Peta Klotzberg © Monika Jantschnig
Peta Klotzberg © Monika Jantschnig

Diebstahl öffentlicher Räume

Mia Zabelka hat die Vision einer virtuellen Agora jenseits privatwirtschaftlicher Interessen bereits 1991 ausgelotet. Von 1. bis 3. Oktober thematisiert das feministisch inspirierte Sound Art Festival PhonoFemme 2021 den »Raub« an öffentlich Möglichem. Ein spannendes Interview mit der Kuratorin.

International Festival for Women in Sound Art and Experimental Music wird das Festival, welches on-site in der Seestadt Aspern, on air im Ö1 Kunstradio und online in Form von Live-Streamings vom 1. bis 3. Oktober 2021 stattfinden wird, in voller Länge genannt. In erster Linie soll PhonoFemme der Förderung und dem Austausch von Künstlerinnen dienen, doch werden auch Teilnehmer anderer Geschlechter eingebunden. Heuer beispielsweise der in zahlreichen Texten im skug gepriesene Phil Niblock. Grundsätzlich thematisiert Mia Zabelka, Kuratorin des Festivals, die demokratiepolitisch äußerst bedenkliche Privatisierung öffentlicher wie digitaler Räume aus der Sicht von Frauen. Bereits 1991 war die E-Violinistin/Elektronikmusikerin/Komponistin fürs Ö1 Kunstradio an realzeitlichen Tele-Interaktionen beteiligt. Damals, noch vor dem Internetzeitalter, war der öffentliche Raum noch wesentlich demokratischer verteilt, wenngleich etwa der Autoverkehr (früher spielten Kinder auf der Straße) bereits viel private Aneignung zur Folge hatte. Es gab aber noch die Utopie, dass der öffentliche Raum sozial und gemeinnützig gestaltet sein sollte. Dass leider die reale wie virtuelle Öffentlichkeit heute mehr und mehr Kapitalinteressen zum Opfer fällt, wird im E-Mail-Interview mit Mia Zabelka ebenso erörtert wie auch das künstlerische Programm von PhonoFemme 2021.

skug: Viele heurige Festivals sind als Reaktion auf die Pandemie konzipiert worden. Auch PhonoFemme beschäftigt sich 2021 damit und thematisiert dabei zweierlei. Die Privatisierung des öffentlich Raumes im Urbanen als auch Virtuellen. Was meint Slavoj Žižek außer der Preisgabe aller Daten an die Internetgiganten noch?

Mia Zabelka: Städtebaulich sind öffentliche Räume und Plätze sowie entsprechende Einrichtungen in öffentlichen Gebäuden von großer Bedeutung, um die politische Öffentlichkeit, ein wesentliches Merkmal demokratischer Systeme, zur Wirkung kommen zu lassen. Sie lässt sich ja auch weit in die europäische Geschichte zurückverfolgen, bis zur griechischen Polis, mit der Agora im Zentrum, und der Anlage der römischen Urbs. In »Zehn Bücher über Architektur« von Vitruv beispielsweise finden sich bereits Hinweise für die Bedeutung öffentlicher Plätze, Märkte und Foren für eine funktionierende Stadtgesellschaft. Im Netz gibt es aber keine Straßen und Plätze, die der herkömmlichen Vorstellung von Öffentlichkeit entsprechen. Die meisten Orte in der digitalen Welt kann man zwar frei betreten, aber sie gehören privaten Unternehmen. Manche der Eigentümer verlangen als Eintrittspreis sogar den Verzicht auf Anonymität. Diese Unternehmer haben selbstverständlich private Interessen. Es gibt also diese vollkommen unabhängige virtuelle Agora, die wir uns so sehr wünschen, in Wirklichkeit noch nicht. Die eigentliche Illusion ist somit, dass es sich bei Google, Facebook, Twitter etc. um öffentlichen Raum handle. Es sind jedoch Unternehmensbereiche, die sich vielleicht anfühlen wie öffentlicher Raum, in denen aber logischerweise das Hausrecht des Betreibers gilt. Was in den sozialen Netzen passiert, ist somit eine bisher beispiellose Privatisierung von Öffentlichkeit, auch wenn innerhalb dieses privatisierten Bereichs neue Formen von Öffentlichkeit entstehen.

Rahel Kraft © Josephine Müller

Ein krasses Beispiel für die Privatisierung öffentlichen Raums in Wien ist die unregulierte Bauwut. Allzu oft werden Betongoldbauten schon vor Fertigstellung an internationale Finanzkonzerne verkauft. Viele Gebäude sind dann nur Geldanlage. Jegliche Stadtregierung müsste darauf mit einer Leerstandsteuer reagieren, was aber kaum passiert. Welche Aneignungen öffentlichen Stadtguts thematisiert PhonoFemme?

Der öffentliche Raum der Städte ist – wie wir wissen – assoziiert mit: Demokratie, Individualisierung und gesellschaftliche Integration ohne Verlust der Differenz. Seit einiger Zeit rückt aber die Frage »Wem gehört überhaupt die Stadt?« in den Vordergrund. Als Ursache dafür werden Entwicklungen gesehen, die am uneingeschränkten Fortbestehen des öffentlichen urbanen Raums zweifeln lassen. Städtische Bereiche werden privatisiert bzw. neuen Nutzungen unterworfen, so dass die mit der Stadt assoziierte Öffentlichkeit zu verschwinden scheint. Öffentlicher Raum, der bis vor kurzem als eine Domäne sozialer Gemeinschaftlichkeit angesehen wurde, wird in der realen wie auch in der digitalen Welt in zunehmendem Maß wirtschaftlichen Interessen untergeordnet.

Warum setzt sich PhonoFemme heuer mit diesem Thema auseinander?

Uns interessiert dieses Thema vor allem aus der Perspektive der Frauen. »Privat« im ursprünglichen Wortsinn bedeutet (öffentlicher Möglichkeiten) »beraubt«. Familiär privatisierte Personen wurden feminisiert und entmächtigt, die der Öffentlichkeit zugeschriebenen Personen wurden maskulinisiert und ermächtigt. Die Frauenbewegung forderte daher von Anfang an, das Private öffentlich zu machen. Jedoch heutzutage, aufgrund verschärfter Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der Menschen nach 9/11, aufgrund massiver Verletzungen von Privatheit, ist dieses Ziel längst überholt. Es ist daher erforderlich, Privatheit geschlechtersensibel zu reformulieren. Was ist öffentlich? Was ist privat? Öffentlichkeit und Privatheit sind im Grunde ungenaue Begriffe und lassen sich nicht so exakt trennen. »Öffentlichkeit« wird auf die Institutionen Staat, Parteien, Kunst und Medien reduziert, »Privatheit« zu Ehe, Familie, Freundeskreis und Markt vereindeutigt. Doch diese Vereindeutigung bleibt immer ambivalent: Aus der Perspektive des Staates gilt z. B. der Markt als »privat«, aus der Perspektive der Privatpersonen/der Familienwirtschaft jedoch als »öffentlich«. Der zeitgemäße Feminismus fordert daher die Aufdeckung der Grauzonen, die Grenzneuziehungen zwischen Öffentlichkeit und Privatheit sowohl im realen als auch im virtuellen Raum. Frauen brauchen sowohl Schutz vor dem Staat (z. B. Thema Abtreibung), als auch durch den Staat (z. B. Thema Gewalt).

Jedenfalls finden Klanginstallationen im öffentlichen Raum der Seestadt, im virtuellen Space des Internets bzw. on air im Ö1 Kunstradio statt. An welchen Orten, die Akustik mit Charakter haben, werden Performances stattfinden, mit welchen Artists?

Im Rahmen von PhonoFemme 2021 werden wir den realen und virtuellen öffentlichen Raum mit experimentellen Klängen von Komponist*innen bespielen. Im Vorfeld zu dem Festival wurden die Künstler*innen eingeladen, Klangerkundungen im öffentlichen Raum der Stadt Wien machen: An Orten in der Seestadt, die eine besondere Akustik besitzen, performen schließlich die Künstler*innen live und/oder gestalten Klanginstallationen.

Am ersten Tag wird es in Kooperation mit der künstlerischen Plattform Experimental Intermedia New York und dem Österreichischen Kulturinstitut New York eine audiovisuelle Online-Performance unter Mitwirkung von Phill Niblock, Katherine Liberovskaya, Daniel Neumann und mir geben.

Am zweiten Tag werden in der Seestadt drei Klangstationen bespielt. Die erste Station wird von Rahel Kraft gestaltet, die zweite von Peta Klotzberg und Christian Tschinkel, an der dritten Station finden Klanginstallationen von Zahra Mani, Viv Corringham, Tracy Lisk und mir statt. Ein Guide führt die Besucher*innen von Station zu Station.

Am dritten Tag schließlich findet PhonoFemme 2021 im Ö1 Kunstradio on air statt. Mitwirkende sind Rahel Kraft, Peta Klotzberg, Christian Tschinkel, Zahra Mani, Tracy Lisk, Viv Corringham und ich.

Funktionieren die Klanginstallationen in der Seestadt auch alleine in der Wahrnehmung zufälliger Passant*innen?

Ja, selbstverständlich! Das Schöne an dem künstlerischen Wirken im öffentlichen Raum ist ja, dass man nicht nur ein geladenes Publikum erreicht, sondern eben gerade auch die zufällig Vorbeikommenden. Das Feedback ist immer sehr speziell und auch sehr anregend für die künstlerische Arbeit.

Viv Corringham © Pat Lugo

PhonoFemme hat heuer auch männliche Künstler im Programm. Was hat dazu bewogen, am Festival nicht mehr nur Frauen teilnehmen zu lassen?

Von Anfang an haben wir immer wieder auch männliche Künstler einbezogen. Wir möchten niemanden ausgrenzen. Wichtig ist uns in erster Linie die Projektidee, das künstlerische Konzept. Wenn dieses die Einbeziehung eines Mannes vorsieht, sind wir damit vollkommen einverstanden. Der Kunst ihre Freiheit! 2009 – im Rahmen der Erstausgabe von PhonoFemme – hatten wir im Übrigen die kroatisch-französische Transgender-Künstlerin ISABEL eingeladen.

Phill Niblock (USA) und Arun Natarajan (Indien) werden sich sicherlich nur virtuell einklinken?

Ja, selbstverständlich. Auch Katherine Liberovskaya und Daniel Neumann, ebenso wie Phill Niblock, aus New York.

Was auf deine historische Pionierrolle verweist. Im Rahmen des Ö1 Kunstradios hast du bereits 1991 interaktiv aufgegeigt. Du hast damals mittels Arminterfaces einen Violinroboter ferngesteuert bzw. Gerfried Stocker (heute künstlerischer Leiter der Ars Electronica) einen Schlagzeugroboter mit Datagloves. Bitte erzähle mehr über diese Ursprünge der Tele-Performance, die auch beim Prix Ars Electronica ausgezeichnet wurde, und wie hat sich das für dich weiterentwickelt?

Im Rahmen der Projekte »Chip Radio« und »Realtime« wurde – noch vor dem Internetzeitalter – die vorgefundene Infrastruktur der Daten- und audiovisuellen Übertragungsnetze zwischen drei ORF Landesstudios von uns Künstler*innen besetzt und zu einem Instrument vielschichtiger realzeitlicher Tele-Interaktion. Die an »auseinanderliegenden Orten versammelten« Musiker*innen agierten somit über die Tiefe der geographischen Entfernungen hinweg in von ihrem Wesen her ortlosen elektronischen Netzen, in einem Raum, der keine andere Grenze kennt als die der Ausbreitungsgeschwindigkeit der elektromagnetischen Wellen. Beide Projekte konfrontierten das distributive Massenmedium Radio mit der Realität interkommunikativer Netze, um in diesem Spannungsfeld die Möglichkeiten beider Medien auszuloten. »Realtime« wurde darüber hinaus auch im österreichischen Fernsehen live übertragen. Somit könnte man auch sagen, dass wir damals tatsächlich die Vision einer virtuellen Agora – noch jenseits privatwirtschaftlicher Interessen – künstlerisch ausgelotet haben. Ich habe ebenso den Eindruck, dass die öffentlich-rechtlichen Sender zu dieser Zeit ihren Bildungsauftrag wesentlich besser erfüllt haben als heute.

Somit ist es keine Neuerung, wenn verstärkt auf hybride Formen des Musizierens zurückgegriffen wird. Vermisst du die vielen Reisen zu internationalen Gastspielen? Wie viele waren das 2019 im Vergleich zu 2021 und wird dieses »Flugmeilensammeln« nach Überwindung der Pandemie wieder stark zunehmen?

Ich finde es großartig, dass wir aufgrund der Pandemie diese hybriden Formen im künstlerischen Bereich wieder gefunden haben und somit Veranstaltungen, die on-site, online und on air stattfinden, miteinander verschränken können. Sie müssen aber jeweils speziell gestaltet werden. Lediglich eine 1:1-Übertragung funktioniert meiner Meinung nach nicht immer. Ich habe aus der Pandemie gelernt und werde in Zukunft sicher nicht mehr so viele internationale Reisen unternehmen, wenn ich auch die Möglichkeit habe, an Streaming-Veranstaltungen teilzunehmen. Außerdem nimmt mir das viele Reisen Zeit und Energie, die ich für das Komponieren in meinem Tonstudio brauche.

Zum Schluss bitte ich noch um eine kurze kuratorische Notiz, was die für PhonoFemme 2021 gewählten Künstler*innen jeweils auszeichnet:

Peta Klotzberg – eine wunderbare Schauspielerin und Autorin mit großer Leidenschaft für Klangkunst.

Katherina Liberovskaya – eine international renommierte Videokünstlerin, die in Montreal und New York lebt.

Tracy Lisk – eine der international spannendsten Klangkünstler*innen und -performer*innen am Schlagzeug aus den USA.

Zahra Mani – eine der interessantesten Klangkünstler*innen mit Elektronik und E-Bass, die in ihren künstlerischen Arbeiten immer ihre multikulturelle Herkunft thematisiert.

Phill Niblock – einer der weltweit bedeutendsten Minimal-Music-Komponisten aus New York.

Viv Corringham – eine wunderbare Vokalistin und Klangkünstlerin aus UK/USA, bekannt für ihre »Sound Walks«.

Rahel Kraft – eine junge Schweizer Klangkünstlerin, die derzeit gerade wieder von Wien zurück nach Basel übersiedelt.

Arun Natarajan – E-Bassist, DJ, kommt aus dem Death-Metal-Bereich mit großer Leidenschaft für Klangkunst.

Christian Tschinkel – einer der wichtigsten Akusmatiker in Österreich.

Daniel Neumann – junger Klangkünstler und Ton- bzw. Streamingtechniker aus Deutschland, der derzeit in New York lebt.

Mia Zabelka – in welcher Konstellation? In Kooperation mit Arun Natarajan.

https://www.facebook.com/phonofemme

favicon

Unterstütze uns mit deiner Spende

skug ist ein unabhängiges Non-Profit-Magazin. Unterstütze unsere journalistische Arbeit mit einer Spende an unseren Verein zur Förderung von Subkultur. Vielen Dank!

Verwendungszweck: skug Spende, IBAN: AT80 1100 0034 8351 7300, BIC: BKAUATWW, Bank Austria

Ähnliche Beiträge

Nach oben scrollen