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Klimagerechtigkeit statt Hinterzimmergespräche

Trotz der Räumung des Wiener Klimacamps und der besetzten Stadtstraßen-Baustelle ist der Kampfesmut von Fridays For Future ungebrochen. Die Aktivistin Lena Keresztes gibt einen Lagebericht.

Als am 1. Februar 2022 die Polizeikolonnen anrückten und mit Baggern das Lager der Protestierenden niedergewalzt wurde, war das Erschrecken groß. Ein solches Verhalten der Stadt Wien schien in Zeiten einer sich immer deutlicher abzeichnenden Klimakatstrophe unangemessen und antiquiert. Welche Ziele werden hier verfolgt, die sich kaum mit dem Selbstbild eines um Ökologie und »Nachhaltigkeit« bemühten Wiens verbinden lassen? Tiefgreifender Wandel und echtes Umdenken scheinen damit vorerst zubetoniert. Über die Hintergründe der entscheidenden Zukunftsfragen rund um den Neubau von Autostraßen und die weiteren Möglichkeiten eines Protestes, der doch noch die besonneneren Kräfte in der Stadt zum Umdenken führen könnte, sprach skug mit der Fridays For Future (FFF) Aktivistin Lena Keresztes.

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skug: Nach der Räumung des Klimacamps sollte es doch noch weitere Gesprächsangebote der Stadt geben. Gab es die und über was will die Stadt eigentlich noch reden?

Lena Keresztes: Bisher gab es von der Stadt Wien keine Versuche, Gespräche aufzunehmen. Von der SPÖ wird die Stadtstraße in genau dieser Ausführung auch immer als alternativlos dargestellt, da sind ja gar keine Gespräche möglich. Worüber soll man denn sprechen, wenn eine Seite sagt: »Genau so wollen wir’s und Alternativen gibt’s für uns nicht«? Außerdem wünschen wir uns einen respektvollen und offenen Umgang. Wir wollen keine Hinterzimmergespräche, die dann nach Belieben für die Öffentlichkeit dargestellt werden, sondern einen ehrlichen, öffentlichen Diskurs, der auf Fakten und nicht auf falschen Behauptungen, wie etwa »die Stadtstraße bringt Entlastung«, basiert.

Im Grunde ist der Erfolg des Protestes beachtlich. Im Jänner 2022 konnten beispielsweise 20.000 Unterschriften einer Petition an die Stadt übergeben werden, die eine Aufhebung der Klagsandrohungen gegen Aktivist*innen forderte. Viele sind also auf der Seite der Lobaubesetzer*innen, dennoch setzt die Stadt Wien jetzt auf Härte. Kannst du dir das erklären?

Ja und nein. Ja, weil durch den andauernden Eskalationskurs der Stadt Wien seit Beginn des Protestes klar geworden ist, dass sie diese Straße unbedingt bauen wollen. Nein, weil ich mir von einer sozialdemokratischen Partei etwas anderes erwartet hätte. Das ist vielleicht naiv, aber wir haben schon darauf gehofft, dass sie verständnisvoller mit jungen Menschen umgehen, die berechtigterweise Angst um ihre Zukunft haben. Auch in Bezug auf die widerständischen Anfänge der Sozialdemokratie finde ich so ein Verhalten beschämend.

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Warum kam die Räumung ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt? War es nicht rein strategisch sehr ungeschickt von der Wiener Sozialdemokratie, gerade als die österreichische Bundesregierung und ihre weitgehend unökologische und unsoziale Politik in Sidelettern implodierte, die potenziellen Verbündeten wegzuräumen, die man inhaltlich ununterbrochen umgarnt hat? Liest du nicht auch dauernd davon, wie wichtig Klima und Ressourcenschutz für die SPÖ sind?

Ja, das lese ich tatsächlich oft. Was wir als Klimabewegung auf jeden Fall erreicht haben: Alle wollen sich als klimafreundlich verkaufen. Wir lassen uns aber nicht verschaukeln. Wenn man einerseits behauptet, die Klimamusterstadt Wien aufzuziehen, und andererseits eine vierspurige Straße exklusiv für den motorisierten Individualverkehr baut, ist das nichts anderes als Heuchelei. Sie sagen: »Wir tun doch was für den Klimaschutz« und wir sagen: »Das ist nicht genug.« und am wichtigsten ist hierbei: Wir haben die Wissenschaft hinter uns.

Mal ein bisschen anders gefragt: Haben beide Seiten das Problem nicht zu hoch kochen lassen? Ist nicht schon vor Langem eine Situation entstanden, wo klar war, dass es politische »Gewinner und Verlierer« durch Bau und auch Besetzung geben wird? Die Stadtregierung kämpft um ihre Gesichtswahrung, den Tunnel hat man ihr verboten, jetzt werden wenigsten noch 350 Bäume gefällt. Habt ihr die Stadt auch ein wenig zu diesem Aufbrüsteln getrieben, weil die Stadtregierung sich auch als »ordnungswahrend« für viele Wähler*innenkreise inszenieren muss?

Was die SPÖ auch gerne unerwähnt lässt: Wir wollten schon im Herbst öffentliche Gespräche führen. Die Eskalation kam seit Beginn der Besetzung vonseiten der Stadt. Erst wurden unsere Einladungen für eine Podiumsdiskussion abgelehnt, dann sprach Michael Ludwig in einem »Falter«-Interview unglaublich herablassend über die Klimabewegung. Zusätzlich nutzte die Stadt Wien ihre monetären Vorteile uns gegenüber, indem sie Fake-News-Kampagnen startete, um die Stadtstraße weiter als sinnvoll zu verkaufen. Nicht zu vergessen Klagedrohungen, die gegen die meisten Betroffenen immer noch nicht zurückgezogen wurden, und eine relativierende Reaktion auf einen Brandanschlag, bei dem acht junge Menschen fast gestorben wären. Das traurige Finale: die Räumung und gleichzeitige Rodung hunderter Bäume. Würde die SPÖ die Klimakrise ernst nehmen und die Situation auch ihren Wähler*innen ehrlich kommunizieren, dann müssten sie nicht ordnend gegen uns vorgehen, sondern sie hätten unsere Forderungen vermutlich schon umgesetzt. Schließlich ist Climate Justice Social Justice, da bieten wir doch eigentlich perfekten Aufwind für eine sozialdemokratische Partei.

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Klimagerechtigkeit meint, dass ökologische Fragen nicht von sozialen zu trennen sind. Ein Hauptproblem liegt hier bei den (Grund-)Besitzverhältnissen und dem immer noch schrumpfenden Commons. Es sind ja nicht nur die großen transnationalen Konzerne, auch normale Österreicher*innen verhütteln mit dem Eigenheimtraum die Landschaft und versiegeln den Boden (und sind dann aufs Auto angewiesen). Welche Chancen siehst du hier für ein breites gesellschaftliches Umdenken?

Das Schrumpfen der Commons ist aber wieder nicht die Schuld der Einzelhaushalte. Wenn die Politik immer weiter freies Feld als Bauland ausweist, dann lässt sich das halt auch verkaufen. Ich denke nicht, dass Einzelpersonen der Punkt sind, an dem wir ansetzen sollten. Schaffen wir doch bitte zukunftsfähige Strukturen am Land, die von Menschen gerne genutzt werden. Ich glaube schon, dass durchdachter, familienfreundlicher und billiger verdichteter Wohnraum auch am Land Anklang findet. Ich glaube, breites gesellschaftliches Umdenken kann besonders gut durch ehrliche Kommunikation erreicht werden. Da hinkt die Politik nach.

Der Bau einer Autostraße ist einer der Kondensationspunkte für die entscheidenden Zukunftsfragen. Haben wir überhaupt Alternativen zu Automobilität? Gibt es genügend viele Menschen, die mitmachen werden? Finden wir neue Formen für den öffentlichen Raum und unser gesellschaftliches Zusammenleben, wo nicht jede*r Bürger*in in seinem*ihrem eigenen Blechkasten sitzt und nix mitkriegt? Welche Kampagnenziele haben da aktuell die FFFs?

Momentan haben wir keine Wahl, als gegen die Automobilität eingestellt zu sein, wenn wir Klimaschutz ernst nehmen wollen. Das E-Auto ist auch nicht die Wundertechnologie, die die Emissionen im Verkehrsbereich auf Null bringt. Es ist vor allem unverständlich, warum weiterhin im großen Stil auf ein klima-, gesundheits- und geldbeutelschädigendes Verkehrsmittel gesetzt wird, wenn wir sehr wohl Alternativen haben. Wie bereits erwähnt, setzen wir bei FFF nicht darauf, Menschen zu klimafreundlichem Verhalten zu »bekehren« (oft auch als Consumer Shaming bekannt). Wir wollen Druck auf die Politik ausüben, damit diese dringend notwendige Gesetze verabschiedet. Momentan haben wir eine Kampagne, wo wir darauf hinweisen, dass Österreich noch immer kein wirksames Klimaschutzgesetz hat. Was ich also Einzelpersonen raten würde: Werdet aktiv und lasst euch nicht gefallen, dass die Politik eure Zukunft verbaut.

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Abschließend drehen wir die Perspektive einmal um. Wenn du dich in deinen »Gegner*innen« einfühlst, kannst du den Argumenten der Gegenseite auch etwas abgewinnen? Stichworte: Wien wächst, es gibt neue Wohngebiete, die auch mit dem PKW erschlossen werden müssen, etc.

Was heißt mit dem PKW erschlossen werden müssen? Wer muss wohin weswegen fahren? Die größten Staus haben wir wegen des Pendelverkehrs und durchschnittlich sitzen in einem österreichischen PKW 1,15 Personen. Das heißt die Lösung wären hier verbesserte Öffi-Angebote für Pendler*innen. Natürlich müssen zum Beispiel Betriebe oder Menschen mit Gehbehinderung ein Auto verwenden, aber dafür reichen die vorhandenen Straßen aus. Zusammengefasst kann ich den Argumenten der Gegenseite nicht viel abgewinnen. Viele der Argumente für die Straße, die anfangs vielversprechend klingen mögen, sind tatsächlich falsche Versprechungen. In der Umweltverträglichkeitsprüfung steht, dass die Seestadt Aspern nur mit einer höherrangigen Straßenanbindung ausgebaut werden darf? Da frag’ ich mich, wer hat das so festgelegt? Das ist ja nicht naturgegeben, sondern von der Politik so gemacht.

Wie sehen jetzt die weiteren Pläne von Fridays For Future aus?

Am 25. März ist wieder weltweiter Klimastreik! Soweit ich weiß, haben schon coole Musik-Acts zugesagt und die Leute, die da in der Organisation dabei sind, sind eine Garantie für eine tolle Demo! Außerdem haben wir eine laufende Kampagne zum Klimaschutzgesetz, da wird es sicher auch noch einiges geben in nächster Zeit. Über unsere Instagram-Seite bleibt man gut informiert. Für Lobau bleibt! gibt es auf Telegram einen eigenen Ticker, mit allem, was es zu wissen gibt. Viele Infos finden sich auch auf der Lobau bleibt! Webseite. Die Besetzung in der Hirschstettner Straße 44 gibt es noch und auch im angemeldeten Camp bei der Parkanlage Anfanggasse kann man immer gerne vorbeischauen! Der wichtigste Tipp ist aber: Werdet in irgendeiner Weise selber aktiv, schaut im Protestcamp vorbei, kommt zu den Demos, schreibt Leser*innenbriefe, verteilt mal Flyer, es ist jetzt vor dem weltweiten Klimastreik der perfekte Zeitpunkt, um einzusteigen. Zeigen wir der Politik, dass wir ganz genau hinschauen, wie sie mit unserer Zukunft umgehen!

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Ergänzung: Unmittelbar nach unserem Interview wurde bekannt, dass die Stadt Wien auf Klagen gegen die Umweltaktivist*innen verzichtet. Die MA 28 will die zuvor, teils an Minderjährige, verschickten Briefe mit dem Hinweis auf rechtlichen Konsequenzen als reine »Information« verstanden wissen.

Lena Keresztes ist in Wien geboren und aufgewachsen und seit ca. einem Jahr bei Fridays For Future in Wien aktiv. Sie studiert Raumforschung und Raumordnung an der Universität Wien. Sie war immer schon politisch sehr interessiert und ist froh, endlich aktiv geworden zu sein, um das politische Geschehen aktiv mitzugestalten.

Link: https://fridaysforfuture.at/

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