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Mary Lattimore

»Hundreds of Days«

Ghostly International

Majestätisches Dahingleiten über 47 Saiten und darüber hinaus. Mary Lattimore, gegenwärtig in Los Angeles lebende Harfenistin, hat mit »Hundreds of Days« sieben Preziosen geschaffen, die aufzeigen, dass es Soulfuleres gibt als Muzak oder New-Age-Kitsch. Lattimore erschuf während und in Erinnerung an ihre Artist-Residency im Headlands Center for the Arts in Sausalito eine Art von himmlischem Ambient. Ein Unikat, das sich in aller Ruhe von der Hektik des Alltags abgrenzt und dabei über den Dingen zu schweben scheint. Zumindest über dem mittelkalifornischen Pazifik. Tatsächlich, »It Feels Like Floating« ist ein wahrhaftig sich aufschwingender Auftakt, und das Album hält Kurs und beinhaltet Titel, die ein Adieu in sich tragen, etwa »Never Saw Him Again« oder einen »Gruß vom Rand der Welt«. Naheliegend ist ein wunderschöner Abgesang auf Vergangenes: »Baltic Birch« klingt irgendwie nach einem windschiefen Trauermarsch. Lattimore lässt damit eine Reise nach Lettland Revue passieren, wo sie das mondäne Verwittern verlassener Badeorte entlang der Ostseeküste tief beeindruckte. Gebäude, errichtet aus Birkenholz, tragen selbst in allmählich verrottender Nutzlosigkeit Würde in sich. »Hundreds of Days« klingt also nicht morbide, sondern ist von grandioser Erhabenheit, die auch im melancholischen »Their Faces Streaked With Light and Filled With Pity« nachwirkt. Das alles kulminiert im zum Weinen schönen »On The Day You Saw The Dead Whale«. Vier Synths drehen sich im Kreis, untermalen die Harfenklänge, die auf einem elektronischen Unterbau schweben, leichter Hand aufgebauscht zu einer Art Melodram. Es tönt wie ein Vermächtnis – die Harfe macht elegante Oktavsprünge, die ein letztes Aufbäumen signalisieren. Oder vielmehr das Im-Glück-Schwelgen symbolisieren, das ein lebendiger Wal nicht nur sich selbst, sondern auch der Menschheit nahebringen kann. Hoffentlich ist es nicht zu spät. Schwermut senkt sich über die Welt. Mary Lattimore ist deren geniale Interpretin.

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