97=reviews_rettenwander.jpg
Lissie Rettenwander

»Inside«

Heart Of Noise

Wenn man sich während des Hörens einer Platte fragen muss, woher das Gefühl klaustrophobischer Beklemmung kommt, dann kann das mitunter ziemlich nerven. »Inside« öffnet, wie der Titel des Debüts der Tiroler Musikerin andeutet, die Tür zu einer beängstigend intimen Kammer. Diese wird vor allem von Rettenwanders eindringlicher Stimme abgesteckt. Sie rückt mal vervielfacht, mal in konsequenter A-capella-Nacktheit in den Fokus. Der Lissie-Rettenwander-Chor (sic!) tritt schon in der ersten Nummer auf, um im Kaskadenfall (prickelnd) vom Licht hinterm Meer oder vom inneren Feind (nicht so prickelnd) zu erzählen. Dass es ein gewisser Grad an Improvisation ist, der solch unbedarften Wortfluss mit sich bringt, kann manches entschuldigen, läuft aber Gefahr, den Hörer zu überstrapazieren, auch weil die Sängerin immer nahe dran ist am Mikro, um gegebenenfalls behaglich hineinzuhauchen oder vor sich hinzusummen. Zwischen diesen Ergüssen introspektiver Gefühligkeit werden die Geister der Musique Concrète allzu stiefmütterlich beschworen. Denn die skizzierten Klangexperimente – affektierte Nähmaschine (»Work«) oder gegeneinandergesetztes Ticken von Uhrwerk (»Time«) – sind wie die Instrumentalparts minimal gehalten und wirken wie das Interlude-Dekor zu einem unaufhaltsam dahinlaufenden inneren Monolog. So lösen auch die tautologischen Tracktitel in ihrer bodenständigen Konkretheit keinen assoziativen Rausch aus. Einzig »Air« schafft es, klangliches Experiment und Stimmimprovisation gleichwertig zu behandeln und mit einem originellen Soundscape zu überraschen, in dem sich Luftströme zu einer monströsen Lokomotive auftürmen. Um dem emotionalen Wellengang folgen zu wollen, muss man sich also wohl am ehesten für Rettenwanders Stimme und deren wohlig-pastosen Klangcharakter begeistern können. Es verwundert, dass das neu gegründete Label des Innsbrucker Heart of Noise Festivals, welches die letzten Jahre mit distinkten Line-Ups zu begeistern wusste, sich bei seinem ersten Release für dieses dem Experiment zwar zugeneigte, am Ende aber doch relativ unaufgeregte Vokalalbum entschieden hat. 

favicon

Unterstütze uns mit deiner Spende

skug ist ein unabhängiges Non-Profit-Magazin. Unterstütze unsere journalistische Arbeit mit einer Spende an den Empfänger: Verein zur Förderung von Subkultur, Verwendungszweck: skug Spende, IBAN: AT80 1100 0034 8351 7300, BIC: BKAUATWW, Bank Austria. Vielen Dank!

Nach oben scrollen