Titus Leber beim Filmen des Louvres in 3D © Titus Leber
Titus Leber beim Filmen des Louvres in 3D © Titus Leber

Sensing the visual

Der österreichische Filmemacher und Multimedia-Künstler Titus Leber ist nach Jahren des Reisens wieder nach Österreich zurückgekehrt, wo er am 2. März 2021 seinen 70. Geburtstag feiert. Im Gespräch mit skug rollen wir den roten Faden auf und ziehen ein momentanes Resümee seines Schaffens.

Titus Leber feierte seine ersten filmischen Erfolge noch auf europäischem Boden mit Produktionen wie den »Kindertotenliedern« (1975), dem Schubertfilm »Fremd bin ich eingezogen« (1978) oder »Anima – Symphonie Fantastique« (1981). Diese Experimentalfilme der frühen Phase Lebers sind vor allem durch die Idee begleitet, visuelles Denken sinnlich greifbar zu machen, ein Gedanke, der sich durch sein künstlerisches Schaffen wie durch seine Lebensstationen wie ein roter Faden ziehen wird. Nach diesen ersten Projekten wendet sich Leber allerdings von der Linearität des Films ab und schickt sich selbst auf einen spirituellen »Round-World-Trip«, der ihn zuerst in die USA und später für lange Zeit nach Thailand und Indonesien führen wird, wo er jahrzehntelang multimediale und interaktive Projekte realisiert. Inwiefern Herman Hesse dafür ein Auslöser war und wieso Titus Leber nach all den Jahren wieder nach Europa zurückgekehrt ist, erzählt er im Gespräch mit skug: die Rück- und Ausschau zum 70. Geburtstages eines Künstlers, der sich selbst als »Glasperlenspieler« bezeichnet.

skug: Wenn man sich deinen Werdegang ansieht, zeugt die Vielzahl an Gedankenwelten, die in ihm eröffnet wurden, für einen Außenstehenden ja nicht unbedingt von einer linearen Entwicklung. Dennoch kommen einige Sujets immer wieder. Wie würdest du den roten Faden beschreiben, der sich durch dein Leben und deine Arbeit zieht? Mit was für einem Gefühl blickt man nach über 50 Jahren des Schaffens auf so eine Vielzahl an Welten zurück?
Titus Leber: Das ist eine schöne Frage, denn sie zwingt mich zur Selbstreflexion von außen. Ich denke, was der rote Faden ist und was wirklich all diese Stränge, die ich sowohl schöpferisch wie auch geografisch durchlebt habe, auf einen Nenner bringen kann, ist, dass ich ein Glasperlenspieler bin. Der Roman von Herman Hesse »Das Glasperlenspiel« war für mich das Schlüsselbuch und das Schlüsselerlebnis, das mich dann meinen ganzen Lebensweg begleitet hat. Die geistige Quintessenz, die dahintersteht: Es wird in der Zukunft eine Art Konvergenz zwischen Kunst, Wissenschaft und Esoterik geben. Und diese drei verschiedenen großen Gebiete, oder die Geisteswissenschaften und Künste im Allgemeinen, werden mit den Mitteln der Mathematik und Musik zusammengeführt und zu einem universellen Spiel, wo alles ineinandergreift und alles miteinander verbunden werden kann. Das war genau das Motto, welches mich so unglaublich fasziniert hat, weil Hesse so auf absolut visionäre Art das digitale Zeitalter vorausgesehen hat. Denn dieses Zusammenführen war früher zwar geistig möglich, aber durch die Digitalisierung kann man jetzt eben alles miteinander kombinieren und das sehr schnell: Musik, Bild, Sprache, was auch immer. Diese Multimedialität hat Hesse mit der Idee des Glasperlenspiels vorausgesehen und auch die Grundfragestellung meiner Dissertation motiviert: Wie kann man dieses Denken in Bildern, was das Glasperlenspiel ja ist, praktisch umsetzen? Und insofern bin ich eigentlich zum Glasperlenspieler geworden, weil ich mich ja in allen Gebieten bewegt habe. In meinen Multimediaproduktionen, meinen interaktiven Projekten, meiner Auseinandersetzung mit Kunst, mit Musik, mit Wissenschaft, mit den großen Religionen ist das alles ineinandergeflossen und deswegen bildet mein Leben eine große Einheit … Das sind immer so verschiedene Aspekte von ein und derselben Glasperle, die ich da gelebt habe. Das ist der rote Faden.

»Die entfliehenden Stunden«, frühes Schichtungsbild, ca. 1970 © Titus Leber

Und wenn man das jetzt als Ergebnis darlegt, stellt sich einem die Frage: Mit was für einem Gefühl schaust du auf diesen Faden zurück? Du meinst ja, diese Idee hat dich von Anfang an inspiriert. Hast du das Gefühl, du bist dieser Idee nähergekommen, hast ihre praktische Umsetzung »achieved«?
Ich habe sicher erreicht, dass ich ein Glasperlenspieler geworden bin. Alle diese Facetten von allen Seiten durchzuspielen. Es bleibt nach so vielen Jahren allerdings auch ein Friedhof von nicht zustande gekommenen und ungemachten Projekten übrig. Aber insgesamt habe ich schon das Gefühl eines »Accomplishments«, also zumindest was meinen Lebensweg betrifft. Obwohl es durchaus einige Wegabzweigungen gab, die ich überhaupt nicht eingeplant hatte. Denn mein ursprünglicher Ansatz war ja, Regisseur zu werden und Filme zu machen. Da habe ich mich mit 10 Jahren schon hineingestürzt! Das waren damals noch gezeichnete Bilder, die ich mit einem kleinen Epidiaskop an die Wand geworfen habe. Und da stand für mich eigentlich immer fest, dass ich Regisseur und Filmemacher werden wollte. Mit 15 Jahren habe ich dann angefangen, Super-8-Filme zu machen, und mir dann irgendwann eine 16-mm-Kamera gekauft. Mit Mitte 20 habe ich dann mit der Schichtungsmethode begonnen, mit diesen überkopierten Bildern, die irgendwie dann auch ein Markenzeichen meiner filmischen Ausdrucksform geworden sind.

Ein erster »Programmpunkt« deines Schaffens und Denkens, der für mich herausstach, ist deine Beschäftigung mit visuellem Denken. Woher kam die Begeisterung für dieses »Problemfeld« und welche Antworten hast du zu den Fragen, die du stelltest, gefunden?
Das war etwas, das sich eigentlich am Anfang spielerisch entwickelt hat. Nämlich durch das Überlagern und Überkopieren von Bildern, was man damals in den 70er-, 80er-Jahren noch »Sandwichen« genannt hat. Wir haben damals noch mit Dias gearbeitet. Und wenn ich zwei Bilder übereinandergelegt habe, dann ist etwas sehr Seltsames herausgekommen. Nämlich einerseits etwas ästhetisch Interessantes, aber dann auch etwas intellektuell Interessantes: Denn ich hatte plötzlich eine fotografisch-realistische Abbildung von etwas, was es in unserer alltäglichen Wirklichkeit gar nicht gab. Wenn ich zwei Bilder genommen hab‘: Das eine wurde da aufgenommen, das andere dort. Das eine heute, das andere vor zehn Jahren. Ich habe die zwei Bilder kombiniert und hatte plötzlich eine fotografisch-realistische Wiedergabe eines Gedankenbildes …

… in der Virtualität.
Ja, heute nennt man das virtuell, damals war’s wie gesagt eine ganz neue Darstellungsform, weil es vom Realismus weggebrochen ist. Damals gab’s Surrealismus, Realismus, aber nicht diese ganz systematische Art, andere Wahrnehmungsformen, andere Bewusstseinsformen systematisch, technisch darstellen zu können. Und was am Anfang Spielerei war, ist dann zu Filmen geworden, zu meinen Musikfilmen. Das erklärt auch die Frage, warum ich so gerne mit Musik gearbeitet habe: Musik ist auch nicht mehr diese lineare Ebene, sondern das Übereinander der Noten, der Klänge, der Akkorde, die miteinander verschmelzen. Und eigentlich habe ich in den Filmen visuelle Akkorde gebildet, wo oft nur eine Ebene die Realebene war. Man könnte es auch so sagen: Wir schauen mit den Augen hinaus in die reale Welt und wenn wir die Augen schließen, haben wir die innere Welt vor uns, und diese zwei Eindrücke überlagern sich ununterbrochen. Das habe ich in meiner Dissertation beschrieben und in meinen Filmen begonnen, systematisch umzusetzen.

»Anima: Symphonie Fantastique«, 1981 © Titus Leber

Nachdem ich es in Cannes mit »Anima: Symphonie Fantastique« in die offizielle Selektion geschafft hatte, war mein nächstes Filmprojekt, »Das Glasperlenspiel« von Herman Hesse umzusetzen. Das war damals ein Megaprojekt, das zu groß für Europa und zu klein für Hollywood war. Ich bin da irgendwie zwischen allen Sesseln gelandet. Auf der anderen Seite hat mich die Vorbereitung für diesen Film auf einen esoterischen »Round-World-Trip« geschickt. Denn es gibt ja am Ende dieses Buches drei Lebensläufe. Der eine spielt in Indien, der zweite im Mittleren Osten und der Dritte irgendwo in Mittelamerika oder Afrika. Und ich habe mir dann bei der Vorbereitung für diesen Film ein Jahr Zeit genommen, um diese ganzen geistigen und spirituellen Ausdrucksformen zu studieren, kennenzulernen und bin dann am MIT in Amerika gelandet, also an der Hochburg der weltweiten Hochtechnologieentwicklung. Denn ich hatte mir gedacht: Dort sind die besten »Eggheads« von Amerika, vielleicht kann man die Glasperlenspieler mit diesen Superdenkern dort besetzen, die ja auch viel experimentieren. Das war dann also die erste große Wegscheide in meinem Leben, als ich ans CAVS, das Center for Advanced Visual Studies, am MIT kam. Das war 1984 und das Jahr Null von Multimedia und der Interaktivität. Also genau das Jahr, wo das alles angefangen hat. Man hat begonnenen, mit Touchscreens zu experimentieren, das waren damals so Hundert-Kilo-Dinger und eben mit Bildplatten. Das war damals noch ein analoges Medium. Aber man konnte Unmengen von Information, alle 35.000 Bilder meines bisherigen Lebens, auf eine Bildplatte speichern und die dann wieder über einen Mischer gegeneinander ablaufen lassen. Da habe ich damals eine Installation gebaut, die hieß »The Image Reactor«, mit der man auf diese Art das visuelle Denken simulieren konnte. Gleichzeitig hat mich das dazu inspiriert, vom Film wegzugehen. Denn ich habe mir gesagt: Eigentlich ist es viel spannender, wenn ich als Regisseur mein Publikum miteinbeziehen kann, und das Publikum kann aktiv einschreiten in die Handlungsgestaltung. Das war also die Wegscheide, weg vom linearen Film, hin zur Interaktivität.

Titus Leber mit dem »Image Reactor« am MIT, 1984 © Titus Leber

Wenn ich da kurz nur einhaken darf. Wie blickst du aus deiner jetzigen Position, in dieser jetzigen überdigitalisierten Welt auf diese damaligen Arbeiten zurück? Kannst du sie nur mehr im Kontext der Zeit, in deiner Gedankenwelt von damals betrachten oder haben sie für dich immer noch dieselbe Wirkung von damals?
Die Frage ist eigentlich in zwei Richtungen zu beantworten: Einerseits, habe ich das Gefühl und eben nicht nur das Gefühl, sondern das wird mir auch bestätigt, dass meine Filme in vieler Art nicht gealtert sind, weil ich ja selbst heute noch jeden Monat zwei, drei Zuschriften geschickt bekomme, die mich fragen: Wo finden wir die Filme, wir haben die seit 30 Jahren im Kopf, wie kann man die sehen, wie kann man die kaufen, wie kommt man an diese Filme? Ich glaube, dass ich in vieler Beziehung meiner Zeit oft voraus war und dass das meiste, was ich geschaffen habe, eigentlich eher nach vorne blickend noch eine riesige Entwicklung vor sich hatte. Manches wirkt natürlich ein bisschen von der Zeit geformt, von den 80er-Jahren. Aber der Typus von Bildern, den ich entwickelt hab’, und das ganze Gedankliche, der Unterbau von dem Ganzen hat immer noch Gültigkeit. Eigentlich haben für mich diese Dinge ihre Zeit noch kaum erreicht. Damals waren sie sehr exotisch diese Filme, und heute wird man, wenn man es gut argumentiert, erkennen, dass ich damals denkerisch die Voraussetzung für Internet, für Bildmischungen, alles was heute in Musikvideos, in heutigen Ausdrucksformen gezeigt wird, vorweggenommen habe.

Ich frag’ da jetzt einmal ein bisschen provokant hinein. Du wolltest eine Form von Virtualität von Denken zeigen, die zwar immer da, aber nicht explizit ist für uns. Und du wolltest sie mit deinen Filmen und Arbeiten explizit machen. Meine Frage wäre, ob diese Filme, diese Projekte einfach nur durch ihr Abspielen den Effekt erzielen, dass für die betrachtenden Menschen eben dieses Denken explizit wird? Oder müssen die Menschen, die Theorie dahinter verstehen?
Nein, nein, nein. Also ich bin überzeugt und darauf habe ich auch immer hingearbeitet, dass meine Filme intuitiv ankommen, im Bauch und im Kopf, weil vieles lässt sich rational auch gar nicht analysieren. Also da ist der künstlerische Aspekt sehr stark. Ich habe einmal mit einem deutschen Arzt an wissenschaftlichen Filmen zusammengearbeitet, ganz früh. Da habe ich noch meine Schule als Filmemacher durchgemacht und der Arzt hat mir die Chance gegeben, für ihn Dokumentarfilme zu machen. Das war irgendwas ganz Prosaisches, irgendwelche Operationen, ein erstes Herumreisen mit der Kamera im Körper. Und er hat mich damals explizit dazu angestellt, dass diese Filme von der großen Masse goutiert werden können und gesagt: Wenn du’s nicht schaffst, ein so wissenschaftliches, trockenes, fades Thema so darzustellen, dass 5 Millionen chinesische Reisbauern das auch genießen könnten, dann hast du dein Ziel nicht erreicht. Und das war für mich immer ein Leitgedanke. Da habe ich eine wunderschöne Anekdote, die schieße ich hier jetzt dazu. Meine »Anima« ist in Cannes gelaufen und wurde als ein Film beschrieben, der zwar Kultpotenzial hat, aber wahnsinnig schwierig zu verdauen ist, weil er sich auf Freud und Marcel Duchamp und Psychoanalyse bezieht. Dann war ich mit demselben Film drei Monate später eingeladen beim indischen Filmfestival in Kalkutta und ich kam irgendwie zu spät zur Premiere und bin dann nicht hineingekommen. Und draußen steht ein Typ mit Schwarzkarten, der mich gefragt hat, ob ich nicht eine Schwarzkarte haben will, um noch in die Vorstellung zu kommen. Und ich fragte, was es denn kostet, und er sagte mir: 100 Rupien; worauf ich sagte, dass das doch ein bisschen teuer ist, normalerweise würde das ja nur 20 Rupien kosten; worauf er dann zu mir gesagt hat: Aber den Film müssen Sie sehen! Da hatte ich dann Standing-Ovations von tausend, zweitausend Leuten im Kino, die nie etwas von Psychoanalyse oder Freud oder klassischer Musik gehört haben, und das war für mich eigentlich der schönste Erfolg bei dem Ganzen. Der Film ist dann in ganz Indien herumgereist und von Festival zu Festival. Da dachte ich mir: Ich bin auf dem richtigen Weg. Also für mich war immer wichtig, Massen zu erreichen, die dann an Verständnis über ihr visuelles Denken gelangen.

Du sagtest ganz am Anfang, dass das, was dich an Hesse so interessiert hat, die Verbindung von Kunst, Wissenschaft und Esoterik war. Ich sehe die ersten zwei Begriffe in dem Kontext ein, aber bitte mache den Punkt der Esoterik noch ein bisschen greifbarer. Vor allem diese Gedanken der Transzendenz, die sich doch auch irgendwie durchziehen in deiner Arbeit. Wie beleuchtest du das und vielleicht auch im Kontext anderer Kulturen?
Also da kommen wir zur nächsten Weggabelung in meinem Weg, denn ich hatte nie geplant, nach Asien zu gehen, das war irgendwie nicht vorgesehen. Aber schließlich bin ich – aufgrund meiner interaktiven Produktionen, die ich schon hier gemacht habe – am thailändischen Königshof gelandet. Die hatten mein Mozart Projekt gesehen und wollten, dass ich etwas ähnliches – also eine interaktive Biografie – über die Mutter des Königs von Thailand mache. Also wurde ich eingeladen, aber wollte ursprünglich gar nicht hin, denn meine ersten Erfahrungen mit Thailand waren katastrophal. Aber gut: Die Kronprinzessin hat uns eingeladen und ihr Adjutant hat zu mir und meiner Frau gesagt: Schauen Sie, Dr. Leber, wir wissen, dass Sie nicht mehr nach Thailand kommen wollen nach ihren ersten Erfahrungen, aber nehmen wir an, wir bringen Sie im Königspalast unter und geben ihnen Carte Blanche und unterstützen Sie finanziell, sowie wir Ihnen die besten Techniker und Equipment geben, sagen Sie dann noch immer nein? Also haben wir das angenommen. Und da kam’s dann zu einem absoluten Schlüsselerlebnis.

»What Did the Buddha Teach?« Virtual-Reality-Darstellung des »Rad des Werdens«, 1999 © Titus Leber

Ich bin an einem freien Nachmittag in den Tempel des smaragdenen Buddha in Bangkok gekommen, das ist so das Gegenstück der sixtinischen Kapelle, wenn man das so sehen will. Das ist also ein riesiger Tempel, wo 1.800 Quadratmeter mit Fresken bemalt sind mit der Geschichte, mit der Vita, den Wundern, die Buddha vollbracht hat. Und da hat’s bei mir geklickt und ich habe gesagt: Moment mal, die haben, so wie wir im Mittelalter mit der »Biblia Pauperum«, versucht, ihre spirituellen Inhalte durch Bilder rüberzubringen. Und ich habe meinen thailändischen Gastgebern gesagt: Wie wäre es, wenn wir die Geschichte des Buddhismus interaktiv und visuell aufarbeiten? Ich kann jeden Teil dieses Gemäldes mit den Originalschauplätzen in Indien verbinden. Und wir fahren nach Indien und folgen den Spuren des Buddhas. Und da habe ich in zwei Wochen einen unterschriebenen Vertrag gehabt. Die Ausgangsbasis waren also diese 1.800 Quadratmeter Wandgemälde, die sind 26 Meter hoch und stellen alle Episoden des Lebens des Buddha auf sehr volkstümliche Art dar. Man konnte also die Vita nachverfolgen, wo Buddha was und wie erlebt hatte. Im zweiten Schritt des Projekts gings aber darum, die Konzepte des Buddhismus umzusetzen und zu visualisieren, und das war dann weniger einfach, weil das bildlich noch nicht dargestellt ist. Da musste ich all meine Kreativität zusammennehmen, um visuelle Metaphern und Ausdrucksformen für die großen buddhistischen Ideen zu finden. Und das Ganze ist dann noch um drei Hausnummern komplexer geworden in meinem letzten großen asiatischen Projekt »Paths to Enlightenment – Bringing Borobudur to Cyberspace«.

Titus Leber vor Borobudur-Tempel © Titus Leber

Borobudur ist der größte buddhistische Tempel der Welt aus dem 9. Jahrhundert. Da gibt es einen riesigen Stupa, auf dem in 1.600 steinernen Basreliefs die verschiedensten buddhistischen Lehren dargestellt sind. Die Indonesier*innen haben gefragt: Kannst du uns das irgendwie in den Cyberspace bringen und vor allem die Inhalte vermitteln? Da ging‘s also drum, diese ganzen sehr komplexen Zusammenhänge zu visualisieren und das ist wirklich Esoterik. Da hat man auf der einen Seite diesen gedanklichen Ansatz, Bilder miteinander zu verbinden, was aber in der heutigen Zeit in »Compositing« übergeht, wo man verschiedene Bildelemente miteinander verbinden kann. Auf der anderen Seite wird das zu einer visuellen Umsetzung von sehr komplexen esoterischen Inhalten. Ein Beispiel: Im Buddhismus ist es ja so, dass es nicht nur einen Buddha gibt, sondern unendlich viele Buddhas. Das ist eine Theorie, dass jeder Buddha sich in eine Sphäre bewegt. Man sagt: Es gibt so viele Buddhas, wie es Sandkörner am Meer gibt. Wie übersetze ich das also für jemanden von heute, dieses ziemlich abstrakte Konzept? In eine Bildsprache, die also jemand, der heutige Sehgewohnheiten hat, nachvollziehen kann? Dann haben wir also im Computer diese Reise durch diese dreidimensionalen Buddha-Welten erstellt. Da konnte man »durchfliegen«. Wir haben allein an dieser einen 45-Sekunden-Einstellung sechs Monate gearbeitet.

Das Ganze wurde ein Film?
Ja, das ist ein Stück Film, das in dieser Produktion drinnen ist.

Und der Anspruch war immer, dass es die breite Masse erfassen kann?
Ja! In Thailand wurde die Produktion zum Beispiel an den Schaltern einer der größten Banken des Landes verkauft und der Einsatz der DVD für den Unterricht in Schulen geplant. Und auch wenn man nicht alles unbedingt intellektuell sofort erfasst, ist die sinnliche Erfahrung trotzdem vorhanden, sich durch diese Welten hindurchbewegen zu können.

»Borobudur – Paths to Enlightment – Buddhawelten«, 2014 © Titus Leber

Also es ist eigentlich irgendwo der Versuch, gefühlt eine Art Immanenz für diese transzendenten Gedanken zu bekommen? Immanenz als körperliche Sinneserfahrung?
Ja, absolut! Und deswegen hat man mich etwa ins europäische Headquarter von IBM nach Paris geholt. Meine Aufgabe war dort, den Computer »sinnlich« zu machen. Da habe ich drei Jahre versucht, die Geschichte Europas interaktiv aufzuarbeiten. So ist das alles entstanden und das ist dieser dritte esoterische Aspekt, der da hineinspielt. Esoterische Erfahrung sinnlich zu machen. Andere Kulturen machen das ja schon lange!

Na ja, in Indien sind viele der Strömungen die unter dem europäischen »Umbrella-Term« Hinduismus kursieren, ja von vornherein mit einer extremen »immanenten« Körperpraxis verbunden, die die transzendenten Inhalte begleitet, man denke nur an Yoga!
Und die haben das in Skulptur, in Malerei, in Musik immer umgesetzt und versucht, sinnlich zu machen. Oder auch in Afrika, wo ich jetzt sehr viel arbeite. Ich meine, wir haben’s auch irgendwo getan im Katholizismus durch diese ganze Bilderwelt, die wir erschaffen haben.

Das ist schon wahr, aber im Katholizismus oder in der christlichen Religion blieb es doch immer stark eine »Abbildungsebene« und keine direkte »Erfahrungsebene«. Im Tantrismus in Indien ist die körperliche Praxis eine Voraussetzung, um diese »esoterischen« Inhalte zu verstehen, zu internalisieren und zu erleben. Yoga ist eine geistige Praxis. Transzendenz in der Immanenz der sinnlichen/körperlichen Erfahrung. Das hat in unserer Kulturwelt zu einem gewissen Grad schon gefehlt. Deswegen ist unser Denken einfach auch anders geprägt. Natürlich macht nicht jede Person in Indien Yoga, das wäre ja die übertriebene Gegen-Romantisierung. Aber das religiöse Mindset des Hinduismus prägt die kulturelle Entwicklung einer Bevölkerung genauso wie uns das Christentum, obwohl die meisten von uns nicht mehr praktizierende Christ*innen sind.
Ja, genau! Und Borobudur ist eben fantastisch, denn dieser Tempel ist so angelegt, dass man da auf jeder Ebene, vom »einfachen« Menschen bis zum höchsten Tantriker, die Inhalte erfassen kann. Der Tempel hat die Gestalt eines viereckigen Stupa, den man zehnmal umqueren muss, um zur Erleuchtung zu geraten, und diese Reise kann man also nun auch virtuell nachvollziehen, interaktiv. Wir können also in diesen Tempel hineinfliegen und auf jede Art, vom Kind bis zur Buddhismus-Wissenschaftlerin, wird jeder seinen Weg finden. Da ist auch wieder diese Poly-Dimensionalität, die ich so sehr am Interaktiven mag. Dass man verschiedene Standpunkte einnehmen kann. Für jeden ist sein Zugang miteingebaut, wenn’s gescheit gemacht ist. Beim Film ist es anders. Da muss man diesem linearen Ablauf von Regisseur*innen folgen, aber in diesen multimedialen Formen gehst du genau den Weg, den du gehen willst und für den du reif bist. Ich habe an »Recording Borobudur for Cyberspace« auch vier Jahre gearbeitet, mit einem riesigen Team. Das sind wiederum Dinge, die hier auch sehr schwer in Europa zu machen sind.

Wie bist du mit diesem ganzen neuen »Knowledge« und dieser Öffnung an Gedanken nach Europa zurückgekehrt? Wie fühlst du dich jetzt in Europa wieder?
Furchtbar, haha. Etwa die (Un-)Möglichkeit, solche Dinge hier umzusetzen in unserer »westlichen« Gesellschaft, vor allem in Österreich, ist ein Wahnsinn! Ich empfinde, dass wir hier in Österreich spezifisch in einer Gesellschaft leben, wo prinzipiell nichts geht. Bei jedem Projekt bekommst du von allen Seiten erst einmal eine Bestätigung, was alles nicht möglich ist. Wie Goethe so schön gesagt hat: »Der Geist, der stets verneint.« Und das ist das, was ich in diesen fremden Welten lieben und schätzen gelernt habe: die Aufgeschlossenheit, dass erst einmal alles möglich ist. In Amerika gibt’s auch die berühmte Formel: »The sky is the limit.« In Asien habe ich nie mehr als zwei Wochen gebraucht, um so einen Megakontrakt unterzubringen. Hier werden Ansuchen und Formulierungen zur Krux, wo einem ständig mitgeteilt wird: Eigentlich gerne, aber leider auch nicht. Dieser Pioniergeist ist verloren gegangen, eine Form von Visionarität. Vielleicht schwimme ich ja einfach nicht auf derselben Wellenlänge, aber mir kommt es so vor.

Ich habe einmal, auch für skug, mit Lotte Ingrisch gesprochen, die den schönen Satz gesagt hat: »Ich habe immer mehr geahnt als gewusst.« Also gibt heutzutage schon eine große Tendenz, dass nichts der reinen »Ahnung« überlassen wird. Alles muss hundertprozentig transparent und wissbar sein.
Wenn ich hier noch kurz auf meine Arbeit in Afrika zu sprechen kommen darf: Hier – ich meine damit in der westlichen Welt – leben Menschen teilweise in einer absoluten Unwissenheit, Ignoranz und in einer Welt von Vorurteilen, die also wirklich von vorgestern sind. Erst wenn man in Afrika lebt, merkt man, dass die Leute hier bei uns Primitivität mit Archaik verwechseln. In Afrika gibt es viele archaische Gesellschaften, wo man wirklich noch zu den Wurzeln kommt. Bei uns hat man immer nur die wildesten Klischees im Kopf. Man hat nur verborgene Agenden, wie man noch mehr ökonomisch rausquetschen kann aus diesem Kontinent, und null Ahnung und Respekt für das, was dieser Kontinent und seine alten Kulturen zu bieten haben. Gut, das wurde ja nie verbal aufgezeichnet, niedergeschrieben. Es wurde alles mündlich tradiert, wo man in unglaubliche Tiefen vorstoßen kann.

»Africa Interactive«, 2020 © Titus Leber

Vielleicht magst du ja – als letzten Projektschwerpunkt – ein paar Worte über dein Afrikaprojekt »Africa Interactive« erzählen?
Ich meine, das hängt ein bisschen eng mit der Frage zusammen, was mich dazu veranlasst hat, Asien zu verlassen und hierher zurückzukommen. Auf jeden Fall ist es zu einer Art Übergangsstation geworden, zum Entdecken von Afrika, wo ich vor fünf, sechs Jahren begonnen habe zu reisen und eben mit Verblüffung und Verwunderung feststellte, wie wenig wir über diesen Kontinent und sein uraltes Kulturerbe wissen. Und was für unglaubliche spirituelle Tiefen Afrika also zu bieten hat. Auf der anderen Seite ist Afrika in seinem Zugang zu Kommunikationselektronik und durch die Jugendlichkeit des Kontinents viel weiter, dynamischer und schneller unterwegs, als wir es sind. Die meisten urbanen jungen Leute sind schon mit Smartphones aufgewachsen. Die sind schon von der Internet-Generation. Und aus dieser Doppelbestrebung heraus ist dann meine Initiative »Africa Interactive« entstanden, einerseits dadurch, wie wenig und wie vorurteilhaft der Rest der Welt Afrika sieht, und andererseits, um jungen Afrikaner*innen auch dabei »behilflich« zu sein, nicht den Kontakt zu ihren eigenen Wurzeln zu verlieren. Wir sind ja dort das absolute »role model« und es wird in Form eines neuen Kolonialismus vieles hineingepumpt, was hier als Kulturschund produziert wird.

Quasi eine selbstlaufende Form des »Kolonialismus«. Durch die Verfügbarkeit im Internet, holen sich die Leute schon selber diese Inhalte rein, die eigentlich nicht »ihre« sind. Genauso wie die USA-Infizierung des Fernsehens in Europa früher.
Aber was da passiert, ist das unsere »Werte« da hineingepfuscht werden und es zu einer Zumüllung mit westlichen Inhalten kommt. Statt dass die sich ein bisschen auf ihre eigenen Helden, ihre eigenen Mythen, ihre eigenen Epen besinnen. Da gibt‘s ja so unendlich viel! Deswegen habe ich mir gesagt: Warum nicht dieses alte afrikanische Wissen hernehmen und in die Reichweite von jedem bringen, der das mit dem Smartphone in der Hosentasche abrufen kann? Also wieder mit dem Anspruch der Sinnlichkeit, dass junge Leute auch was damit anfangen können. Aber trotzdem mit ihren eigenen Ausdrucksformen, Bildformen, Tanzformen und so weiter und so fort. Ich bin wohl aber etwas sehr ambitioniert, so ein riesiges Ding wie Afrika anzugehen, das ist mir schon klar, dass ein Mensch das nicht alles machen kann. Aber es geht darum, die Weichen zu stellen und das Projekt auf die Schienen zu setzen und die Denkansätze zu geben.

Ich wollte grade sagen: Denkansätze schaffen, anstoßen, ist ja auch etwas!
Genau, diese Gedanken beginnen jetzt überall zu greifen.

Wieso bist du 2020 wieder nach Österreich zurückgekommen? Und ganz generell – um auf den Anfang zurückzukommen – wie hast du vor, den roten Faden weiterzuspinnen?
Momentan stehe ich wieder an einem Scheideweg, der in zwei Richtungen gehen kann. Entweder – und das ist wahnsinnig schwer – dieses afrikanische Projekt in großem Maßstab auf die Beine zu bringen. Daran kämpf‘ ich aber seit fünf Jahren und es ist wirklich nicht einfach, sowas auch finanziell auf die Beine zu stellen … man verhandelt mit x Regierungen und mit der UNESCO und man glaubt gar nicht, auf was für bizarre Widerstände man da stößt. Die andere Richtung wäre die Auseinandersetzung mit meinen 20.000 Seiten Tagebuch, die ich über meine Lebenspanne hinweg produziert habe. Außerdem habe ich während meiner Studienzeit Tagebuch in Form von Zeichnungen geführt, also innere Zeichnungen, quasi ein »dessin automatique«. Und die Idee wäre, die Tagebücher zusammen mit diesen 1.500 Blättern Zeichnung psychoanalytisch aufzuschlüsseln. Vor allem in der Kombination von diesen drei Quellenströmen: Mein Werk, meine Tagebücher und mein Innenleben, das zusammenzuführen, das wäre aber auch eine Aufgabe für zehn Jahre.

»Die innere Reise«, 1.500 Zeichnungen © Titus Leber

Für dich selbst?
Primär mal für mich selbst, durchaus nicht mit der Absicht, das unbedingt publizieren zu müssen.

Deine vollen Regale an Tagebüchern zeugen von einer wahnsinnig ergiebigen Selbstreflexion.
Vor allem aber kann ich ja jetzt technische und elektronische Mittel zur Selbstfindung einsetzen. Etwa diese Gesamtheit von 1.500 Zeichnungen: Die hab’ ich in eine Datenbank eingefüllt, wo nach Keywords jedes Bild aufgeschlüsselt wird, wem es zuzuordnen ist, welche Symbole drinnen vorhanden sind etc. Ich kann also in Sekundenbruchteilen beginnen, durch mein psychisches Leben als Student, das immerhin 40 Jahre zurückliegt, eine digitale Reise zu machen. Ich arbeite jetzt mit einem bekannten Psychiater zusammen, der 100 Jahre alt ist, und wir arbeiten zusammen durch diese ganzen Ebenen durch. Das ist momentan die spannendste Reise von allen, die ich jemals gemacht hab’. Nach der »Anima« und Cannes habe ich mir ja vorgenommen, »Das Glasperlenspiel« zu verfilmen, und habe mich hingesetzt und ein Drehbuch – eine erste Version – geschrieben. Das kam damals aber dann nicht zustande und ich habe das dann ad acta gelegt, weil ich begonnen habe, diese ganzen interaktiven Sachen zu machen. Neulich habe ich mir das Drehbuch herausgeholt und ich schwöre, ich habe vergessen, wie ich das damals aufgebaut hatte. Und mir ist ganz schaurig geworden, denn ich hatte in diesem Drehbuch jeden einzelnen Schritt meines Lebens vorbeschrieben. Asien, Afrika, alles war da damals drinnen und ich hatte das alles vergessen! Ich habe also mein eigenes Drehbuch gelebt als wäre ich der Hauptdarsteller dieses Films geworden, den’s als Drehbuch schon gab. Und das kann man nachlesen auf 200 Seiten.

Das zeugt jetzt für mich nicht von einer prophetischen Kraft im transzendenten Sinne, sondern es zeugt für das, wovon ich überzeugt bin, nämlich, dass wir, wenn wir uns in unserem Denken treu bleiben oder wenn wir authentisch leben, ganz genau wissen, was wir tun werden, vielleicht nicht mit den expliziten Inhalten, aber in der Struktur. Diese Intuition haben wir von Anfang an, wenn wir unsere Integrität nicht verlieren.
Ganz genau. Und das Schöne ist, ich bin mir immer treu geblieben. Ich habe mich nie prostituiert, ich habe nie irgendwas für Geld gemacht. Also nur für Geld. Ich hatte teils fantastische Angebote, aber es war mir immer wichtiger, authentisch zu bleiben.

Link: http://www.titusleber.com/

Home / Kultur / Film

Text
Ania Gleich

Veröffentlichung
01.03.2021

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