Harald »Huckey« Renner © Nicole Renner
Harald »Huckey« Renner © Nicole Renner

Marxman, in memoriam Huckey Renner

Tief getroffen hat uns der frühe Tod von skug-Autor Harald »Huckey« Renner. Der am Tag der Arbeit Verstorbene war ein wichtiger Eckpfeiler der Kapu Linz, Schlagzeuger bei Target of Demand, 7 Sioux, Schwester sowie 3 Falkner und bei Texta für seine grandiose Reimschmiedekunst bekannt. Texta wurden 1993 gegründet und aus demselben Jahr stammt Huckeys Artikel über die Londoner HipHop-Band Marxman, erstmals erschienen in skug #16. Wir veröffentlichen ihn erneut, Huckey zum Gedenken.

skug erscheint seit beinahe 30 Jahren, hunderte AutorInnen lieferten Beiträge. Wenn man so gemeinsam durch die Zeit wandert, dann bleiben diese gewissen schlechten Nachrichten nicht aus und wir hatten leider in letzter Zeit einige davon. Nur, alle Hinweise auf den »Lauf des Lebens« erweisen sich als vollkommen ohnmächtig angesichts des Todes. Der ist nämlich unbeschreiblich schlimm. Im Fall des gerade einmal 51-jährigen Huckey Renner lag zwischen Krebsdiagnose und seinem Ableben kaum ein Jahr. Uns bleibt nicht mehr, als Familie, Angehörigen, Freunden und Kollegen Kraft zu wünschen, und wir tun gar nicht erst so, als könnten wir diesen Schrecken begreifen.

Erinnern wir uns an das Gute und Bleibende. In den frühen 1990er-Jahren war Harald »Huckey« Renner (so die damalige Schreibweise im Printjournal) ein ganz wesentlicher skug-Autor, der weltoffen über die oberösterreichische Musikszene und genauso über internationale Acts schrieb. Legendär ist etwa sein »volkstümliches Stegreifspiel – Einakter« über Attwenger in skug #1 im Jahr 1990. Definitiv wird uns Huckey Renner ein Mensch mit Haltung in Erinnerung bleiben, was in der folgenden Reportage über die marxistische Londoner HipHop-Gruppe Marxman für skug #16 besonders gut zum Ausdruck kommt.

Huckeys Reportage über Marxman in skug #16, 1993

Marxman – Fuck Hitler!
So einfach wie das hier! Warum sloganizing ok ist, und man immer was machen sollte, das die Leute auch verstehen können, war Thema einer typischen Backstage-Gesprächsrunde mit Marxman im angenehm gestylten (Badeteich, Panoramafenster, Open Air Pavillon undundund) VELVET-Club in Rimini! Mit dabei Benedetta Cucci (»La Republicca«/Italien), Enrico (»Radio Citta«/Italien, Campi (Ex-RFF-Punk/Italien), Bert Estl, Huckey Renner für skug und natürlich Phrase und Hollis von Marxman.

Zuerst war es die Geschichte zweier Freunde aus Bristol, die von 1984–86 in Crews waren und HipHop-Jams organisiert haben. Also eine bodenständige B-Boy-Story. Ok, irgendwie nervt dieses langweilige Awareness-Vorzeigen. Also: Phrase D (Stephen Brown, Anm.) und Hollis (Michael Byrne, Anm.) zogen nach London und boxten sich gemeinsam durch. Man fing an, viel über Politik zu reden. Das war 1989. Hollis: »Damals entpuppte sich besonders die Situation in Osteuropa als Stalinismus. Das war kein Sozialismus. Zu dieser Zeit fühlten wir beide, dass wir Sozialisten bleiben müssen! Die Medien verkündeten das Ende des Sozialismus und wollten Marx in den Mülleimer werfen. Für uns warʼs wie: Warum hält hier niemand dagegen? Deshalb nannten wir uns Marxman. We thought we gonna make the name as explicit as it is now. Wir verwendeten all diese Symbole: den Stern etc. Wir mussten das einfach für und definieren. Wir mussten sagen: ›Passt mal auf: Sozialismus ist nicht tot. Es ist anders als in Osteuropa.‹ Wir wollten eine Debatte hervorrufen, und die Leute auf die Tatsache hinweisen, dass da ein Unterschied ist.« Man sollte meinen, dass den Jungs auch Musik, die im politischen Naheverhältnis steht, bekannt war/ist, aber … Phrase: »Test Department? Sind das die, die dieses Industrial-Zeugs spielen? Ich erinnere mich, dass sie einmal nach Bristol kamen und mit verschiedenen HipHop Crews abhingen. Außerdem waren sie beim Miners Strike dabei.«

Zaghaft nach Mark Stewart befragt, kommt ein amüsiertes »Ich bin mit seinem Bruder zur Schule gegangen!« Schnell eine angenehmere Frage nachgeschoben. »Das ist schon komisch. Immer werden wir nach diesen politischen, englischen Bands gefragt … z. B. die Redskins, aber wir waren ja Rap-kids, B-boys, wir machten Breakdance und so was. Wir hörten diese Art von Musik nicht. Ich kenne schon ein Lied von den Redskins, einen Song der heißt ›Unionize‹, aber nur weil ein Freund ihn mir vorgespielt hat.« Oder Billy Bragg … »Ich halte seine Musik nicht aus; er kann nicht singen. Seine Texte sind gut. Was er sagt: Ja, aber ich konnte sowas nicht hören als Youngster. Es gibt keine Connection zu anderen Musikrichtungen, wie immer behauptet wird.«

Und die irische Volksmusik? Selbst die Frage, wo denn die Flöten, Pfeifchen und Folkgitarren herkommen, ist einfach beantwortet: »We like the sounds! Wir suchten nach Sample-Stuff. Traditionelle irische Musik hatte eine tolle Atmosphäre und nette Sounds, und wir hatten all die Platten. Es wurde konkret mit ›Sad Affair‹. Wir suchten nach irischen Sounds. Wir fanden welche und dachten: Well, that works! Seitdem verwenden wir sie.« Hollis brachte eine »Original Version« von »Sad Affair« auf seinem eigenen Label raus. Das war vor dem Plattenvertrag mit Talking Loud. Hollis: »Wir wussten nichts oder wenig von dieser Talking Loud-Szene oder um was es da geht. Wir waren kein Teil dieses Jazz-Movements. Die anderen Labels (Industrie, Anm.) sahen in uns ihre Public Enemy; ein kontroversielles Gimmick. Das wollten wir nicht. Talking Loud verstand uns besser, sie begreifen, was wir wollten, und: Wir haben volle Kontrolle über das, was wir tun.«

Auffällig ist, im politischen Kontext, dass jetzt sogar die Digable Planets verlauten lassen, dass all ihre Inspiration von Marx kommt, oder die Goats, deren Basiskommunismus sich sehr wohl mit der Marxmenschen-Theorie überschneidet (auch mit der der Digable Planets, übrigens). Weitläufige Überlegungen, die, wenn schon nicht mit dem Entstehen eines kommunistischen HipHop Movements, dann wenigstens mit einem Zusammenschluss Gleichgesinnter liebäugelten, wie immer das auch aussehen könnte, zerstreuen sich in alle Winde. Phrase: »Die Goats? Ich habe sie live gesehen, bevor wir auf Tour gingen. I couldnʼt get accross what they were saying. All diese Band sehen sich als Sozialisten; wenn jemand das von sich sagt, ist das immer eine positive Sache, und wenn irgendein Land Sozialismus braucht, dann ist das Amerika. Obwohl die ja nichts wirklich ernst nehmen. They turn the most unthinkable things into coffeemaking things! Aber in der HipHop-Bewegung ist es natürlich besser, die Leute auf Marxismus als auf Drogen anzuturnen.«

So einfach wie das hier
Es gab beim Konzert einen wunden Punkt, den Campi entdeckt hat: Columbus. Der Refrain von »Ship Ahoy!«, den auf der Platte Sinead OʼConnor singt – »Wir haben sie in Dublin bei einem Benefizkonzert getroffen. Sie sagte, sie mag ›Sad Affair‹, and if we ever need her singing on any further tracks sheʼll be down. So she was down! As simple as that!« – wurde live zur enthusiastischen »Fuck Columbus!«-Call-Response. Und hier setzt Campi an: »Um ehrlich zu sein: Ich mag es nicht besonders, was so manche Bands über Columbus sagen. Ich finde, das vereinfacht ein großes Problem.« Phrase: »Aber das Lied befasst sich auch damit, dass Sklaverei nicht ein Ding der Vergangenheit ist. Viel mehr sagen wir: es ist noch immer gegenwärtig. Wir stellten es in Zusammenhang mit Columbus, weil wir diese Zeit, 1992, in der dieser riesen Columbus-Hype war, stark mitbekamen. Wie korrekt er war! Und was für ein Held.« Hollis: »… aber ich verstehe den Punkt. Man kann so ein Problem wie die Sklaverei nicht an einer einzigen Person festmachen. Unglücklicherweise ist alles, was du mit einem Song erreichen kannst, dieser eine Moment, wenn der Chor kommt. Du willst, dass die Leute verstehen, dass es um viel mehr geht, aber dieser Moment muss reinhauen, Bang!«

»›Ship Ahoy!‹ kam am 12. Oktober (1993, Anm. d. Red.) raus, das ist Columbus Day in England. Wir mussten einfach ›Fuck all that Columbus nonsense‹ sagen. Wir feiern die Entdeckung der Neuen Welt, aber was ist das wirklich, die Neue Welt? Die Versklavung von Afrikanern z. B. und solche Dinge mehr … Ich meine, wenn du sagst: ›Fuck Hitler!‹ wird das nicht das Problem mit den Nazis und dem Faschismus lösen. Alles was ich sage ist: You just have to make it something the people can relate to! Und das ist der Beweggrund, ›Fuck Columbus‹ zu sagen.«

Man braucht sich jetzt nicht vormachen, dass es irgendjemand was nützt, wenn Millionen Leute »Fuck Columbus« schreien würden, nur weil sie es von Marxman gehört haben. Der Punkt ist: Als Band mit Hilfe von einfachen Mitteln (Slogans, Phrasen) Botschaften schnell und verständlich an möglichst viele Leute weiter zu kommunizieren. Weiters ist es gerechtfertigt, in diesen Zeiten Scheiße wieder als solche zu benennen. Konstruktivismus vorausgesetzt! Man kann so was sehr gezielt einsetzen. (s. Public Enemy).

In diesem Sinne: »Fuck Haider, Fuck Hitler, Nazis auf den Müll!«

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