Fans von Bon Iver müssen lange Pausen zwischen den Releases gewöhnt sein, etwas mehr als fünf Jahre ist es her, dass Justin Vernon sein letztes Album »i,i« veröffentlicht hat. Inzwischen gab es zwar einige hochkarätige Kollaborationen (u. a. mit Taylor Swift, Charlie XCX, Travis Scott und Zach Bryan) und ein paar Singles, aber eben keine zusammenhängenden Musikstücke mit Konzept. Auch jetzt ist es kein ganzes Album, sondern nur eine EP mit drei Songs, dafür fühlt sich dieser Release gehaltvoller an als ganze Alben anderer Musiker*innen.
Bereits durch die zuvor veröffentlichten, in Schwarz-Weiß gehaltenen Social-Media-Posts war klar, dass die neue Musik sich von dem extrovertierten, aufgeblähten Sound des letzten Albums wieder eher in Richtung des reduzierten Konzepts des ersten Releases »For Emma, Forever Ago« orientieren wird. Der Musiker aus Eau Claire, Wisconsin sprach in einem Interview mit »The New Yorker« von einem Dreieck von Bedeutungen der einzelnen Songs. »Things Behind Things Behind Things« stellt den Anfang dar, thematisiert werden Ängste und ein ewiges Zerdenken, gepaart mit einem Beat, wie man ihn von Bon Ivers Nebenprojekt Big Red Machine mit The-National-Gitarrist Aaron Dessner kennt, einer E-Gitarre und einer Pedal Steel Guitar. Und natürlich der Stimme von Vernon, die wohl das zentralste Instrument der EP ist.
Weiter geht es mit »Speyside«, hier sind wir thematisch nach den Ängsten bei den (durch die Ängste verursachten) Schuldgefühlen angekommen. »I can’t rest on no dynasty / What is wrong with me? / Eh, I’m so sorry / I got the best of me / I really damn been on such a violent spree« sind unvergleichlich gut vermittelte Lyrics und stellen den Tiefpunkt der Schuld und somit der EP dar. Hier hört man neben der unfassbar fein aufgenommenen Stimme Vernons nur die akustische Gitarre und die Geige seines langjährigen Begleiters Rob Moose.
Im letzten Song »Awards Season« geht es schließlich um das Überwinden von Schuld und die Akzeptanz von Hoffnung. In dem Song, der eigentlich neben dem Gesang nur aus einem Drone Sound und ein paar kleinen Synthesizer-Geräuschen besteht, gipfelt die EP in einem emotionalen Ausbruch in Form eines Saxofonsolos mit einer Orgel, das Potenzial hat, zu Tränen zu rühren.
Finger in der Wunde
Der kryptische Titel »Sable,« hat mehrere Bedeutungen, u. a. bezeichnet er eine Marderart, die Farbe Schwarz und einen Fluss in Michigan; der gemeinte Sinn ist aber »die Dunkelheit sein«, genauer gesagt bezeichnet Vernon damit seine schwere Aufgabe, auf der Bühne immer und immer wieder Verletzlichkeit darzubieten und mit seiner häufig melancholischen Musik den Finger in die eigene Wunde zu legen. Beruflich immer wieder sein Trauma vor Tausenden vor Leuten neu aufleben zu lassen, brachte Bon Iver in den vergangenen Jahren wiederholt an den Rand des Karriereendes. Auch diese Thematik ist auf der 13-minütigen EP klar zu spüren. Bon Iver hat seinen Zenit jedoch immer noch nicht überschritten und liefert mehr als nur einen Lückenfüller bis zur nächsten LP, sondern ein unfassbar ehrliches und intimes Stück Kunst, das einfach nicht volle Albumlänge braucht, um seine Wirkung zu entfalten.
Ein bisschen Hoffnung gibt es aber, dass der nächste Release nicht erst in fünf Jahren erscheint: Erstens ist das Komma im Titel etwas verwunderlich am Ende des Wortes platziert (jede Bon-Iver-LP enthielt ein Komma, aber keine EP). Zweitens endet der letzte Song »Awards Season« nicht mit einem sauberen Schnitt, sondern fadet aus und wieder ein, bevor er abrupt abbricht. Drittens gibt es bis dato keinen Vinyl-Release, was seltsam ist, da sich sowohl Fans als auch Bon Iver selbst darüber freuen würden. Und viertens gibt es Hinweise auf der Website des Künstlers: Seit Veröffentlichung der EP sind zwei schwarze Quadrate aufgetaucht. Auf einem findet man einen Live-Stream zu einer Trail Cam, die auf ein Kunstobjekt zeigt, auf dem anderen genau den Sound vom letzten Track, der so unsauber aufhört. Wenn man sich den Quellcode der Seite ansieht, findet man heraus, dass eines der Quadrate seine Farbe sehr langsam zu einem Orange hin ändert. Die Intervalle der Änderungen sind unterschiedlich, es gibt Schätzungen, dass der Prozess zwischen Ende November 2024 und Ende Jänner 2025 abgeschlossen sein wird. Was dann passiert, ist natürlich noch nicht klar, aber feststeht, dass es sich um einen Countdown zu etwas handelt.
Link: https://boniver.org/