Peter Brook in seinem Theater in Paris © Thomas Rome, Flickr, CC BY 2.0
Peter Brook in seinem Theater in Paris © Thomas Rome, Flickr, CC BY 2.0

Peter Brook (1925–2022)

Der übergroße Regisseur und Theoretiker eines modernen Theaters Peter Brook ist am 2. Juli 2022 im Alter von 97 Jahren in Paris gestorben. Seine Ideen sind maßgebend bis heute – sogar ein bisschen für skug.

Zwei wesentliche Dinge hat Peter Brook früh erkannt und in seinem Standardwerk von 1968 »Der leere Raum« leicht verständlich und gut nachvollziehbar ausgeplaudert: Das Theater ist durch das Kino erledigt, wenn es nicht erkennt, dass die Theatererfahrung vierdimensional sein muss, und auf die notwendige Diskontinuität westlicher Zivilisation muss mit Neuschöpfung reagiert werden.

Ein Mensch durchschreitet den Raum

Ein leerer Raum kann eine nackte Bühne sein. Geht ein Mann von einem Ende zum nächsten, ist dies möglicherweise bereits eine bedeutende Spielhandlung. Sie muss aber als solche begriffen werden. Das »tödliche Theater« hingegen bietet »tödliche Langeweile«, indem sich das Publikum die harten Hintern aufs weiche Theatergestühl bettet und sehen muss, wie vor ihm ein Dispositiv hinter dem roten Samtvorhang auftaucht, das festen Regeln gehorcht, die sehr ermüdend sein können. Dieser Blick auf ein belebtes Tableau ist der Wirkung des Kinos notwendig unterlegen, weil dies zwar ins etwa gleiche Gestühl des Kinosaals zwängt, dann aber per Kameraschwenk in die Sterne reisen lässt.

Darin mag durchaus ein verwirklichter Theatertraum liegen, schließlich verfügt dieses seit der Antike über eine Illusionsmaschinerie, die Darsteller*innen aus dem Boden auftauchen lässt und ähnliches. Aber das Theater war die längste Zeit nicht an die Konvention »Vorhang auf und Schnauze zu im Publikum!« gebunden, sondern versuchte, die Bewegtheit des mittelalterlichen Marktplatzes in seiner Spielhandlung einzufangen. Sei’s, weil es auf den Marktplatz platzte, oder weil es diesen erzeugte. In der aus heutiger Sicht medienärmeren Welt war die Theateraufführung willkommener Anlass zu allen möglichen anderen sozialen Interaktionen. Diebstahl, Prostitution (nicht alle davon muss man notwendig mögen), aber auch gesellschaftliche Aushandlung, Debatte, Warenaustausch – im weitesten Sinne Kommunikation.

Mit seinen – darf man sagen – bescheidenen Möglichkeiten, hat der Salon skug auf Rädern übrigens nachvollzogen, was uns Brook immer sagen wollte. Wer sich beispielsweise in einen Gastgarten setzt, errichtet zwischen sich und den Gästen einen imaginären Theatervorhang. Einmal hochgezogen, erwartet sich das Publikum gefälligst Show und ist in seiner Bierruhe gestört, wenn ihm die Darbietung missfällt. Als Zeug*in einer Intervention im öffentlichen Raum, wo sich das Theaterzelt (bei uns ist es ein Sonnensegel, bemalt von Philipp Haller) entspannt, kann man vorbeigehen (das machen die meisten) oder innehalten und zuhören. Im Yppenpark in Wien lag mitten auf der »Bühne« ein Trinkbrunnen, den die Marktbesucher*innen weiter nutzten. Wer sich einfangen lässt, ist Teil eines theatralischen Raum-Zeit-Gefüges, das das Kino niemals bieten kann.

Kontinuität und Diskontinuität

Brook erkannte ebenso klar, dass westliches Theater, anders als beispielsweise fernöstliche Theaterformen, keine lebendige Tradition hat. Sicherlich, es wurden Dinge aufgeschrieben, aber kein lebender Mensch kann sagen, was Molière, Shakespeare oder Schiller aus diesen Worten gemacht haben. Waren sie vielleicht derber, als uns lieb ist? War das mehr Eucharistie als Entertainment? Kaum zu sagen, es gibt unzählige Beschreibungen von Aufführungspraxen des 18. Jahrhunderts, aber das sind eben auch nur Beschreibungen. Es ist wie mit der Musik des 13. Jahrhunderts, Worte und eine gewisse Notation liegt in alten Manuskripten vor. Aber wie es wirklich klang und was es anvisierte, ist heute pure Spekulation. Vielleicht war alles viel mehr … Drone?

Aus der diskontinuierlichen Aufführungspraxis müssen Konsequenzen gezogen werden. Die Kontinuität der Literatur, der ungeheuren Textmassen alter Theaterstücke, hat nur dann einen Sinn, wenn diese – in gewisser Weise unverständlichen – Manuskripte in neuem Ton und Duktus auf die Bühne kommen, sie müssen den vorbeieilenden »Mann, der den Raum durchschreitet« einfangen und zum Gegenstand und Ziel eines neuen und lebendigen Theaters machen. Versucht wird dies bis heute oft, gelingen tut es eher selten. Die üblichen leergeräumten Bühnen (Kostengründe!) der Schultheaterinszenierungen von »Les mains sales« atmen nicht immer Brookschen Geist, auch versuchen kleinere und mittlere Bühnen gerne alles Mögliche an Avantgarde, vom Festschrauben des Publikums unter der Decke bis zum Eingraben im Keller. Raummagie wird das nicht notwendig.

Peter Brook konnte hingegen eine ungewöhnliche Mischung aus Lust an der Gaukelei und zuweilen tragischer Schwere des Mythos aufrechterhalten, die gutes Theater braucht. Man muss zugleich alles lustig finden und dennoch jede Geste ernst nehmen. So als sei es die letzte, die kaum gesehen, lautlos einen Hauch in die Ewigkeit entsendet.

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