queeren, aus San Francisco stammenden Hippiekommune The Cockettes (der u. a. auch Sylvester angehört hat und die sich nicht umsonst auch fabelhaft mit Divine und John Waters verstanden haben) zusammengestoßen, wo dann einiges falsch, anderes aber auch richtig verstanden worden ist. Einfacher gesagt: Vielleicht waren die Dolls einfach »nur« die New Yorker Version von Bowies »Spiders From Mars«: Spiders From The Bronx.

Bevor die Dolls auch jenseits von In-Crowd-Kreisen in den Prä-Punk-Pantheon aufgenommen wurden, waren sie jedoch vor allem als Lachnummer bekannt und wurden auch so rezipiert. Am beliebtesten waren dabei das Etikett als Fake (im Gegensatz zu »richtigem« Rock) sowie die ewigen Verweise auf die Dolls als billige Rolling-Stones-Klone und schlechte Musiker. Noch dazu in Fummel und Schminke, wobei sie ohne diese Zutaten wohl sowieso nie so bekannt geworden wären. Rückblickend kann dazu gesagt werden: Ja, die Dolls standen spieltechnisch für ein absolutes »Everybody can do it!«, für ein enthusiastisches Fantum, dem ein ebensolches Stardom folgen sollte, komme, was da wolle.

Rock’n’Roll als Patchwork

So soll bei den Aufnahmen zur Debüt-LP Producer Todd Rundgren speziell Drummer Jerry Nolan öfters in die Sticks gegriffen haben (was zum Glück nicht wirklich Früchte trug). Dazu wurden die Riffs mit einer gewissen aggressiven Schlampigkeit/Wurstigkeit heruntergedroschen. Die darin zur Sprache kommenden Leidenschaften zeigten dabei vor allem den Stones der »Exile on Main Street«-Phase den Stinkefinger des flamboyanten Gossenglamours des New Yorker Undergrounds. 

The Positive Power of Fake (aka das Erkennen von Rock/Rock’n’Roll als Patchwork aus Klischees, Stereotypen und Hollywood-Fantasien), von Posen (Üben vor dem Spiegel) und das Verkleiden/Kostümieren zogen sich bei den Dolls aber auch durch die Musik. Die war im Grunde aus einem Scherbenhaufen und einer Müllhalde zwischen Rhythm & Blues, Phil Spector, Girl Groups (was sie mit den Beatles und den Velvet Underground verband und deutlich von den Rolling Stones unterschied) sowie klassischem Rock’n’Roll zusammengeklaubt.

Daraus machten die Dolls eine Art Vaudeville-Rock’n’Roll-Revue, bei der alles in- und miteinander verschwamm. Dies geschah weniger aus Taktik, sondern weil die Dolls eine Band von Fans für Fans waren. Sie operierten quasi mit einem nie niedergeschriebenen American Rock’n’Roll Songbook und setzten dem eine campe Krone auf (nicht umsonst sehen wir auf dem Back-Cover der zweiten, prophetisch »Too Much Too Soon« benannten LP das Gesicht von Marilyn Monroe auf der Rückseite einer gut platzierten Lederjacke). Deshalb hat es auch etwas gedauert, bis sich hier ähnliche Effekte wie bei den Velvet Underground oder den Stooges (oder dem MC5) eingestellt haben.

Second Hand Pirates

Meine Erstbegegnung mit dem Dolls Ende der 1970s/Anfang der 1980s war auch eher das Ergebnis akribischer Fußnotenlektüren. Erstanden wurde die LP dann in einem Second-Hand-Laden, wo sie aus einer der dortigen Ramschkisten herausgefischt wurde, was für eine Platte, deren zweite Seite gleich mal mit einem Song namens »Trash« losgeht, schon mal ein guter Anfang war. Auch lagen Songs wie »Personality Crisis«, »Looking for a Kiss« (inkl. Shangri-Las-Zitat am Anfang) oder »Lonely Planet Boy« voll im Trend des damaligen persönlich-emotionalen Twilight-Haushaltes zwischen The Last Days Of Teenage und The Dawn Of Adolescence. Zudem wurde mit »Frankenstein (Orig.)« zusätzlich Sex mit einem Hollywood-Monster propagiert. 

Alles aber nichts gegen »Jet Boy«, wo Johnny Thunders (der hier u. a. auch das Piraten-Outfit für kommende Rock’n’Roll-Generationen salonfähig gemacht hat) plötzlich mit einem Riff loslegt, auf das selbst The Stooges stolz gewesen wären. Es sind speziell diese verbeulten Riffs, deren Zutaten immer irgendwie sehr bekannt wirken, die jedoch im Gegensatz etwa zu Bowie, T. Rex oder Roxy Music nicht mit so einem konzeptuellen Überbau zusammengeschustert werden. Anders gesagt: Die New York Dolls kultivierten eher den Appeal von nicht aufgeräumten Jugendzimmern, anstatt sich aus diesem Durcheinander einzelne (erfolgversprechende) Sachen rauszupicken. Zudem steht bei ihnen die DIY-Attitude derart im Fokus (und wird auch mit aller Leidenschaft betrieben), dass sich eher die Frage stellt, ob sie sich gegen dieses Chaos nicht wehren konnten, oder es vielleicht gar nicht wollten.

Do It Yourself With Love & Passion

Vielleicht ist das ja auch der wirklich essenzielle Unterscheid zu den Rolling Stones und deren »Exile on Main Street« (und all dem, was danach folgen sollte): Während es bei den Stones, trotz aller Schlampigkeitness, immer »amtlich« werden kann, wenn es z. B. um Blues, Rhythm’n’Blues oder Country geht (begünstigt vor allem durch die Mitwirkung diverser Studiocracks, die selten »daneben« spielen), besteht bei den Dolls diese Gefahr per se nicht – eher spielen sie Girl-Group-Riffs als (vage) Erinnerungen bei einem Stille-Post-Spiel und fabrizieren dabei plötzlich etwas, was später mal als wichtige Herkunftslinie eines Phänomens namens »Punk« bezeichnet werden wird. Dabei macht es echt Spaß, hier zuzuhören, wie fast alle Songs am gerade noch Machbaren herumschrammen. Da wechselt das Tempo schon mal in ein und demselben Song öfters, um am Schluss meist nur noch aufs Gaspedal zu drücken. Wobei der quasi »klassische« Dolls-Groove mit seiner stets durchgedrückten Bassdrum auch an Klaus Dingers »Apache Beat« bei Neu! erinnert.

Im Prinzip geht es nie darum, jenseits des spieltechnisch Machbaren anzukommen. Zwar wurde Bands wie den Dolls in zeitgenössischen Pressekritiken immer wieder allen Ernstes empfohlen, lieber weiter im Proberaum zu üben (damit aus ihnen »richtige Musiker« werden würden), glücklicherweise haben sie sich jedoch nicht fürs Üben entschieden, was unter anderem auch bei Nachfolgeprojekten wie Johnny Thunders & The Heartbreakers oder bei von den Dolls inspirierten Bands wie The Dead Boys sehr schön nachzuhören ist. Zwar war 1973 der spätere Sex-Pistols-Manager Malcolm McLaren noch nicht mit dabei, aber auch wenn er als kurzzeitiger Dolls-Manager eher zu ihrem Ende beigetragen hat (Fotos in rotem Latex mit Hammer-und-Sichel-Fahnen und Rock’n’Roll als maoistischer Kulturrevolutions-Karneval waren dann doch entweder keine wirklich ganz so gute Idee oder einfach zu früh dran), so hatte doch die Idee (bzw. der Ansatz) »New York Dolls« später mit den Sex Pistols ein, wie wir wissen, doch erfolgreiches wie folgenschweres Update.

Gekonntes Scheitern

Nachdem ich dann auch noch die zweite LP mit dem programmatischen Titel »Too Much Too Soon« (erschienen 1974) aus einer Ramschkiste gefischt hatte, gab es zudem eine kurze Phase, in der ich fast jedes Riff der Debüt-LPs von The Clash und der Sex Pistols auf New-York-Dolls-Vorlagen zurückführen wollte und allein deshalb die Dolls mehr schätzte. Dieses saublöde Argument (»Wer hat’s erfunden?«) hielt zum Glück nicht lange und wurde spätestens mit dem Zitat-Popjahr 1982 als doppelt saublöd enttarnt. Aber es stimmt schon: Die New York Dolls hatten etwas, was The Clash und auch die Pistols nicht hatten. Damit sind nicht nur Aspekte des Queeren, Campen, Flamboyanten gemeint (das auch), sondern vor allem die Verschiebungen von Rock’n’Roll und Punk hin zu ROCK bzw. zu Punk-ROCK. 

Gerade das Scheitern der New York Dolls (und all ihrer Nachfolge-Projekte) an jeglichen Hardrock-Anklängen, macht sie bis heute so wichtig. Fehlt dieser »Dolls-Faktor«, macht auch die lustigste Hair-Metal-Band keinen Spaß. 

New York Dolls: »New York Dolls« (Mercury Records/Universal)

Dieser Text ist der Remix eines ursprünglich für den von Jonas Engelmann herausgegebenen Sammelband »Damaged Goods. 150 Einträge in die Punk-Geschichte« (Ventil Verlag, 2016) verfassten Beitrags.

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