© Ania Gleich
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Wo ist die Innen*stadt?

Das Elsa Plainacher Kollektiv zeigt vor, wie man Unterdrückungen sichtbar machen und besetzte Orte zurückerobern kann. Im Interview mit skug erklären die Protagonistinnen ihre Beweggründe und Vorstellungen darüber, wie man gegen die Dominanz patriarchaler Strukturen im Stadtraum vorgehen kann.

Es ist ein heißer Sommertag am 30. Juni 2021, an dem sich eine Gruppe Menschen am Wangari-Maathai-Platz, direkt vor der U2-Station Seestadt sammelt, um dort kontemplativ eine Reihe Keramikschilder zu beschriften, die am Boden verstreut herumliegen. Vor der Kulisse einer wohlrecherchierten Dokumentation über weibliche Architektur im Stadtraum Wien ruft hier im Rahmen des Angewandte Festivals 2021 das Elsa Plainacher Kollektiv zu einer feministischen Aktion auf, die sich kritisch mit dem Stadtraum als Sammelsurium stillstehender patriarchaler Gesetzmäßigkeiten beschäftigt. Sei das die Unterrepräsentation weiblicher Architektinnen in der Hauptstadt oder die Überrepräsentation männlicher Namen auf den Straßen und Plätzen Wiens. Elsa Plainacher fungiert dabei als Galionsfigur der Aktion: Der im 16. Jahrhundert als »Hexe« in Wien verbrannten Frau wurden zwar inzwischen ein Platz und eine Straße gewidmet, aber in den sogenannten »outkirts of town«, während am zentralen Ort ihrer Verbrennung im 3. Bezirk weiterhin kein Denkmal an sie erinnert. Im Gespräch mit den Protagonistinnen des Elsa Plainacher Kollektivs erfahren wir, was es überhaupt bedeutet, zu benennen, wieso man sich auch mit Denkmälern kritisch auseinandersetzen muss und weshalb eine Aktion wie diese gerade jetzt angebrachter ist denn je.

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skug: Was hat euch dazu bewogen, die Seestadt als Ausgangsort für eure Aktion auszusuchen?

Sascha: Also eigentlich wollten wir die Aktion ursprünglich am Hannah-Arendt-Platz durchführen. Dort steht auch sehr prominent ein Zitat von ihr: »Niemand hat das Recht zu gehorchen.« Außerdem hatten wir in der Lehrveranstaltung »Feministische Philosophie und Keramik in Aktion« viel mit Hannah Arendts Texten gearbeitet. Und das war so dieser Anknüpfungspunkt. Dann kam eben auch das Wissen darüber, dass in der Seestadt tatsächlich die Elsa-Plainacher-Gasse existiert. Außerdem schreibt sich die Seestadt groß auf die Fahnen, dass alle Straßen weiblich benannt wurden, also haben wir uns für die Seestadt entschieden.

Und weil ihr euch ja Elsa Plainacher Kollektiv nennt: Was war die Initialzündung, dieses Kollektiv zu gründen, und wann war das?

Marlene: Ich glaube, den genauen Moment festzumachen, ist gar nicht so einfach. Aber es hat sicher damit begonnen, dass Sascha an die Uni gekommen ist und explizit mit einer feministischen Einstellung gearbeitet hat, als Studio-Leiterin, was halt ein cooles und notwendiges Statement an der Uni ist. Und dann kam in dem schon erwähnten Kurs auch einmal Ale dazu und hat uns von »Claim the Space« erzählt. Daraus hat sich das dann ergeben, dass wir für den 8. März eine Schilderaktion gemacht haben mit dem Karlsplatz-Ton, da »Claim the Space« sich eben zum Ziel gesetzt hat, den Karlsplatz umzubenennen, um auf weibliche Geschichte, aber auch auf Femizide aufmerksam zu machen. Und in dem Spannungsfeld haben wir uns dann eigentlich zusammengefunden und haben angefangen, mit Referenzen zu arbeiten. So sind wir eben auch auf die Hexe als Figur gekommen, die in den feministischen Diskursen als Symbol der Aneignung verwendet wird und als Symbol des Empowerments. Und auf diesen Zug wollten wir aufspringen, weil es da eben noch viel zu entdecken gibt. Und Elsa Plainacher war dann auch so eine Figur, die wir in unserer Recherche gefunden haben, wo es spannend war, »to dig where you stand«. Also in Wien zu forschen, was hier an zu wenig erzählter Geschichte stattgefunden hat.

Jetzt würde ich gerne noch einmal nachfragen: Was ist die genaue Connection zwischen den »Claim the Space«-Aktionen und dem Elsa Plainacher Kollektiv?

Ale: »Claim the Space« organisiert nach jedem Femizid eine Kundgebung und das haben wir auch mitbekommen, das hat uns beeindruckt und natürlich machen diese Femizide, von denen man hört, auch sehr betroffen. Und ein Thema in der Lehrveranstaltung von Sascha war auch das Ritual. Da gibt’s auch eine Schnittmenge zwischen diesem rituellen Gedenken, das auch von der »Ni Una Menos«-Bewegung in Lateinamerika praktiziert wird. Dass dort einerseits eben Plätze umbenannt werden und andererseits eben auch nach Femiziden zusammengekommen und gemeinsam getrauert und für Frauenrechte protestiert wird.

Els: Ich glaube, du bist dann auch gekommen und hast erzählt von der Kundgebung und dem 8. März und dass da eben auch wirklich umbenannt wird. Und das hat dann einfach so gut gepasst, dass wir da gleich gesagt haben: Okay, wir wollen da mitmachen!

Warum ist es gerade zurzeit so notwendig, dass es solche Aktionen wie eure gibt?

Ale: Ich denke, vor allem im Lockdown war’s sehr bedrückend, zu Hause zu sitzen und dann von dieser häuslichen und dieser patriarchalen Gewalt zu erfahren und damit allein zu sein. Und dann ist es eben nochmal mehr entstanden durch diese Kundgebungen, um sich dadurch auch wieder mehr den öffentlichen Raum anzueignen, sich zu ermächtigen. Und die Straßenschilder können ein Teil davon sein!

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Wie seid ihr auf die Idee mit den Straßenschildern gekommen?

Flora: Das hat angefangen damit, dass wir gedacht haben, wir wollten eben ein paar Aktionen oder Performances machen und andererseits war uns eben der Karlsplatz-Ton so wichtig und so ist es zur Idee gekommen: Wieso nennen wir die Straßen nicht einfach um, wenn die Frauen so wenig repräsentiert werden in der Innenstadt! Und so sind wir auch auf die Seestadt gekommen, dass die ja »weiblich« ist, aber halt so irgendwo liegt. Also gar nicht Innenstadt, sondern eben irgendwo super »far out« und genau so ist das dann entstanden und dann hatten wir schon die erste Aktion.

Ale: Ja. Und es gab die Diskussionen über die Umbenennung des ehemaligen Karlsplatzes, was uns auch beeinflusst hat. Und da kam auch der Zusammenhang gleich: Wir haben den Karlsplatz-Ton  ̶̶  das hat sich dann also auch gegenseitig beeinflusst.

Flora: Und dann kam noch der Aspekt dazu, dass wir auch auf Augenhöhe sein wollten mit den Leuten, die dann mitmachen und eben auch andere Leute einbringen wollten in diese Aktion. Also es war schon ganz am Anfang, wo es noch nicht um Schilder gegangen ist, ein ganz wichtiger Aspekt. Schon bei unserem ersten Treffen haben wir gesagt: Uns ist aber wichtig, dass Leute mitmachen und da reinkommen in diese Aktion und dass wir allen auf Augenhöhe entgegenkommen und dass wir die auch aufklären können, was diese ganze Ungleichheit angeht.

Ein Aspekt, der mir aufgefallen ist, den ich an der ganzen Schildersache spannend finde und den man sicherlich wieder konzeptuell diskutieren kann, ist das Faktum, dass diese Schilder so ein bisschen ausschauen, als wären sie aus Pappkarton, und dass sie dadurch irgendwie so etwas Flüchtiges an sich haben. Und dann greift man sie an und sie sind schwer und man kann sie irgendwo hinstellen und hinhängen und sie sind sehr »stubborn«.

Flora: Ich glaub, dass es uns ganz zugutegekommen ist, dass sie wie Karton ausschauen. Wir haben bei der ersten Aktion Schilder direkt vor der Polizei am Karlsplatz aufgehängt und ich glaube, die haben nicht ganz verstanden was wir da tun. Also es ist uns irgendwo zugutegekommen, dass sie so unscheinbar ausschauen. Also natürlich sind sie schon farblich knallig und auffällig, aber irgendwie schauen sie eben auch aus wie Karton.

Els: Das war sogar während einer Demo. Es war also wie ein Inkognito-Modus, in dem wir da unsere Aktion gemacht haben.

Marlene: Ja und deshalb sind sie wahrscheinlich auch so lange hängen geblieben. Also am Karlsplatz haben wir zwei direkt vor die Frauenfiguren der Karlskirche, die am Eingang stehen, gehängt. Die wurden schnell wieder entfernt. Aber zwei andere haben wir wirklich an die Platzschilder des Karlsplatzes drangehängt und die sind wochenlang geblieben. Es haben uns auch immer wieder Bekannte gesagt: Ich war grad am Karlsplatz, die Schilder hängen noch! Also es war auch spannend, zu sehen, wie lang so etwas im öffentlichen Raum bleibt.

Sascha: Und vielleicht noch ein Punkt zu dem – denn es gibt ja immer Diskussionen über Platzumbenennungen und da ist immer das Hauptargument: Das kostet ja so viel. Und da wäre es eigentlich so eine schöne Alternative, einfach so etwas Zusätzliches dazu zu hängen.

Els: Aber eine Nuance, die noch wichtig wäre, ist das Faktum, dass wir uns immer noch fragen, was es eigentlich bedeutet zu benennen oder umzubenennen, weil es immer noch eine Form von »claiming« ist. Aber es ist an sich ein wichtiges Thema, zu sagen: Dieser Platz heißt jetzt so und das bleibt auch so. Und so kolonialisiert immer eine Person den Ort, auch wenn es eine Frau ist.

Marlene: Ja das war so eine wichtige Erkenntnis, die wir während der Vorbereitung für die Aktion hatten, dass jede Wahl immer auch ausschließt. Jede Selektion von Namen, jede Geschichte, die auf den Tisch gebracht wird, lässt eine andere verblassen  ̶  wir entscheiden uns somit immer gegen ganz viele andere Geschichten. Und das ist sicherlich auch ein Akt, den wir kritisch betrachten. Für die Aktion sind wir dann darauf gekommen, aus diesem Kollektivwissen zu schöpfen und die Leute, die als Teilnehmer*innen dabei sind, sich einen Namen aussuchen zu lassen. Da zumindest auf eine breitere »base« zurückgreifen zu können. Und da ist auch ganz schön, dieses: Jede Stimme ist Eins wert. Jede Person trägt eine weitere Person hinaus, die sie als prägend empfindet.

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Wenn ich euch so zuhöre, dann ist bei dem Projekt auch viel aus Spontanität und Zufall entstanden und ich denke mir, dass da auch meine Frage ganz gut dazu passt: Was erhofft ihr euch, wenn die Menschen hier jetzt in die Stadt reingehen und das halt dokumentieren und auf sozialen Netzwerken verbreiten und so weiter? Oder sollte man sich am besten einfach nichts Bestimmtes erhoffen?

Els: Wir hatten nur eine Regel für die Aktion, nämlich die Person, die man aufschreibt, sollte zu finden sein, im Internet zum Beispiel. Also es muss nicht eine bestehende Person sein, es kann auch jemand aus einer Fantasiegeschichte sein, aber wenn ich das Schild sehe und ich weiß nicht, wer das ist, dann werde ich ins Internet schauen und mich fragen: Wer ist das? Und so wird es für jede Person, die so ein Schild sieht, eine Einladung sein, all diese supertollen Frauen und Personen kennenzulernen. Viele Namen kenne ich selbst auch noch gar nicht!

Das erzeugt so einen spontanen Moment des Nachdenkens in der Flüchtigkeit, in der wir uns sonst in der Stadt bewegen.

Flora: Und ich glaube, in der Aufklärung ist es uns einfach wichtig, aufmerksam zu machen auf Frauen, die in unsere Gesellschaft immer noch völlig untergehen: Frauen, die halt die ganze Zeit und immer schon unterdrückt wurden und denen halt voll viel geraubt worden ist. Auch auf diese Frauen aufmerksam zu machen, die einfach viel zu wenig Platz kriegen. Und es wäre auch noch schön, wenn bestimmte Plätze, auch in näherer oder fernerer Zukunft, vielleicht auch wirklich umbenannt werden.

Stadt Wien – bitte höre die Signale!

Sascha: Dass man uns nicht mehr den Mund zustopfen kann, weil es eben schon so laut ist, dass man uns trotzdem hört. Und dass wir hoffentlich bald diese Erinnerungstafeln am Elsa-Plainacher-Platz aufstellen dürfen, ganz offiziell, feierlich. Das ist ein großer Punkt.

Flora: Es ist auch einfach wichtig, weil die Ungerechtigkeiten einfach so arg sind. Wenn du dir irgendwie anschaust, was für Leute, was für Männer repräsentiert werden in der Innenstadt, ist das einfach nur ein Armutszeugnis und groß zu hinterfragen. Und Frauen gibt es einfach basically keine!

Beziehungsweise nur in den Peripherien. Auch im Sonnwendviertel gibt es etwa zahlreiche Frauennamen. Aber da wären wir beim Thema: Betonwüste vs. was macht einen Ort zu einem Ort. Weil diese künstliche Architektur, wie hier oder eben im Sonnwendviertel existiert, ist halt sehr distanzierend. Und dass man dann wieder dorthin Frauen »displaced«, ist ja auch sehr fragwürdig.

Els: Genau! Nicht nur dort Frauennamen, wo neue Straßen kommen. Quasi nach dem Motto: Hier kann man, weil es hat, noch keine*r.

Was sind denn so eure nächsten Ideen, Pläne?

Ale: Wir machen weiter!

Flora: Wir hoffen jetzt auf das Elsa-Plainacher-Gedenktäfelchen und wenn’s nicht passiert, werden wir es nochmal hinhängen. Ansonsten: Abwarten. Mal schauen, was mit den Tafeln passiert.

Marlene: Mich würde es halt interessieren, wie lang die jetzt bleiben und stehen bleiben, wie viel Aufmerksamkeit die auch kriegen, und dann können wir auch bald eine neue Aktion planen und dadurch wachsen und größer werden.

Els: Und vielleicht den Elsa-Plainacher-Platz wirklich offiziell machen …

Marlene: … offiziell benennen und wir sind in Verhandlungen, ob wir sogar eventuell ein Denkmal gestalten können. Das wäre natürlich großartig, dass wir uns da wieder als Gruppe auseinandersetzen könnten: Die Idee »Denkmal« vielleicht kritisch zu beleuchten und auch zu schauen, wie wir da auch mit unserem Karlsplatz-Ton ran gehen können oder auch einem ganz anderen Material. Und ich glaub’ jetzt und in letzter Zeit: Wir haben ja unser Instagram @elsaplainacher und werden da auch jetzt viele Daten kriegen, also Fotos und Standorte. Ich weiß nicht, wie’s euch geht, aber ich sehe grad schon soziale Medien als Raum, wo das dann zusammenkommt und Power generiert werden kann als Ganzes.

Link: https://angewandtefestival.at/projekt/elsa-plainacher/

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