Ry Cooder © Joachim Cooder
Ry Cooder © Joachim Cooder

Revitalisierte Spirituals wider Rassismus und Rechtspopulismus

Ryland Peter »Ry« Cooder krönt sein Lebenswerk mit »The Prodigal Son«, auf dem er Gospel und Spiritual Traditionals revitalisiert und dem rechtsradikalen Backlash mit alttestamentarischen Werten und humanistischen Lyrics begegnet.

Spätestens mit seiner gefühlvollen Slide-Gitarre auf »Love in Vain« für die Rolling Stones gilt Ry Cooder als unbestrittener Maestro der Bottleneck-Gitarre. Doch sein Werkkatalog zählt nicht nur zahlreiche Einträge auf Platten von Gordon Lightfoot über Bob Dylan bis zu Van Morrison und Mavis Staples. Wichtiger ist seine Begeisterung für lokale Volksmusik. 1974 schon spielte Cooder Alben mit hawaiianischen Musikern unter Leitung des Steel-Gitarristen Gabby Pahinui ein. Er arbeitete mit den Chieftains oder Ali Farka Touré und bekam für seine Kollaboration mit dem indischen Gitarristen Vishwa Mohan Bhatt 1994 einen Grammy verliehen. Dass er den kubanischen Son mit dem Buena Vista Social Club aus der Vergessenheit holte und alten Musikern des historisch geglaubten Musikstils zu späten Weltkarrieren verhalf, sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt.

»Shrinking man«
Doch ist der am 15. März 1947 in Los Angeles Geborene auch ein politischer Kopf. 1979 war Cooder beim »No Nukes«-Konzert im New Yorker Madison Square Garden dabei. Mit Bruce Springsteen, Little Steven and The Disciples of Soul und Jackson Brown wurde gegen die militärische und zivile Nutzung der Atomenergie protestiert. Der fatale Finanzcrash 2007/2008 ließ ihn vermehrt Stellung gegen Banker, Bodenspekulanten und Politiker am Gängelband der Großkonzerne beziehen. Explizit geschieht das auch auf dem im Mai erschienen Album »The Prodigal Son«. Der Auftakt »Straight Street« ließe zunächst darauf schließen, dass Ry Cooder versöhnlich und altersmilde geworden ist, wegen Mandoline und gospelig angehauchter Ballade samt religiösem Inhalt: »Well I used to live on broadway / right next to the liarʼs house«, was durchaus politisch gedeutet werden sollte. Der Protagonist im Pilgrim-Travelers-Song (1955) findet Gott sei Dank neue Freunde und damit auch seinen inneren Frieden.

Darauf folgen zwei Uptempo-Eigenkompositionen, die sonnenklar machen, dass es einer Rücknahme der Gier bedarf, damit die Welt nicht an die Wand gefahren wird. Ein schrumpfender Mensch sollte eigentlich Prediger sein, mit der schönen Conclusio-Zeile: »You donʼt rob the land when youʼre just a little old shrinking man«. Politisch noch eindeutiger wird Cooder in »Gentrification«, das er mit fröhlichem Keyboard-Pfeifen kontrastiert. Ein im Herzen der City (im Falle Cooders Santa Monica, noch unter 100.000 Einwohner zählende Stadt im Westen von Los Angeles County) Lebender konstatiert: »Gentrification is here, shoʼ is worryinʼ my mind / canʼt understand why an uptown Google man wants a downtown room like mine«.

Ry Cooder © Joachim Cooder

»Everybody ought to treat a stranger right«
Der Tod zweier Mitwirkender dürfte auch eine Rolle dabei gespielt haben, dass »The Prodigal Son« teils sehr das Mitdenken des Jenseits ausstellt. Robert Francis (1944–2017) spielt Bass auf Alfred Reeds »You Must Unload«, einem spirituellen Traditional aus 1927, in dem dazu aufgefordert wird, von der Gier zu lassen, um das Seelenheil erlangen zu können. Terry Evans (1937–2018) ist neben Arnold McCuller und Bobby King einer der drei gewaltigen Blues- und Gospel-Vokalisten, die »The Prodigal Son« noch mehr zu einem umwerfenden Ereignis machen – wenn auch nur auf wenigen Songs wie »Everybody Ought to Treat a Stranger Right«: Der Gospel-Stomper beruht auf einem Traditional in der Interpretation von Blind Willie Johnson und besteht darauf, dass die Menschenrechte zu achten sind, wenngleich hier im christlichen Narrativ besungen. »You must always treat a poor stranger right and accept him in your home« ist eine gegen den rechten Backlash gerichtete Schlüsselzeile daraus.

Zentral genial: »The Prodigal Son«, worin Ry Cooders Slide-Gitarre röhrt, dass es eine helle Freude ist. Die Musik nimmt wie ein Güterzug Fahrt auf, Cooder schaltet den Bass selbstgespielt als Overdub zu und Sohn Joachim Cooder, der einzige dauerhafte Weggefährte an Drums und Percussion, lässt ebenso gehörig Dampf ab. »I believe that I will go back home« ist dank Evans/McCuller/King ein unglaublich kraftvoller Chorus und die Instrumente rollen voller Grandezza. Der »verlorene Sohn«, der als Aschenbecherausleerer dem legendären Pedal-Steel-Gitarristen Ralph Mooney zu Diensten war, ist zurück bei seinem Vater und antwortet auf dessen Frage, ob er die Engelsband höre: »… dim lights, thick smoke, and loud, loud music is the only kind of truth I’ll ever understand«.

Die Haupttrademark in Ry Cooders Solowerk, das Zurückgreifen auf US-Rootsmusik, ist hier lebendiger denn je. Der Schwerpunkt liegt auf schwarzer und weißer Gospelkirchenmusik, die in der Interpretation durch Cooder noch an Spirit und Frische zulegt. Großartig auch »Nobodys Fault But Mine«, Blind Willie Johnsons Auslegung biblischen Ausmaßes, in welcher gespenstische Keyboardsounds herumschleichen und auf die unvergleichliche, gleichfalls unheimliche Western-Slide-Gitarre Cooders stoßen: »If I don’t do right, my soul will be lost!« Ist es Terry Evans gottesfürchtige Stimme, die hier anhebt, oder doch jene Ry Cooders, die an Expressivität noch mehr gereift ist? Auch das stramm vorwärts rollende »I’ll Be Rested When the Roll Is Called« nach Blind Roosevelt Graves strotzt vor Spiritual-Energie, wenngleich hübsch mit Banjo instrumentiert. Und das countryeske »Harbour Of Love« der Stanley Brothers spiegelt noch mehr Frömmigkeit wider. Die Pedal-Steel-Gitarre als Himmelfahrtsinstrument – eines Tages wirst du dort deine Freunde treffen.

Ry Cooder © Joachim Cooder

»Jesus and Woody«
All das kulminiert in bitterer Konsequenz. »Jesus and Woody« beschert Gänsehaut, gerade wegen seiner Bescheidenheit im Klang. Ry Cooder rechnet ab mit dem Unvermögen der Linken, der Rachsucht und dem Hass der rechten Eliten und ihrer Follower, die alles rückgängig machen, was in jahrzehntelangen Kämpfen errungen wurde, nichts entgegensetzen zu können. Jesus lädt Woody Guthrie ein, neben ihm am himmlischen Thron Platz zu nehmen und rät dazu, dass sich die guten Menschen besser zusammenschließen sollten, ansonsten sei jede Chance gegen die dräuende Hass- und Kriegsmaschine, die Zerstörung und Schmerz bringt, vertan … »So sing me a song ’bout this land is your land / and fascists bound to lose / You were a dreamer, Mr. Guthrie, and I was a dreamer too«. Inmitten von Ry Cooders Lyrics ist Woody Guthries Single »Jesus Christ« mit dem Logo »Asch Records New York« abgebildet. Da hilft nur noch ein durchgeistigtes Spiritual als Draufgabe: »In His Care«.

Ry Cooder stand als Session-Musiker, Soundtrack-Komponist und Protegé von »Ethno«-Musik lang vor deren Vermarktung als Weltmusik für eine Politik der Umwelt und sozialen Gerechtigkeit ein. Mit »The Prodigal Son« hält er 2018 den rechten Rassisten und Hassschleuderern die Bibel als Spiegel vor. Tauglich ist das nur bedingt, denn gegen Rechtspopulismus und Nationalismus hilft nur die Waffe der Aufklärung. Es geht um die ständige Verteidigung der säkularen Demokratie mit linken Positionen wie Feminismus, Verteilungsgerechtigkeit und Einforderung internationaler Verständigung, etwa über die äußerst nötige Regulierung der Finanzmärkte und ökologische Steuerreformen. Die Zivilgesellschaft ist gefordert, ihre Bürgerrechte auf Gemeinwohl etc. einzufordern. Um es mit Martin Luther King Jr. zu sagen: »I have a dream!«

Ry Cooder: »The Prodigal Son« (Fantasy/Perro Verde/Caroline Int./Universal)

Link: http://rycooder.com

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