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Pausen sind eine Tugend

Für Hüsker Dü, die Band von Grant Hart und Bob Mould, prägte der große Werner Geier den Slogan von der rasenden Gescheitheit. Grant Hart war lange verschollen, nun beehrt er überraschend im Spätherbst Europa. Er darf jetzt von einer neuen Generation entdeckt werden und an die alten Fans ergeht ein Aufruf: Lasst die Nostalgie zuhause. 

 

Foto: © Manfred Rahs

Warum
Wenn Grant Hart nur der Drummer von Hüsker Dü gewesen wäre, wäre er eine Legende. Wenn er nur sein Solodebüt »Intolerance« aufgenommen hätte und dann untergetaucht wäre, wäre er ein Kultobjekt. Wenn er nur knapp die Hälfte der Hüsker Dü Songs geschrieben hätte, wäre er ein Songwriting-Genie. Grant Hart ist noch keine 50 und schon so etwas wie eine pophistorische Ikone. Dabei schafft er es auch Pausen einzulegen, die letzte dauerte zehn Jahre.

Zehn Jahre
Wenn man ihn nach den letzten Jahren fragt, nimmt er sein Recht auf ausweichende Antworten wahr. Sicher ist, dass die Aufnahmen für sein Ende letzten Jahres erschienenes drittes Soloalbum »Hot Wax« 2005 in Montreal begannen. »Dann war das Studio für eineinhalb Jahre geschlossen, und manche sagten, dass ich das Beste aus den Aufnahmen rausholen soll, aber manchmal investiert man Zeit und Energie, um herauszufinden, was man machen sollte, statt die Arbeit abzuschlie&szligen. Arbeit ist ja auch eine Suche und keine Schlussfolgerung. Dazu kommt, dass man nicht mehr so aufnehmen muss wie früher. Da hatte man ein paar Tage für die basic tracks, ein paar Tage für die Stimmen und ein paar Tage zum Mixen. Heute liebe ich es den einen Drumsound für einen Song zu finden, statt den Sound für ein ganzes Album. Es gibt als Solist keinen Grund so zu tun, als ob man eine Band wäre.«

Solo
huesker.jpgDie meiste Zeit seiner Karriere als Musiker verbrachte Grant Hart in Bands, bevorzugt in klassischen Trios. Nach dem Ende von Hüsker Dü und seinem grandiosen Solodebüt »Intolerance« kehrte er mit seiner Band Nova Mob wieder zu diesem Format zurück. Seit seinem Entschluss, wieder die Gitarre in die Hand zu nehmen, tritt Hart fast ausschlie&szliglich als Solist auf. Die Frage danach produziert wieder eine dieser typischen Antworten, denen nichts mehr hinzuzufügen ist: »Ich mag es mit einer Band zu spielen, aber nachdem ich eine Stadt verlassen habe und nach zwölf Meilen auf dem Highway realisiere, dass ich an keine Tür klopfen musste, um jemanden aufzuwecken und in den Bus zu verfrachten, dann ist es ein gutes Gefühl, diesen Stress nicht zu haben. Wenn du der Name auf dem Poster bist, dann kümmerst du dich darum, dass du zur Show zur richtigen Zeit am richtigen Ort bist, wenn du nur der Sideman bist und nicht auf dem Poster stehst, dann ?? [es folgt eine typische Pause] genie&szligt du deinen Schlaf.«

Fans
Jeder Künstler mit Geschichte hat sich früher oder später damit auseinanderzusetzen, wie er zu seinem eigenen Frühwerk steht. Reduziert er oder sie Konzerte zu einer Abspielmaschine für seine beliebtesten Songs, aufgefettet mit der einen oder anderen Coverversion (wenn gar nichts mehr geht). Oder versucht er, den eigenen künstlerischen Standpunkt im Hier und Jetzt zu vermitteln (so es diesen überhaupt gibt)? Bob Mould hat nach vielen Jahren der Zurückhaltung seine Hüsker Dü Songs ins Repertoire integriert – wie steht Grant Hart zu alten Fans und ihren Wünschen? »Ich kann mit dem Konzept des alten Fans nichts anfangen und bin da auch sehr zurückhaltend. Es gibt viele Menschen in der Midlife-Krise da drau&szligen, und viele sind von dieser Reunionitis befallen. Dabei ist es viel wichtiger zu lernen, Dinge auch loszulassen.« Es ist ihm hoch anzurechnen, dass er, trotz seiner differenzierten Sicht, seine Songs aus den 1980ern nicht ganz negiert. So tauchten in den Shows der letzten beiden Jahre immer wieder generationenübergreifende Werke wie »Don’t Wanna Know, If You Are Lonely«, »Girl Who Lives On Heaven Hill« oder »Now That You Know Me« auf.

SST und der Songwritingpartner  (Foto: Self Portrait)
gselfport.gifIm Geschichtsverständnis der gerade erwähnten alten Fans haben Labels wie SST einen Glorienschein. Irgendwo in einer Kiste liegen vielleicht noch Singles oder Platten von Bands herum, an die man sich nicht erinnert, aber diese schwarzen Scheiben haben den Nimbus der Einmaligkeit und werden zumindest beim Umzug liebevoll behandelt. Grant Hart erzählt die andere Seite der Geschichte: »Das Label [Hart nennt den Namen SST nie], das unsere meisten Platten herausgebracht hat, hat uns seit 15 Jahren keine Abrechnung geschickt, obwohl alle Platten noch erhältlich und jetzt auch herunterladbar sind. Sicher profitierte SST von der Uneinigkeit der Mitglieder, aber das wird nicht ewig so bleiben. Ich hasse es, in eine Position gedrängt zu werden, in der ich um mein Eigentum kämpfen muss. Fakt ist, dass wir für »Zen Arcade« [ein bahnbrechendes Doppelalbum] auf Tour gingen und die Platte war überall ausverkauft. Wir fragten SST: Hey können wir die Platte in den Geschäften haben? Sie sagten, dass Sie im nächsten Monat Covers drucken lassen. Wir sagten dann, zahlt uns später, aber schaut, dass es Nachschub gibt. Das blieb dann so bis zur Auflösung der Band.« Hart hat inzwischen eingesehen, dass es auch an ihm liegt, den gordischen Knoten zu durchschlagen. Als Vorbild könnten ihm die Klagen von Sonic Youth, Dinosaur Jr. oder den Meat Puppets gegen SST dienen, die ebenfalls nie Abrechnungen sahen. Vor einigen Jahren gab es au&szliger Anschuldigungen und Anfeindungen keine Gesprächsbasis zwischen den früheren Partnern Bob Mould und Hart. Mould soll Hart angeblich 15.000 Dollar für die Rechte an Hüsker Dü geboten haben, und Hart hat das (wohl zu Recht) als Affront aufgefasst. Aber 2010 hat sich vieles geändert. »Es stimmt, das können nur Bob und ich lösen, aber unsere Anwälte können nicht so gut miteinander wie wir mittlerweile. Wir haben eine Leben-und-Leben-lassen-Beziehung. Wir haben immerhin nie mehr mit jemanden so lange zusammengearbeitet, und wir haben Respekt füreinander. Es musste viel verziehen werden, aber ich wünsche ihm alles Gute, das er irgendwie auf der Welt kriegen kann.« Was den Sinneswandel auslöste, ist bis dato nicht überliefert, aber die Zeit und der gemeinsame Feind SST, in Gestalt von Greg Ginn, werden ebenso damit zu tun haben, wie der Versuch der beiden, jeweils ein Kind zu adoptieren und sich der eigenen künstlerischen Zukunft zu widmen.

?berraschung

»Ich konnte mit Hardcore nie etwas anfangen« – diesen Satz von einem ehemaligen Hüsker Dü-Mitglied zu hören, überrascht dann doch, aber es folgt eine treffende Begründung: »Ich sah die Songs nur als Slogans, die man vier Mal zu einem schnellen Beat wiederholte, dann wiederholte man etwas anderes, und schlie&szliglich wieder den Slogan. Ich meine, ich mochte es als Zuhörer und als Musiker, aber als Komponist? Nein! Ich begann Songs zu schreiben, die nichts mit Hochgeschwindigkeit zu tun hatten, das öffnete dann die Tür für meine Kompositionen bis zum Ende der Band. Aber worauf ich wirklich stolz bin ist, dass ich sagen kann, dass es kein Hüsker Dü-Album gibt, das ich bedauere, gemacht zu haben.« Und da die Gefahr einer Reunion bis auf weiteres sehr gering ist und auch Festivalveranstalter noch nicht mit dem dicken Scheck gewunken haben, wird das wohl auch so bleiben.
 
Hot Wax

hotwax.jpgGrant Harts letzte Songsammlung zeigt noch immer die Stärken des Komponisten Hart. Er ist einer der gro&szligen Melodiker und auch wenn man nur ein »2541« pro Leben schreibt, ist Hart seinem Qualitätslevel und seinem Hang zum noch nicht gehörten Arrangement treu geblieben und schafft so etwas, was von zurückkehrenden Legenden so selten zu hören ist: Eine Songsammlung, die auch abseits der eigenen Geschichte bestehen kann.

Grant Hart: »Hot Wax« (Con d’Or/Cargo)
Grant Hart trat im Rahmen des Blue Bird Festivals 2010 (25.-27. November 2010) im Wiener Porgy & Bess auf.

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