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Sunny War

»Anarchist Gospel«

New West Records

Wie sieht ein anarchistischer Gospel aus? Die in Los Angeles ansässige Songwriterin Sunny War bricht mit Erwartungen. Weder komponiert sie Kirchenmusik, noch verkündet sie die frohe Botschaft von der anti-autoritären Revolution. Vielmehr besteht ihr »Anarchist Gospel« in vulnerablen Folk-Songs, die von unerfüllter Liebe, Erschöpfung und Enttäuschung erzählen. Was hat es damit auf sich? Anarchismus ist ein schillernder Begriff. Er stammt aus dem antiken Griechenland. »Ánarchía« meinte dort die Abwesenheit einer »archē«, also von politischen Ämtern oder eines Prinzips. Aus der ersten Begriffsverwendung wurde im 19. Jahrhundert die Selbstbezeichnung einer politischen Strömung, die sich für ein Zusammenleben ohne staatliche Strukturen einsetzt. Die zweite fand im Frühchristentum Einzug. So wird in den Debatten der Spätantike Jesus öfters als »ánarchos« bezeichnet – nicht, weil er weltlicher Autorität den Kampf ansagte, sondern weil der »Gottessohn« keinen biologischen Ursprung habe. Anarchie bedeutet demnach ein Ereignis, das sich nicht aus Vorhergehendem ableiten lässt. Sunny War bewegt sich zwischen beiden Traditionen. Auf der einen Seite klingt aus ihren emotionalen Songs ein politischer Anspruch. Sie singt von Burn-out. Ihre Feststellung »I Got No Fight« ist allerdings nicht resignativ, sondern Anklage der psychologischen Effekte einer rassistischen Gesellschaft. Auch musikalisch machen ihre Folk-Songs Anleihen an Genres, die mit der Schwarzen Befreiungsbewegung verbunden sind – Blues, Rock’n’Roll, nicht zuletzt Gospel. Doch nicht jedes Stück ist politisch überformt. Oftmals handelt es sich um einfache Liebes- und Trennungslieder. Teilweise grenzen Sunny Wars Texte an Kitsch. Doch aus allen spricht die Bemühung, die eigene Psyche zu reflektieren und gestalten zu wollen. Ihr anarchistischer Gospel besteht weniger darin, den Untergang des Staates zu predigen. Vielmehr geht es darum, das eigene Gefühlsleben von Modellen einer hierarchischen Welt zu lösen.

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Text
Michael Zangerl

Veröffentlichung
24.04.2023

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