Tosender Applaus erklang, als die schon etwas erschöpften Organisator*innen des Porn Film Festivals Berlin – überwiegend lesbisch*, weiblich* und queer, sei herausgestrichen – am 22. Oktober 2022 im Moviemento zur Eröffnungsrede ansetzten, denn der Opening-Film »Narcissism – The Auto-Erotic Images« lief ausverkauft während des ganzen Abends in fünf Wiederholungen.
Der*die in der queeren, sexpositiven Szene Berlins verortete Regisseur*in Toni Karat interviewte in seinem*ihrem Film und für den zuvor entstandenen und dazugehörenden Fotoband, angelehnt an Oscar Wilds Roman »Das Bildnis des Dorian Gray«, auf einem verlassenen Dachboden Berlins über drei Jahre mehr als 30 grenzüberschreitende, unterrepräsentierte und in der heteronormativen Dominanzkultur kaum sichtbare Protagonist*innen, wie z. B. Lesben* oder queere Menschen über 50 zu ihrem Verhältnis zu Narzissmus und Gender. Im Fotobuch konnte jede*r Protagonist*in eigene Gedanken niederschreiben.
Einige Worte zur Bedeutung des Begriffs Narzissmus: In der griechischen Mythologie verliebte sich Narziss in sein eigenes Spiegelbild. Ab dem 19. Jahrhundert musste Narzissmus als Namensgeber für »krankhafte, erotisch verderbte« Störungen herhalten, die Männer wie Sigmund Freud bei ihren vornehmlich weiblichen Patient*innen zu erkennen glaubten. Die Psychoanalyse prägte somit ein negatives Bild davon, sein Antlitz bzw. sich selbst toll zu finden. Inzwischen aber wird der Begriff dermaßen inflationär verwendet, dass sogar die WHO ihn aus ihrem Krankheitsrepertoire streichen musste.
Gibt es überhaupt narzisstische Lesben?
Der oft erstmal – insbesondere von Frauen* und Lesben* – negativ konnotierte Begriff Narzissmus wird in den Film-Interviews als ein wichtiger Aspekt von Selbstliebe erkannt. Es stellen sich Fragen, wie wir in den Spiegel schauen und wer eigentlich narzisstisch sein darf und wer nicht. Also auch, ob wir uns einen narzisstischen, begehrlichen Blick auf unsere Körper erlauben bzw. wie er von Gender und Sozialisation beeinflusst ist. Welchen Einfluss hat ein Wechsel der Geschlechtsidentität darauf?
Besonders beeindruckt das Auftreten und Sprechen des*der laut Selbstdefinition non-binary, aber weiblich und lesbisch sozialisierten Filmmachenden Toni Karats im Film, insbesondere die Formulierung folgender Fragestellungen: Erleben Trans-Frauen ähnliche Probleme wie Cis-Frauen, obwohl sie komplett anders sozialisiert wurden, und ist für Trans-Männer die Welt plötzlich offen bezüglich männlicher und patriarchaler Privilegien? Die Zusehenden werden so quasi thematisch an die Hand genommen, durch den Film geleitet und ein Gerüst wird spürbar, auf dem der Film hervorragend persönlich aufgebaut ist.
Nicht nur, aber auch prominente queere Persönlichkeiten wie Del LaGrace Volcano, Kristina Marlen oder die in Österreich mancherorts in Vergessenheit geratene, in Hamburg lebende Österreicherin Krista Beinstein, die in Wien in den 1980er-Jahren für ihre provokative feministische Kunst gedisst wurde, antworten darauf. Selten kann mich Filmmusik aufgrund ihrer emotionalen Manipulationswirkung begeistern, aber in »Narcissism« sind die akustisch intensiven, langsam und stark wirkenden Bausteine ein ästhetisches Element, das in die genau passende Stimmung versetzt und den Film zu dem Kunstwerk macht, das er geworden ist.
Hoffentlich auch bald in Wien?
Jetzt bleibt nur noch zu wünschen übrig, dass Toni Karats Dokumentarfilm »Narcissism«, der sicherlich noch ohne internationalen Filmvertrieb ist, seinen Weg auch über die Ländergrenze nach Österreich findet. Ein Kino in Wien würde sich dafür bestimmt finden lassen, auch wenn es nur für eine einmalige Filmvorführung sein sollte. Aber das »bedauernswerte« Genre der Pornografie hat es tatsächlich nicht leicht in der Filmwelt: Abgesehen von der fehlenden Filmförderung von staatlicher Seite sorgt der in der Pornografie vorkommende Blick auf die weiblichen gespreizten Beine, auf die Vulva immer noch für unnachvollziehbare Schockierung und Empörung im Mainstream-Kino. Ob sich das jemals ändern wird?
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