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Industrielle Death Disco

Ein ganzer Schwall neuer CD-Veröffentlichungen kommt aus dem deutschen Weikersheim mit Cabinett Records und Membrum Debile Propaganda (MDP) daher. Beide Male ist Silvio Kessmann die treibende Kraft, seines Zeichens Schwerenöter in (Post-)Industrial-/ Ambient- und Power-Electronics-Angelegenheiten.

Man hätte ja annehmen können, dass der im letzten Jahr grassierende Electroclash auch die Weichen der Vergangenheitsaufarbeitung und des Retro-Chic in Richtung der »undergroundigen« Fortsetzungen von EBM und Früh-Industrial öffnet. Aber man so tut als ob Throbbing Gristle und Cabaret Voltaire nie »Disco«gespielt hätten: Im Falle von ECHO WEST sind diese Synergien kurzgeschlossen worden, nach ihrem »New Deutsch«-Beitrag für Gigolo Rec. veröffentlichen sie mit »Some Thought Us Dead« (Cabinett) weitere Elektronik-Tracks, die sich definitiv nicht dem Glamour hingeben sondern – zumindest laut Eigenbezeichnung – der Maschine huldigen. LE SYNDICAT ELECTRONIQUE (Cabinett) sind mit ihren »Nouvelle Pièces Dissidentes« ebenfalls hart daran, von findigen DJs in einem Set zwischen Front242 und .Adult verarbeitet zu werden. Die Antithesen zu dieser verbrämten Technogläubigkeit im Zeichen von regessivem Anachronismus sind das Debüt »Insomia Dei« der Prager SKROL und »Opus Alchymicum« von WUTANES HEER. Die Italiener sind mit ihrer Mischung aus Power-Noise und gregorianischem Gesang ziemlich nah an Iugula-Thors »I.N.R.I.« dran. Düsterer, als »alchemistisch« angepriesener Stoff wird hier kredenzt und als ob Coil da nicht in den letzten Jahren viel an Aufklärungsarbeit geleistet hätten, sind diese beiden MDP-VÖs anti-modernistische Manifeste, in denen die theatralischen Qualitäten längst vergangener Äonen, aus einer Schnittmenge der falsch verstandenen Retro-Perspektive Laibachs, dem Mystisch-Maschinellen der italienischen Sigillum S und besseren Zeiten à la »Brith Gof Gododdin« (Test Dept.), wieder auferstehen. Das ist die maschinelle Weiterentwicklung von PsychicTV, wo der »Maschine« aber genau jener okkulte und atavistische Grad zugestanden wird, wie er in Langs »Metropolis« so eindrücklich – und so gefährlich, weil so ideologisch verbrämt – dargestellt wurde. Dunkle Klanglandschaften mit trällerndem Frauengesang, Einzug der Gladiatoren, Midgard ist nah. Dagegen sind IRIKARAH mit ihrem brachialen »Good Morning America« (MBP) wieder ein wenig mehr im Hier und Jetzt verhaftet. Mit gut strukturierten Electronics-Sounds in Richtung Sodality, Grim etc. geht es daran, eine Brücke zwischen Zeitgeist-Kritik und der Verarbeitung von SPKs programmatischen Statements in »Auto-Da-Fé« zu schlagen. Dabei wird »Good Morning America« selbst zum Programm: Die damals eingeforderten politischen Ambitionen haben sich vielerorten zu dumpfen Anti-Modernismus-Phrasen entwickelt, die genauso hedonistisch ausgelebt werden wie überall sonst, aber in dem misanthropischen Beharren auf einen »Authentizitätsbonus« gegenüber dem Zeitgeist. Irikarah kicken den Raunzern eine Breitseite Power-Noise rüber. Be prepared for cultural seppuku.
www.cabinett.com
www.membrumdebile.de

Home / Musik / Review Collection

Text
Heinrich Deisl

Veröffentlichung
10.02.2004

Schlagwörter

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