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LATON – Labelreport

»Sonic Science« oder Die Architektur des Hörens: Ûber die hochgerüstete Audio-Archäologie des Labels Laton.

1990 gründeten Pomassl, Alois Huber und A. Burger das »Electronic Music Operation Label« Laton. Laton ist somit Österreichs ältestes Label für elektronische Musik, bei dem mehr als dreißig nationale und internationale MusikerInnen publizieren (Benzo, CM von Hausswolff, Alva Noto, Zavoloka, Philipp Quehenberger, Binär, FON, Radius, Mira Calix, Park Modern, …). Im Zentrum der niederösterreichischen Waldviertelgegend um Schiltern, Langenlois und Krems befindet sich Alltentsteig mit dem immerhin der größte Truppenübungsplatz Mitteleuropas. Dieser war im Zweiten Weltkrieg von den Nazis installiert worden und wird nach wie vor vom österreichischen Bundesheer verwendet. Dieses akustische Environment mit seinen sich 20 bis 30km fortpflanzenden tieffrequenten Detonationen hatte mit ziemlicher Sicherheit eine musikalische Basissozialisation zur Folge. Einen diesbezüglichen Kulminationspunkt stellt die Präsentation des Prototypen-Soundsystem »ITT« (»Infrasonic Transmission Tube«; Frequenzbereich 0-20Hz) als erste große Intervention Latons auf der Ars Electonica 1996 dar. Leider schied der für seine genialen Klangkonstruktionen geschätzte A. Burger wenig später von Laton. Seit ein paar Jahren hat sich ein veritabler Informationstransfer mit den (ex-)russischen Staaten entwickelt, die weißen Flecken der Soundlandkarten werden immer weiter eingeebnet.

Laton hatte sich praktisch von Anfang an der Soundforschung verschrieben.Auch wenn viele Arbeiten Pomassls in einem sozusagen industriell-militärisch, die von Huber in einem schwer psychogeografisch ausgelegten Feld operieren: Zusammen mit den anderen auf Laton veröffentlichenden Artists geht es hier ganz pragmatisch um die technologische, politische und freilich poetische Erweiterung der Hörgewohnheiten. Deshalb weil militärische Forschungsergebnisse seit jeher den jeweiligen Status-Quo vorgeben, man denke nur an die Anfänge des Internets als ARPANet. Die in vielen Armeen verwendeten (und seit heuer in Großbritannien auch für den zivilen Straßeneinsatz verwendeten) Schallwaffen stellen in Latons Kontext eine künstlerisch überhöhte »Sonic Warfare« dar, die somit den aktuellsten Soundbedingungen und -produktionen Referenz zollt. »Wie aus medizinischer und militärischer Forschung bekannt, ist der ganze Körper eine akustische Membran. Die Poren an der äußeren Haut sind eigentlich Schalltrichter, genauso die inneren Organe. Derartige Effekte lassen sich ebenfalls in popmusikalischen Spielformen wie Techno, Dub oder in der Disco- und Clubkultur finden. Die Weiterentwicklung der Musik setzt da an, wo sie haptisch-taktile Qualitäten bekommt und jenseits der für den gewöhnlichen Gebrauch stark limitierten Bereiche, also jenseits der üblichen 20-20.000Hz, wirkt« meint Pomassl dazu. Das größte menschliche Organ – die Haut – mutiert zum Hörtrichter und fängt die Funksignale zukünftiger Musiken ein, weil die Hörleistung des Ohrs schon lange nicht mehr ausreicht.
Der Körper bedingt das sonisch-architektonische Koordinatensystem, sein Innen und Außen. Diese technologisch unterfütterte Weiterentwicklung einer »Beat Science« zeitigt bei Laton eine »Sonic Science«, die in der »rhythzomatischen Latonautik“ (Didi Neidhart: »Shuttering Audio Interruptions in Sonic Science Pop.« In: skug, Sept. 2001, S. 16ff) aufgeht. Während bei Pomassl oder bei Hausswolff diese sonischen Ereignisse zu teils heftigen Anschlägen auf das vegetative Körpersystem oder auch zur Verortung transkommunikativer Phänomene führen können, nutzen Huber oder Benzo diese Taktiken für einen »Inner-Mind-Trip«: Die Projektionsflächen sind mehr oder weniger dieselben: Abstrahieren, rausnehmen und umschichten, Platz machen. Es werden Referenzmatrizen angeboten, die, bewusst kryptisch gehalten – und etwa von FON (»VI Aux«) auf eine semantische Spitze getrieben – die Notwendigkeiten aktueller akustischer Dispositionen codieren. »Latonautisch« Musik hören heißt weniger akustische Signale zu rezipieren als sie zu dekodieren, was zur leiwanden Musik den intellektuellen Fun-Faktor in die Höhe treibt.

 

Unsichtbar hören

Die Macht des Bildes ermöglicht es, präfigurierte akustische und optische Einheiten als definierte
Befehle gelten zu lassen. Darauf beruht die vorgebliche Benutzeroberflächenfreundlichkeit.

(Christian Scheib: Dem Bild keinen Namen geben. In: »Bilder – Verbot und Verlangen in Kunst und Musik«. Katalog Musikprotokoll, Graz, 2000. S. 7.)

Dieses »Du sollst dir kein Bild machen« korrespondiert mit der Latonautischen Audio-Kunst, trotz oder gerade wegen der omnipräsenten Bilderflut postmoderner Prägung. So zeichnen sich die Covers der Laton-Releases durch ihre grafische Schlichtheit aus, Benzos »Tapes« (2004) mit Fotografien von Franz Graf bilden da fast schon eine »bombastische« Ausnahme; Aber auch hier, wie in den reduziert gehaltenen Entwürfen, ist immer ein historischer Referenzrahmen präsent. Das kategorische Ausblenden jeglicher visueller Information aus seinen Arbeiten ist für Pomassl stilprägend geworden. Wahrscheinlich kein anderer betreibt eine so radikale »Unsichtbarkeit«. Diese Verschleierungsstrategien hätten Ad Reinhardt oder Kasimir Malewitsch sich nicht besser aushecken können. Herkömmliche audiovisuelle Medien sind (noch) nicht in der Lage, Pomassls Aktionen zu dokumentieren. Weshalb diese üblicherweise in Arbeitsskizzen oder architektonischen Plänen festgehalten werden. Pomassls haptische Musik führt die Ohren hinters Licht.
Atmosphärisches und subatomares Rauschen hat nichts mit Lärm zu tun, sondern mit dem was Kodwo Eshun »Audiohalluzinationen« und Michel Chion »cinema pour l’oreille« nennt, die vaporisierten Informationsströme bilden jene »Abfallprodukte« aus dem akustischen Spektrum, mit denen schon die Futuristen Musik als »realeres« Abbild der industriellen Notwenigkeiten beschleunigten. Mit der aktuellen Laton-Release »Iz punkta A v punkt B« des ehemaligen Filmcutters Serguei Malkin aka Radius werden diese teils ganz schön rigiden Verhältnisse aufgebrochen und um »cinephile« Ansätze erweitert. Installationen wie »EUtopia« (2004) von Alois Huber und dem Videokünstler Markus Wintersberger dagegen verweisen auf soziopolitische Beziehungen, wenn die Bilder in einer Art Schräglage zusammen mit dem Sound anamorphotisch erscheinen. Erst von der Seite betrachtet, dafür umso klarer, lassen sich hier codifizierte Arrangements aus Mathematik, Physik oder Naturwissenschaften erkennen, die sich wie in einem Spiegellabyrinth gegenseitig verschalten, potenzieren oder auslöschen.

 

Music in outta space

Die Wahrnehmung beherrscht den Raum genau in dem Verhältnis, in dem die Tat die Zeit beherrscht.
Henri Bergson

Bergsons Thesen aus »Matière et mémoire« (1896) führen eine Art »doppelte« Illusion vor Augen, nämlich des Raums und – damals bahnbrechend – der Zeit. Zeit wird als unabhängige Variable begriffen. Wenig später hatte Einstein auch für die Physik postuliert, dass Zeit relativ sei. Auf heutige Produktionsbedingungen umgemünzt bedeutet das: Aushebelung des Wahrnehmungsapparats durch Sound, Zeitkoordinaten crashen lassen und die Eigenresonanzen eines Raumes/Körpers hörbar machen. Die Rhythmen liegen genau zwischen den Beats, dem »Space« im Dub. Aufrüstung der musikalischen Effizienz, um für einen kurzen Moment die »imaginäre Zeit« (Stephen Hawking) mit dem kosmischen und vegetativen Rauschen der Welt kurzzuschließen und diesen raumzeitlichen Eruptionen in handelsüblichen Audio-Produkten habhaft zu werden.
Als Laton Mitte der Neunziger mit Sabotage (Robert Jelinek) kollaborierte, wurden einige der heftigsten diskursiven und musikalischen Entladungen in die Welt gesetzt, die Österreich je hervorgebracht hatte: Die Veröffentlichungen Hubers und Pomassls auf Craft, Burgers »Transducer« und legendäre Auftritte im »Flex«. Auch wenn hier einige der ältesten
österreichischen Electronicascheiben veröffentlicht worden waren (»Ketjak«, 1993); und mit eigentlich als Dependance einige Jahre zuvor, als Huber noch den E-Bass Metal-mäßig drangsalierte und finstere Soundflächen aus Pomassls MS-20 strömten -, hatte Laton praktisch immer in einer Art Randzone der vielzitierten »Vienna Tones« mitgeschwungen. Wohl deshalb weil die Ökonomie des »Konstrukts« Laton praktisch nie (allein schon aus geografischen Gründen, von ideologischen ganz zu schweigen) einen konkreten Wien-Bezug aufwies, sondern sich durch seine Verhaftetheit im Lokalen (Hubers legendäre Location Beatkeller etwa, der eine der Sozialisationsstätten vieler Soundartists aus der Region war) und durch den Kontakt mit »Agenten vor Ort« wie eben Sabotage auszeichnete und weil sich Huber/Pomassl seit Jeher darauf verstanden hatten, die relative »Unsichtbarkeit« der Labelaktivitäten für veritable Soundforschung voranzutreiben.
Seit ungefähr zwei, drei Jahren veröffentlicht Laton vornehmlich Material aus Russland, dem Baltikum und dem fernen Osten und hat in Moskau eine eigene Kommandoeinheit eingerichtet. Kontakte dorthin zu Alexei Borisov (F.R.U.I.T.S., Volga) und Richardas Norvila (Benzo) waren Initialzündungen, später kamen die »Club RUS«-Parties dazu und mit den Signings von Radius und Zavoloka hat sich das russische Department auch international behauptet. Nicht unwesentlich dazu beigetragen hat sicher dass Anna Ceeh, in Wien lebende Videokünstlerin aus Moskau, als Informantin fungiert. Die an das Label angeschlossenen Einrichtungen wie die interdisziplinäre Plattform »Radius«, das »Institut für Kunst und Technologie/IKT« und das von Huber mitinitiierte Projekt »Panlux« fungieren als eine Art Außenposten, wo Akustiktheorie, Soundforschung, Psychologie und Choaching miteinander kurzgeschlossen werden.
Dass sich Latons Stoßrichtung früher oder später Richtung Russland richten würde, war sozusagen »ideologisch« klar. Auch wenn der Hinweis auf eine unterschwellige Verbindungslinie mit der Erdung Konstruktivismus auf der Hand liegt, macht Pomassl klar: »Wie schon in den Manifesten der Futuristen festgelegt, gilt auch hier: Wenn man aktuelle Musik machen will, die zugleich die Geräusche und Klangintentionen unserer Umgebung miteinbezieht, dann gehören auch Supergeräusch-Produktionen dazu. Heutzutage muss man nicht mehr mit Fabrikhallen mithalten, sondern mit Transatlantik-Flugzeugen, aktuellen Kriegsgeräuschszenarien oder dem Straßenlärm.« So schwingen Luigi Russolo und besonders Dziga Vertov immer subkutan mit, machen aber nur einen kleinen Teil aus, eine Art Sozialisation durch Geräuschkunst. Die musikalischen Entwürfe weisen auf hyperverkörperlichte Synergien von Mensch und Maschine hin, deren Erdungen in Richtung Futurismus, Musique Concrète und Fluxus ausstrahlen (F.R.U.I.T.S.: »Forbidden Beat«, Radius, Hausswolff: »Rattør«). Diese werden allerdings von physikalischen Fragestellungen und einer augenzwinkernden Dekonstruktion von Pop überhöht.
Pomassl konkretisiert Dub so lange, bis er »Beatfrei« wird, Huber materialisiert Maschinenfunk aus der »Black Ark«, Zavoloka digitalisiert ciskarpatische Volksweisen und der Laton-»externe« Philipp Quehenberger rockt Cecil Tyler auf Suicide. Elvar Mar Kjartans aka Auxpan aus Reykjavik führt herkömmliche Popstrategien ad absurdum, indem er aus selbstzusammengebastelten Spielzeug- und Keksdosen rudimentärste Klanggebilde filtert. Ein dezidiert technologischer Ansatz ist für den ehemaligen Biophysiker Udo Wid festzustellen, der mit seinen prototypischen Detektoren als »Ein-Mann-Insititut« sein Leben dem Aufspüren der ELFen (Extreme Low Frequencies) verschrieben hat. Seine »Konzerte« aka Vermessungen der ELFen-Aktivitäten transformieren elektromagnetische Entladungen als geodynamische Disturbanzen zur destilliertesten Variante eines praktisch rein physikalisch ausgelegten Soundprocessing.

 

Producing EMPTIES – Electrononic Music Prototypes

Wie überhaupt bei Laton das Prototypische, das nicht-Reproduzierbare, forschungsleitend ist: Pomassls Interventionen sind praktisch ausschließlich für den flüchtigen Live-Moment konzipiert, Benzo »therapiert« das »Sprachgewirr« alter russischer Synthesizer und die Werke von Thilges3 und FON sind durch ihre Instrumenten-Settings von vornherein dazu verurteilt, praktisch sozioakustische Augenblicksaufnahmen abzuliefern. Was die Laton-Acts trotz – bzw. gerade wegen – des meist ziemlich wissenschaftlichen Ansatzes an Musik zu dezidierten Live-Bands macht.
Prototypisch hat hier nur bedingt mit einem Punk-haften »Do it yourself« zu tun. Vielleicht höchstens dann, wenn es darum geht, eigene Instrumentarien zu konstruieren. Das Feld der Innovationen ist zwar schon längst vollständig kartografiert und trotzdem quellen immer wieder blinde Flecken an die Oberfläche, die sich – wie Wurmlöcher in einer imaginierten exterritorialen Soundlandschaft – auf der anderen Seite herausschälen und »Latonautik« als redliche Sound-»Guerilla«-Taktik offenlegen. Dafür ist seit Anfang an Energie nötig und der futuristische Brennstoff wird in diesen Prototypen-Soundmaschinen gezündet. Sie sind Platzhalter einer industrialisierten Maschinenwelt: Das »latonautische« Konzept des Prototypen ist wahrscheinlich genau jener Riss im sozialen System, den Jacques Attali als »Noise« klassifizierte, um gesellschaftliche Innovationsschübe zu beschreiben. Der Groove ist ein elektrifizierter Herzschlag, der Blutdruck wird in Beats per Minute gemessen. Prototypen sind archäologische Ausgrabungsstätten des durch standardisierte Rezeptionspraxen verschütteten psychologischen Gedächtnisses für kommende Generationen und machen deren Symptome hörbar.
Charakteristisch für Live-Einsätze der meisten Laton-Acts sind ungewöhnliche Aufführungsstätten. Die Wahl für bestimmte Locations hat dabei mit einer Kritik an den uns umgebenden industriell hochgerüsteten, technikfetischistischen Lebensumständen zu tun.
Dabei lässt es sich kaum vermeiden, in Grenzbereiche der akustischen Wahrnehmung und ein bisschen darüber hinaus vorzudringen. Fabrikshallen und Diskotheken bestimmen folglich die Aufführungsnormen. Bevorzugte Austragungsorte sind demnach: Tankerwerften, Flaktürme, Synagogen, Bunkersysteme, Kraftwerke oder der »Cave« der Ars Electronica. Aber auch nur auf Notbeleuchtung geschaltete Raumszenarios, erfüllt von der schier ohrenbetäubenden Intensität der Erdbebensimulatoren, Echolote, Schwingungsgeneratoren und anderer geosonischer Messeinrichtungen, die zu prototypischen Musikinstrumenten umgerüstet werden. 2001 wurde der Hafenwerft »De Bagagehal« in Amsterdam ein infrasonisches Beben verpasst und die Wiener Secession zu einer Art interstellarer Kommandostation aus »2001« umgebaut.
2002 wurde beim vom Wiener »Redaktionsbüro« mit-initiierten Festival »Prototype: Armatures and Armaments Against Electronic Music« in Pomassls erster permanenter Installation »Volume« die 30m hohe zylindrische Halle des Wärmekraftwerks Theiss in Etagenhafte Schwingungskaskaden unterteilt. Mit dem gut 20 Tonnen schweren Erdöldetektor »Vibroscan« brachte Pomassl im Herbst 2004 zur Eröffnung des CAT-Tower des Museums für Angewandte Kunst die bis zu zwölf Meter dicken Stahlbetonwände des ehemaligen Gefechtsturms im Wiener Arenbergpark zum Schwanken. Dagegen hatte sich Udo Wid in einer zur Forschungsstation umgestalteten Hütte in Werschenschlag im tiefsten Niederösterreich lange Jahre auf die Pirsch nach ELFen gelegt, fernab jeglicher elektromagnetischen Strahlung. Alois Huber erweiterte zusammen mit Markus Wintersberger für die #60-skug-Release-Party das »EUtopia«-Set-Up zu einer einmaligen Musik- und VJ-Performance in der Fluc_mensa und zeigte auf dem vom Wiener Medienverein [d]vision 2002 veranstalteten Festival »ElectronicBiedermeier« nachdrücklich, wie sich als »Black Magus« kosmischer und Maschinenfunk schweißtreibend gegeneinander kurzschließen lässt. Geschichtsträchtig der Laton-Sho
wcase letztes Jahr am Platz der Republik, als auf Berliner Boden österreichische Acts mit russischen auftraten und historische Ressentiments plattwalzten.

Ressourcen:

Laton: http://laton.at; Alois Huber: www.aloishuber.com; »Prototype«-Festival: www.redaktionsbuero.at/prototype; »Radius«-Festivals (www.radius-festival.com)

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Text
Didi Neidhart, Heinrich Deisl

Veröffentlichung
10.01.2006

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