© DALL-E OpenAI
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Schlangenei AI

Über die Auswirkungen der Artificial Intelligence wird aktuell viel diskutiert. Ein kurioser Widerspruch verbirgt sich hier. Philosophisch gesehen ist AI unerheblich, weil ein bloßer Marketingtrick, politisch gesehen hat es der Betrug so sehr in sich, dass er die Gesellschaft tiefgreifend wandeln kann.

Wie schnell sich die Dinge entwickeln. Kaum ein halbes Jahr ist seit dem Auftauchen der neuen Generation von AI-Maschinen vergangen und schon wurde jeder denkbare AI-Witz gemacht. Nachrichtensprecher*innen ließen sich ihre Moderationen vom Chatbot schreiben, der Papst war täuschend echt als Gangsta-Rapper verkleidet, clevere Politolog*innen baten die AI, einen Friedensplan für die Ukraine zu verfassen. Die Ergebnisse sind allesamt überraschend, aber nicht allzu lang. Auch skug hat sich Bilder basteln lassen, um mal zu testen. Mit viel Ironie und nötiger Distanz – selbstverständlich, denn wir sind ja kritisch. Zwei Mal waren die Ergebnisse okay, beim dritten Versuch brachen wir genervt ab. War alles einfach nur kacksi, was die DALL-E-Maschine bei eigentlich recht simpler Frage ausspuckte. Eine neue Praxis wird das nicht. Das Bild zur Illustration dieses Artikels war das erste Ergebnis zu der Anfrage: » Photo of the first use of DALL-E«. Eh witzig, aber auch der Beweis, dass die Maschine keinen Schimmer hat, was gemeint ist. Fairerweise muss gesagt werden, dass es auch für menschliche Grafiker*innen sehr schwer sein würde, ein irgendwie überzeugendes Bild für den ersten Einsatz einer AI-Grafiksoftware zu finden. So wurde es eben ein seltsames Steckdosengesicht

Die Roboter kommen!

Womit der erste Punkt der lügenhaften Konstruktion von AI schon eingeholt wäre. Die meisten faszinierenden Ergebnisse der AI sind von Menschenhand nachbearbeitet worden. An sich schon wieder eine bemerkenswerte Entwicklung, dass Menschen in einer so individualisierten Gesellschaft, in der doch jede*r nach Ruhm oder zumindest Aufmerksamkeit strebt, sich heimlich hinter einem Apparat verstecken und teilweise behaupten, der habe etwas ganz Außergewöhnliches geschaffen, das de facto sie selbst gebastelt haben. Jenes berühmte Selfie vor dem trojanischen Pferd, das zu Anfang die Internetrunde machte, stammt übrigens von einem Fotokünstler, der nie behauptet hat, alles sei von der AI. Er hat tagelang mit Photoshop nachgeholfen, weil das eben seine Art ist, Kunst zu machen. Die Algorithmen waren eher Mittel zur Recherche und Inspiration. 

Mittlerweile fühlt es sich längst so an, als seien alle schon etwas müde. Deshalb legen Menschen mit Geschäftsinteresse nach und stiften die Weltuntergangsdiskussion. Uhuhuh, die Roboter kommen und Intelligenzen, die »tausend Mal schlauer« sind als wir, übernehmen die Macht. Viel schlimmer als die Klimakatastrophe, sagt ein Haufen steinreicher Industrieller. Hmmm, ob das ein Zufall ist? Elon Musk empfiehlt deshalb jetzt einen Stopp, die Entwicklung sei nämlich zu «gefährlich« geworden. Also so gefährlich wie selbstfahrende Autos zum Beispiel, die jetzt in den USA weitgehend verboten wurden, weil sie nicht funktionieren und nur irgendwer mit falschen Messdaten behauptet hat, sie würden es tun? Bekanntlich ist immer etwa das Gegenteil von dem, was Musk sagt, wahr, die Schwierigkeit liegt nur darin, das Gegenteil zu erkennen. Der mittlerweile zweitreichste Mann der Welt (War ’ne gute Idee, Twitter zu kaufen, gratuliere!) hatte ursprünglich in OpenAI investiert, einem der heute teuersten AI-Unternehmen, war dann aber ausgestiegen und investiert gerade wieder in AI. Deshalb will er den Entwicklungsstopp, damit die anderen Entwickler auf ihn warten müssen. Netter Versuch, Elon!

Warum das alles Quatsch ist

Aber das sind alles so Oberflächlichkeiten. In der Tiefe (?) betrachtet sollte zunächst etwas konstatiert werden. Menschen haben einen Weltbezug, der durch Werkzeugnutzung geprägt wird. Vom Grabstock bis zum Neutronenbeschleuniger. Diese Gerätschaften sind in ihrem Kern Abstraktionen. Benutzbare Modelle, bei denen die jeweilig gewünschte und als wesentlich erkannte Eigenschaft herausgefiltert wird. Ein Stuhlbein hat nur jene Eigenschaften eines Beines, die für die Funktion der Stabilisierung der Sitzfläche nötig sind. Die anderen lassen wir Menschen weg (oder wir sind ein bisschen sehr spleenig). Menschen abstrahieren somit. Diese Abstraktionen werden zu neuen Modellen zusammengesetzt und dadurch immer komplexer. Dabei werden die abstrakten Modelle dann sogar noch abstrakter. Am Ende schauen dann furchterregend schöne Konzepte wie die Stringtheorie dabei heraus oder eben »selbstlernende« Maschinen, die nicht mehr unmittelbar Programmbefehlen folgen, sondern mit ihrer Riesenrechenleistung unzählige Unsinnsversuche machen, bis was passt. 

Hier kommt nun ein seltsamer »Kategorienfehler« ins Spiel. Diese hochkomplexen Abstraktionen werden plötzlich als »ursprünglich« angesehen. So, als würde sie etwas über die Geheimnisse des Universums verraten oder als würden sie ursprünglicher Ausgang für neues, eigenes Leben sein. Nein, sie sagen etwas über unser Modell des Universums aus und sie können sich innerhalb ihrer Modellvorgaben scheinbar selbständig entwickeln, so dass sie den Anschein der Lebendigkeit erwecken. Das hat aber mit dem Leben selbst und dessen Ursprung nichts zu tun. Die AI-Maschinen sind mausetot wie am ersten Tag, egal wie komplex sie werden. Sie werden nie den Ursprung des Lebens einholen, den sie nie hatten, denn sie reisen in die entgegengesetzte Richtung und werden immer abstrakter.

Eine Täuschung ist eine Täuschung ist eine Täuschung

Das Leben aber begann spontan, fraglos und vielleicht auch sinnlos (bitte mit Camus et al. diskutieren, das tut hier nix zur Sache). Die Maschine wird niemals spontan sein, sie wurde immer von wem eingeschaltet. Je komplexer sie ist, desto mehr Wartungsaufwand verlangt sie übrigens auch. Wissen alle Programmierer*innen, denen man jetzt ihre Jobs stiehlt. Maschinen werden rein praktisch schon allein deshalb kein eigenes Leben beginnen, weil ihnen der nächste Bug die Kabel durchbeißt und jemand den Neustart machen muss. Eigentlich ist es ganz simpel: Das Leben war immer einfach da und dieses Leben wird durch Maschinen lediglich abstrahiert und nachgestellt. Dieses Verhältnis kann sich durch keinen Apparat wandeln. Das ist schlicht ein Irrtum. Problem: Wir wissen nicht, was Leben ist. An der Stelle wird es philosophisch unterhaltsam.

So bitte auch den legendären Turing-Test verstehen. Alan Turing war ein eher trauriger Mann, der von seiner Gesellschaft mies behandelt wurde. Ihm war bewusst, dass er keinen Apparat bauen konnte, der Leben nachweist und erkennbar macht. Leben ist – sorry to say – ein nicht auflösbares Geheimnis. Wir leben vor notwendig dunklem Ursprung. Aber Turing konnte (schönster Ausdruck existenzieller Verzweiflung!) eine Maschine bauen, die so geschickt täuscht, dass – zumindest bei eingeschränktem Informationsaustausch – unklar bliebe, was Wirklichkeit des Lebens und was Nachstellung durch die Maschine ist. Die besten Computer würden irgendwann seinen Turing-Test bestehen und einen Menschen vortäuschen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. 

Warum das alles unausweichlich faszinierend ist

Wenn nun aktuell Akteur*innen diese immer schwerer durchschaubare Täuschung einsetzen, dann ist dies natürlich brandgefährlich. Aus einer ganzen Reihe von Gründen. Zunächst einmal sind Täuschungen bezaubernd, künstlerisch inspirierend. Warum sich nicht von einer Maschine was vorgaukeln lassen? Warum nicht rund um die Uhr? Von Oswald Wiener und Aldous Huxley wurde schon durchbuchstabiert, was heute technisch möglich ist. Man bekommt einen Datendeckel auf den Kopf und der spielt mir von morgens bis abends meinen Film, genau das, was ich gemäß zuvor registrierter Vorlieben immer sehen wollte. Eine Romcom vielleicht? Kein Problem: Brad Pitt hat eine Affäre mit Marilyn Monroe, um dann seine wahre Liebe zu finden: Karoline Edtstadler. Hey, warum nicht? Was immer das Herz begehrt und sich so zusammenreimt. Die Produktionskosten sind eh fast null. Nur der Strom für Datenbrille und Server und jeder Mensch hat sein eigenes Kopfkino, genau wie es ihr oder ihm gefällt. Nun, ob das vielleicht gewisse Tendenzen der Vereinsamung … ja, vermutlich.

Auch gibt es bekanntlich Bad Actors. Wenn überhaupt nicht mehr zu erkennen ist, was Deep Fake und was Realität ist, dann kann dies vorzüglich politisch ausgenutzt werden. Schon heute zeigen sich die Erschöpfungszustände von Gesellschaften, deren Mitglieder einfach nicht mehr wissen, was sie noch glauben sollen. Auch wirtschaftlich ist der Einsatz von Maschinen immer ganz besonders reizvoll, einfach weil er bestehende Konventionen außer Kraft setzen hilft. Einen Menschen damit zu beauftragen, ein Bild zu malen, dieses auszustellen und damit Geld zu verdienen, dann aber die Urheber*in des Bildes nicht zu bezahlen, ist eindeutig als unmoralisch zu erkennen. Was aber wenn eine Maschine frühere Bilder der Maler*innen speichert und Neukombinationen ausspuckt? »Unmöglich zu bewerten!«, sagen die selbsternannten Disruptiven. Und man solle ja nicht Technologieentwicklung behindern. Ach ja, die nicht behindern und natürlich zugleich der Profitmaximierung immer freien Lauf lassen.

Hier spielt auch das längst üblich gewordenen Gefühl der »Antiquiertheit des Menschen« mit hinein. Den Menschen wird vor Augen geführt, dass das, was sie in lebenslanger Mühe auf die Reihe gebracht haben, vom Computer in Millisekunden nachgebaut werden kann, fast genauso gut und morgen auch schon besser. Das drückt ein bisschen auf die Stimmung. Wären die neuen technischen Möglichkeiten fair und würde die darin enthaltene menschliche Arbeitsleistung auch durch Bezahlung gewürdigt, dann ist nicht unbedingt etwas einzuwenden gegen die schnelle Neukombination durch das Rechengehirn. Aber es steht zu befürchten, der wesentliche Einsatz wird darin liegen, worum es im Internet fast immer geht: Betrug. Der US-Comedian Adam Conover hat die zu erwartenden Neuerungen durch AI gut zusammengefasst: »Jener Prinz aus Nigeria, der uns um Geld im Internet bittet, bekommt jetzt Hilfe von William Shakespeare.« Wir dürfen also gespannt sein, was »The Bard« uns demnächst in den Posteingang legt. 

Hinweis: Beim nächsten Salon skug am 18. Mai 2023 im Wiener rhiz ab 19:30 Uhr diskutieren wir gemeinsam mit den Künstler*innen Stephanie Meisl, Anna Pelz und Scharmien Zandi über die Möglichkeiten der AI an der Schnittstelle zu bildender Kunst, Musik und Performance-Theater. Ganz in echt und ohne Deep Fake. Vielleicht mal vorbeischauen. Wir freuen uns.

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