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Stadtbilder aus 100 Jahren

Die Untersuchung filmischer Stadtentwürfe genießt an und zu vielen Orten derzeit Konjunktur. Das Wien Museum mischt dabei mit der Ausstellung »Wien im Film« kräftig mit.

Es ist kein Zufall, dass knapp zwei Jahre nachdem mit Thom Andersons Filmessay »Los Angeles plays itself« L. A. zum Gegenstand der Viennale gemacht wurde, nun ein thematisch nicht unähnlicher Zugriff auf Wien probiert wird. (Auch Andersons operationalisierende Kategorien »City as a Background«, »City as a Character« und »City as a Subject« werden rezipiert«.) Nun werden die Inszenierungsformen Wiens im Film in einer kenntnisreich kuratierten, mit einigen aufregenden Entdeckungen (z. B. »Der grüne Kakadu«) aufwartenden Ausstellung kurzer Filmclips im Wien Museum präsentiert. Der enorme Vorteil einer Untersuchung der narrativen ?berschreibungen einer Stadt wie Wien am Beispiel des Filmischen ist, die formativen Top-down-Stadterzählungen, Sinn und Identität stiftenden, interessegeleiteten Aufladungen der Stadt und ihre gleichzeitige Unterwanderung, Umspielung, Affirmation in der alltagsbezogenen Stadtemotion einzelner Charaktere zu fassen. So ist der Kampf um die hegemoniale Deutung Wiens über ihre filmischen Stadterzählungen ein wichtiges Element in diesem Ausstellungsprojekt, das geschichtspolitische Debatten wie das Lueger-Bild im Nationalsozialismus ebenso aufgreift wie anhand der verklärten k.u.k-Imaginationen, die der »Wiener Film« entwirft, oder der »figures of difference«, des Wiener Mädels, die Klassen- und Geschlechtsunterschiede, Marginalisierungsprozesse der Moderne begreifbar zu machen versucht.

Es werden aber nicht nur die klassischen Sattelzeiten Wiens der Jahrhundertwende ins Auge gefa&szligt. Ebenso werden die Umbrüche der fordistischen Hochphase mit ihren mal Paranoia, mal Entfremdung exponierenden Stoffen präsentiert wie die in jüngeren Jahrzehnten stattfindende Entdeckung der migrantischen und antibürgerlichen Ränder der Stadt, etwa in Barbara Alberts »Nordrand« oder in Götz Spielmanns »Antares«. Unterstützt von Avantgardefilmen eines Hans Scheugl oder Ernst Schmidt jr., die ebenfalls den Mythos Wien und seine Erzählungen über situationistische Techniken und Kartografien hinterfragten, zeichnet dieses herrlich dichte und abwechslungsreiche Ausstellungsprojekt ein sehr luzides Bild von all den Antagonismen, die eine Stadt wie Wien und ihre Stadtimaginationen durchziehen.

»Wien im Film. Stadtbilder aus 100 Jahren«. Wien Museum, Wien. Bis 19. September 2010

>> www.wienmuseum.at

Christian Dewald, Michael Loebenstein, Werner Michael Schwarz (Hg.): »Wien im Film. Stadtbilder aus 100 Jahren« Wien: Czernin 2010, 292 Seiten, EUR 35,-

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Text
Johannes Springer

Veröffentlichung
05.07.2010

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