bay014
Sterzinger III

»Keuschheit und Demut in Zeiten der Cholera«

Bayla Records/Galileo

Über drei Jahre nach dem beeindruckenden Album »Ashanti Blue«, in dem Stefan Sterzinger inhaltlich über das Fremde meditierte, widmet sich der eigenwillige Songwriter auf »Keuschheit und Demut in Zeiten der Cholera« wieder (auch) dem Fremden, zumindest verweist bereits der catchy Albumtitel auf einen literarischen Welterfolg eines nicht eben unbekannten kolumbianischen Autors. Verändert hat sich für dieses Album allerdings der Stab der musikalischen Mitstreiter: Mit Franz Schaden hat der umtriebige Sterzinger einen langjährigen Weggefährten und großartigen Kontrabassisten an Bord geholt, Edi Köhldorfer steuert auf diversen Gitarren nicht minder raffinierte Sounds bei und Jörg Mikula sorgt für gelegentlich ordentlich Rumms im Karton. Sterzinger selbst ist bekanntlich mit der Quetschn verwachsen. Etikettiert wird Sterzinger-Musik gemeinhin als Wienerlied meets Worldmusic, was aber nur eine grobe Annäherung sein kann. Eher sollte Sterzinger mit seinem sofort erkennbaren Gesang bzw. Rezitativ und seinen im besten Sinn eigenartigen Texten sein eigenes Subgenre »Sterzinger« bekommen.

Die 13 Stücke in rund 60 Minuten von »Keuschheit« transportieren eine ungemeine Vielfalt an Stimmungen und musikalische Nuancen, die von nah am Schlager über beinahe schon hörspielartige Sequenzen, einer Prise Jazz, einem Stamperl Tom Waits, bis zu eindringlich rezitierten Sprachspielen reichen. Das Stück »westwaerts wiesen« etwa ist durchgängig (auf Basis eines treibendenden Basslaufs) in Alliterationen gehalten – ein fast dadaistisches Vergnügen par excellence. »Ach wie ich mich freu« ist vermutlich (?) in reiner Phantasiesprache verfasst und lässt vorerst etwas ratlos zurück. Nach mehrmaligem Hören funktioniert das Stück als onomatopoetisches Ereignis dann aber doch ausgezeichnet. Überhaupt sollte man sich bei Sterzinger nicht allzu angestrengt auf die Suche nach der konkreten Bedeutung der Texte machen, allzu frei assoziiert der Schlawiner Sterzinger. Bei schon eher im Aussterben begriffenen Wörtern wie »Potschochta« oder »Hallawachl« steigen wahrscheinlich eh fast alle unter 40-Jährigen total aus.

Ein herausragendes Stück im Songreigen ist »finstere herzen«, das wie ein musikalischer Gruß an Sterzingers Ex-Bandkollegen Vincenz Wizlsperger (Kollegium Kalksburg u. a.) aus der Zeit mit den grandios gescheiterten Franz Franz & the Melody Boys (1986–1994, Sterzinger war kaum verwunderlich Sänger und Akkordeonspieler) beginnt (inklusive Reprise), das ansonsten aber mit einem Drum-Sound- und Stimmgewitter so gewaltig anschiebt (Stichworte: eierschädl, oaschgsicht etc.), dass es auch z. B. beim Welser »music unlimited«-Festival nicht weiter auffallen würde und an Tom Waits in der »Orphans«-Phase erinnert. Nein, gemütlich macht es Sterzinger III seinen Hörer*innen nicht. Etwa inkludiert das Thema Liebe und Begehren bei »Keuschheit« immer auch das Scheitern und überhaupt gibt es die »Liebe ohne Leiden« (Udo Jürgens) nicht. Vielleicht hätte etwas weniger Rezitativ zugunsten von mehr Gesang dem ohnehin wunderbaren Album noch besser getan. Der berührendste Song auf »Keuschheit« ist übrigens auch der schlichteste: »olles is nix«, das sogar stimmlich an Tom Waits erinnert, was schwer für Sterzingers vokale Wandlungsfähigkeit spricht. Das wäre dann allerdings eher die »Rain Dogs«-Phase.

favicon
Nach oben scrollen