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FON

»Eine Abwendung vom Wort ist nötig. Schöpferisch sein ist stets etwas anderes gewesen als kommunizieren. Das Wichtige wird vielleicht sein, leere Zwischenräume der Nicht-Kommunikation zu schaffen, störende Unterbrechungen, um der Kontrolle zu entgehen.« (Gilles Deleuze)

Wer den Versuch unternimmt, mit FON kommunizieren zu wollen erlebt sein blaues Wunder. Besonders bei elektronischem Schriftverkehr erweist sich das Duo als taktile und subversive Stille Postler, die mit undefinierbaren Zeichenfolgen- und Buchstabensuppen antworten. FONetik eben. Selber schuld. Immerhin lautet eines der wenigen, nicht codierten Fon-Statements »Schriftliche Kommunikation findet nicht statt«.
Nur kann diese radikale Kommunikationsverweigerung auch jene berühmt-berüchtigten produktiven Missverständnisse produzieren, ohne die es so etwas wie Kunst oder Kultur gar nicht geben würde. Ganz abgesehen davon, dass mögliche Feinde, Mitläufer und Trittbrettfahrer gleich bei der ersten Kontaktaufnahme nur Bahnhof verstehen und ohne weitere Verbindungen auch dort stehen gelassen werden.

FON bewahren dabei jedoch den Anschein möglicher Dekodierungen. Sie hinterlassen mit hinterfotzigem Grinsen Spuren, die sich aus fragmentierten Codesystemen (Morsezeichen, SETI-Code, Insekten-Codes) zu offenen »polyvoken Gebilden« (Deleuze/Guattari) zusammensetzen. Was natürlich zum Spurensuchen und Fährtenlesen verführt. Nur entstehen bei FON die genießerischen Momente genau in jenen Augenblicken, wenn einem bewusst wird, dass man gerade wieder aufs Glatteis geführt wurde, sich die schon mühselig kartografierte Fährte als falsche herausstellt und den geschickt ausgelegten Fallen auch nicht ausgewichen werden konnte – »das schwarze Loch ist ein Zuhause geworden.« (Deleuze/Guattari).

Genau hier, also in einem sprichwörtlichen Herz der Finsternis aus ursprungslosen, selbstzusammengebastelten Begriffslandschaften und Ideengebäuden in denen Aspekte, Vektoren, Koordinaten, Kreuzungen und Querverbindungen einer transgressiven Poetik erweiterter Realitätswahrnehmungen aufblitzen, die als Spuren, Ideenbilder und Gedächtnisbilder neumontiert und zwischengespeichert werden können, lagern die fonologischen Maden und Larven in versteckten Futtertrögen voller Theoriefragemente und Fehl-Schaltungen mit unterschiedlichsten und mannigfaltigsten Begriffen und Diskursen.
FONologisch zusammengefasst: »Das schwarze Loch ist ein Zuhause geworden.« (Deleuze/Guattari).

FONs Entwürfe einer elektronischen Sägewerks-Disco legen es auf Vollkörpermassagen an. Elektrische Intensitäten, produziert durch schwankende Stromspannungen, modulierte Frequenzen und Wellenformen, fliegen hier regelrecht wie Späne und Funken durch die Gegend. Hohe Töne kribbeln in den Füssen, tiefe Bässe kneten das Hirn. Das Sitzfleisch dazwischen swingt im Electro-Boogie-Woogie-Gummi-Twist. Polyrhythmischen Electro-Smog-Rauschzuständen durchqueren, überlagern und bekämpfen sich gegenseitig und schaffen es so, das ganze Nervensystem, den ganzen Körper zu einem aufnahmebereiten (wenn nicht sogar lüsternden) Sensorium für »neue Audio-Lebensformen« (Kodwo Eshun) zu machen.

»Wir sind ein ganzes System periodischer Rhythmen im Körper. Es gibt viele überlagerte Periodizitäten, von sehr schnellen bis zu sehr langsamen. Und die erzeugen dann zusammen eine sehr polyrhythmische Musik im Körper.« (Karl-Heinz Stockhausen)

Bei FON werden diese »periodischen Rhythmen« jedoch radikalen Transformationsprozessen unterzogen. Denn hier geht es nicht mehr um »natürliche« Körperrhythmen (auf die sich Stockhausen noch bezieht), sondern um eine Rhythmatik, in einem »menschlich unmöglichen Zeitmaß« (Kodwo Eshun)

»Groove entsteht, wo einander überschneidende rhythmische Muster ineinander greifen, wenn Beats synchrovermatscht werden.« (Kodwo Eshun)

FONomatik bedeutet daher ganz spezielle Behandlungen auch akustischer Codes und Materialien (ganz egal, ob es sich dabei um elektrostatische Aufladungen, experimentell erzeugte Magnetfelder, schwankende Stromspannungen, die die Soundmöglichkeiten von Stahlwolle variieren oder um Fernseher die zu Synthesizern umgebaut wurden handelt). Hier wird die klingende und manchmal wie eine Säge singende Elektrizität abgehackt, zerstückelt und zerknüllt, erscheint angeschimmelt und übergärig sowie in einem Stadium der absoluten Ununterscheidbarkeit zwischen gasförmigen und plasmaförmigen Aggregatszuständen. Mutierend und oszillierend als taktiles »Search & Destroy«-Verfahren inmitten amorpher, temporär begrenzter Anziehungsfaktoren und vor allem außerhalb herkömmlicher Userfreundlichkeiten.

Was für die Musik von FON auch bedeutet, dass sie sich jederzeit auch »in giftigen Schleim auflösen und die Passanten assimilieren« (William S. Burroughs) kann.
Deshalb auch über all diese nicht greifbaren, lästigen Dub-Insekten bei FON, die durch den (akustischen) Raum irrlichtern, Bassfrequenzen termitenartig anknabbern, ihre Schleim & Drüsensekrete als Brennstoffe zu FONautischen Pop-Expeditionen anbieten, die dann erst recht zu akustischen Raum(ver)krümmungen sowie anamorphotische Verzerrungen und Dehnungen von Rhythmen führen.

Wenn im 19. Jahrhundert ein Mathematiker wie Bernhard Riemann davon ausging, dass Elektrizität und Magnetismus durch das Zerknittern unseres dreidimensionalen Universums in einer vierten Raumdimension hervorgerufen wird (also durch die Krümmung eines höherdimensionalen Raumes, den wir heutzutage als »The Other Side Of The Wurmloch« bezeichnen), dann unternehmen FON im Prinzip nichts anderes, als den Versuch, in solche höherdimensionalen Klanguniversen vorzudringen. Wobei die FONautischen Krümmungen und Anamorphosen auch für den Körper nachvollziehbar sind, ihn sogar explizit mitdenken und zur Neukonfigurationen/Neudefinitionen auffordern.

Wie bei bester Popmusik, die sich immer schon durch die genuss- und mehrwertsteigernde Gleichzeitigkeit scheinbar widersprüchlicher Begrifflichkeiten wie Kitsch und Avantgarde sowie Glamour und Trash definierte, so ist die FONsche Elektrizität – selbst in ihren abstraktesten Momenten – auch von einer knisternden HornyFON-Erotik gekennzeichnet, die dabei nicht selten an Lou Reeds Mittsiebziger Harakiri-Hardcore-Feedback-Orgie »Metal Machine Music« erinnert. Eine Fährte, die FON natürlich nie gelten lassen würden, in deren Spuren und Fluchtlinien sie aber unbewusst schon seit längerer Zeit unterwegs sind. Walk On The Ultra-Maschine Rocks-Wilde Side sozusagen.

Home / Musik / Artikel

Text
Didi Neidhart

Veröffentlichung
09.03.2002

Schlagwörter

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