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DER KONTERFEI Verlagsportrait

Der von Robert Jelinek gegründete Verlag DER KONTERFEI aus zwei Perspektiven: 1) Portrait zur Buchserie von Thomas Ballhausen, 2) Interview mit dem Verlagsgründer von Heinrich Deisl. Ein für skug online aus zwei Texten zusammengefasster Artikel aus skug #103, 7-9/2015. 

Denkstoff für Neugierige

Die seit 2014 von Robert Jelinek betriebene Verlagsreihe »DER KONTERFEI« bietet in schlichter Eleganz Schlaues, Streitbares und immer wieder Ûberraschendes. Eine quellenkundliche Notiz zum »Basismaterial« der geplanten »SoS Akademie«.

THOMAS BALLHAUSEN Text

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Der Titel ist Programm, das »Konterfei«- ›Gesicht‹ ist einprägsam und leicht wiederzuerkennen: In portablem Format, schlank im Umfang, schlicht in der Gestaltung und in limitierter Auflage werden Zustandsberichte zu »Kunst, Medien und Gesellschaft in Textform« versammelt. Die aufgerufenen gestalterischen Standards und editorischen Prinzipien erlauben ein problemloses Einklinken in den Buchmarkt, garantieren, nicht zuletzt in ihrer seriellen Struktur, Aufmerksamkeit.

Gleichzeitig wird mit dem Einsatz dieser Rahmenbedingungen auch eine Freiheit und Beweglichkeit gewährleistet, die es möglich macht, in verhältnismäßig kurzer Zeit viele Titel und unterschiedlichste Textsorten zu publizieren. 

»DER KONTERFEI« steht hier im Gestus einer Attacke, die von vielen Seiten zugleich stattfindet. Nicht weniger geplant mutet die Bezeichnung an, läuft die Buchreihe doch unter dem Begriff des »Journals«; hier wird mit verlegerischen Konventionen ebenso ernsthaft gespielt wie mit den neuen metrischen Zumutungen der Leistungsmessung im künstlerischen bzw. akademischen Betrieb. Mastermind Robert Jelinek hat mit dem ersten Band »Kultur Anlegen«, der inzwischen auch schon in erweiterter Ausgabe innerhalb von »DER KONTERFEI« tumblr_n7km2e56yD1tptvf4o1_1280.jpggreifbar ist, selbst das textliche Fundament einer Basisbibliothek des Ein- und Widerspruchs gelegt: In »No Go. Kultur Anlegen 2.0« wird eindringlich formuliert, wie die kapitalistische Gesellschaft mittels der Ermöglichung von gezähmter, auf Verkäuflichkeit getrimmte Kunst kulturgenerierend agiert – und dabei wie selbst- verständlich soziale Fragen suspendiert. Dem exkludierenden Validierungsfaktor Markt, der Verwertung von Kunst und den verklärenden Begleit- erscheinungen wird ein radikales »Die Kunst braucht wieder Zähne!« entgegengehalten. Jelinek pocht, mit großen Kategorien wie Wahrheit oder Wirklichkeit operierend, sehr bestimmt auf eine Haltung unbe- dingter Ermöglichung, auf das Darstellen von Haltung, den Aufbau »symbolischer Immunsysteme«. Sein Eintreten für die »vermeintlich entbehrlichen Kunst- schaffenden« greift mit »DER KONTERFEI« direkt in den zyklischen Kreislauf aus Produktion, Vermittlung und Rezeption ein.

Die bisher vorgelegten Titel sind in ihrer Unterschiedlichkeit deshalb nicht zuletzt auch unter dem Diktum der Zugänglichmachung zu lesen: Da steht wie selbstverständlich eine verschriftlichte Lecture (auf Englisch erschienen) von Bill Drummond neben einem Interview mit Paul Watzlawick, ein Modellentwurf zeitgemäßer Schulen von Günter Mik neben Didi Neidharts experimentierfreudigen, auf die Herausarbeitung popgeschichtlicher Widerstandslinien gerichteten Essay »FISSIONEN. Anleitung zum sonaren Fracking«. Weitere Bände – wie der psychogeografische Bericht »Godstar« über Genesis Breyer P-Orridge von Uwe Schütte, ein Doppelinterview mit Peter Weibel von der Wiener Medien- wissenschaftlerin Katharina Gsöllpointner und skug-Chefredakteur Heinrich Deisl sowie die von ihrem Sohn Bohdan Rodyuk Chekan aufgezeichneten Texte, Artikel und Memoiren der ukrainischen Journalistin und Schauspielerin Olena Chekan – die das Spektrum noch erweitern werden, sind bereits in Vorbereitung. »DER KONTERFEI« versammelt notwendige, mitunter explosive Texte. Fortsetzung folgt.

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Verschüttetes Wissen enteignen

Vierzehn Bände in eineinhalb Jahren – wie das geht und warum das sein muss erzählt der Herausgeber/Künstler Robert Jelinek im skug-Interview.

HEINRICH DEISL Text/Interview

Der Lagerkeller der Buchhandlung777 in der Wiener Innenstadt dient als Gesprächsort. Tief unter der Erde gelegen, durchweht ein Hauch hermetischer Abgeschiedenheit dieses komfortable Ambiente. Man fühlt sich jenseits von Zeit und Raum. Es ist zehn Uhr vormittags, Robert Jelinek hat seine Tochter bereits in die Schule gebracht und vermittelt Adrenalin pur. So als wäre er um zehn Uhr abends ins Bett gegangen, wäre da nicht diese E-Mail an mich von halb zwei Uhr nachts.

Robert Jelinek ist seit gut fünfundzwanzig Jahren ein agent provocateur in bester instruktiver Art. Mit der Plattform Sabotage Communications – das Plattenlabel Sabotage Recordings, der Off-Space Spoiler, Subetage, das Parfüm »Cash« etc. – sorgte er für jede Menge irritierender Interventionen. Diskursives Wissen und praktische Umsetzung zusammengerechnet, ist Jelinek ohne Ûbertreibung der The KLF-Experte schlechthin. In dem 2003 gegründeten Mikrostaat State of Sabotage (SoS) be- schäftigte er sich mit Fragen rund um Territorien, Migration, Natur und Identität.

Seit der Auflösung des SoS Ende 2013 widmet er sich mit der von ihm herausgegebenen und von der Buchgestalterin Elena Henrich designten Buchreihe »DER KONTERFEI« dem Aufbau eines, wie er es nennt, »Journal des verschütteten Wissens«. Die darin publizierten Gespräche mit Oswald Oberhuber (#006), Paul Watzlawick (#008), Peter Weibel (#014) oder Timm Ulrichs (#005), transkribierten Lectures von Coil (#002) und Bill Drummond (#011) sowie theoretischen Texte von Didi Neidhart (#007) oder Jelinek selbst (#001, 010) stecken ein breites Feld zwischen popkultureller Roots- forschung und aktuellen soziopolitischen Stellungnahmen ab.

Die längerfristige Intention von »DER KONTERFEI« ist die Schaffung einer eigenen Akademie mit entsprechenden Curricula und international approbierten Abschlusszertifikaten. Alles ganz hoch- offiziell; so haben die Bücher selbstverständlich auch eine ISBN-Nummer und liegen in vielen deutsch- und englischsprachigen akademischen Einrichtungen auf.

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  Robert Jelinek © Magdalena BÅ‚aszczuk


skug:
Wie kam es zu
»DER KONTERFEI«?
Robert Jelinek: Seit Beginn meiner künstlerischen Arbeiten mache ich Bücher. Nach der Auflösung des SoS, der genau zehn Jahre existierte, wollte ich etwas tun, das vordergründig mit Bildung oder Wissen zu tun hat. Ich hatte wieder Lust, mich in die Schule zu stecken. Und ähnlich wie beim SoS sollte es sich um eine Einrichtung handeln, die international von diversen Organisationen approbiert ist. Das war mir sehr wichtig. Für »DER KONTERFEI« wollte ich mit Persönlichkeiten zusammenarbeiten, die meiner Meinung nach historische, kulturelle, gesellschaftliche oder künstlerische Positionen aufge- zeigt oder bestimmte Standards eingeführt haben. Das Antlitz – das Konterfei – steht symptomatisch für eine bestimmte Person, der ich in einer Face-to-Face-Situation, vorzugsweise bei ihr zuhause oder an ihrem Arbeitsplatz, möglichst nahe kommen will. Deshalb finden die Gespräche nicht über E-Mail oder Skype statt. In gewisser Weise knüpft »DER KONTERFEI« an meine Label- und Spoiler-Aktivitäten an, eben insofern der persönliche Austausch sehr wichtig ist. Als Inspiration für die Serie diente eine Monografie-Buchreihe – »Bild Monographien« – des Rowohlt-Verlages aus den 1980er Jahren. Ich habe diese Bücher schon als Jugendlicher geliebt: große geistige Leistungen kompakt, massentauglich und günstig zusammengefasst. Für »DER KONTERFEI« haben wir uns dann sämtliche Strukturen – vom Lektorat bis zum Vertrieb – neu aufgebaut. Wir beliefern bewusst keine (Online-) Großketten, auch wenn wir dadurch in den Suchmaschinen nicht topgelistet sind. Die meisten Bücher sind sowieso innerhalb von zwei Monaten vergriffen.

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Wie gestaltet sich die Buchserie inhaltlich?

Mit »DER KONTERFEI« soll ein nicht unbedingt alternatives, sondern eher schwer greifbares Wissen zugänglich gemacht werden. Ich finde, dass wir in einem ziemlichen Verdummungszeitalter leben. Wir werden zwar vollgestopft mit Informationen, aber oft wird dabei vergessen, dass Information nicht gleich Wissen ist. Ich möchte mit den Quellen in Kontakt treten und mit ihnen darüber sprechen, wie es wirklich war. Ich bin ein Fan alter Lexika. Wenn man deren Inhalte selbst mit Wikipedia-Einträgen vergleicht, finden sich teilweise jede Menge Fehler, die weiter kopiert werden und sich historisch einnisten. Es wird einem ja vorgegaukelt, dass die Informationen, die via Google oder Wikipedia abrufbar sind, ›real‹ seien. Dabei gibt so viele Dinge, die man nicht googlen kann: die Erfahrungen, Einschätzungen oder persönlichen Begebenheiten der in den Büchern Interviewten liegen zumeist außerhalb der von digitialen Suchmaschinen perforierten Wissenszusammenhänge. Und selbst wenn ich mit den bisherigen Interviewgästen quasi einen Pensionistenclub aufmachen könnte, besteht der Anspruch, ein Zielpublikum um die dreißig anzusprechen. Weshalb die Buchpräsenta- tionen überwiegend in einem didaktisch ansprechenden Rahmen mit Musik und Party stattfinden. Ich mache das lange genug, um zu wissen, wie Anspruch und Party flüssig ineinander übergehen können.

Was interessiert Sie an den Menschen, mit denen Sie sich treffen oder deren Texte Sie veröffentlichen? Wie wird entschieden, was für »DER KONTERFEI« relevant ist?
Das ist eine subjektive Herangehensweise. Man muss unterscheiden, ob ich jemanden interviewe oder ob ich jemanden einlade, eine Person zu portraitieren. Auch wenn ich von Kunst ziemlich ge- sättigt bin und mich bei »DER KONTERFEI« Kunst als solche am wenigsten interessiert, kommen meine Fragen aufgrund meiner Biografie klarerweise aus einer künstlerischen Perspektive. So geht es etwa im Interview mit dem Ernährungswissenschaftler und Lebensmittelchemiker Udo Pollmer um Gerüche, Miasmen und Aphrodisiaka. Ich treffe mich lieber mit einem Fußballfanatiker, einem Drogenhändler oder einer Astrologin, wenn sie spannend genug sind. Es sind Personen, die etwas zu vermitteln haben. Personen wie Weibel, Ulrichs oder Oberhuber haben sich ihr eigenes Universum aufgebaut, sie hatten eine ganz konkrete, klare und strenge Haltung, und zwar nicht nur sich selbst gegenüber, sondern, und das ist für mich wesentlich, auch gegenüber dem Betrieb, in dem sie gearbeitet haben; Personen also, die immer auch Verfechter der Kunst waren. Wien würde heute kulturell anders aussehen, hätte es nicht Leute wie Oberhuber gegeben, der damals als mehrmaliger Rektor der Hochschule für angewandte Kunst Kreative von Beuys bis Lagerfeld nach Wien geholt hatte. Auch wenn ich persönlich nie ein Beuys-Fan war, ist Beuys ein gutes Beispiel: Gerade zu ihm sind – von Wikipedia-Einträgen angefangen bis wohin auch immer – hunderte Texte verfasst worden, und dabei haben sich aber falsch interpretierte Informationen festgesetzt, die sich aus der Geschichte nicht mehr streichen lassen. Desto wichtiger ist es, mittels Zeitgenossen, die eng damit zu tun hatten oder mit ihnen befreundet waren, eine andere Sicht der Dinge darzustellen.    DRUMMNOND_cover_s1_4_2015_03_16_final_3_Kopie.jpg

Warum erscheinen die Bücher im Print- und nicht im Digital-Format? Indem die Bücher auf dreihundert Stück limitiert sind, könnte man der Serie eine gewisse ›künstlerisch wertvolle‹ Exklusivität unterstellen.
Ich habe mir die Vorgabe gesetzt, dass ein »DER KONTERFEI«-Buch nie über 9,90 Euro hinausgehen soll, was natürlich die Produktionskosten deter- mininert. Außerdem bin ich überzeugt, dass das, was wir behandeln, sich niemand als PDF aus- drucken würde. Sich rar zu machen, verstärkt in Zeiten allgemeiner Verfügbarkeit die Beziehung zwischen Inhalt und Rezipient. Wie damals bei Sabotage Records mit den Vinyls ist mir bei »DER KONTERFEI« das Haptische sehr wichtig. Ich will mir in die Bücher Eselsohren machen können oder in ihnen Spaghettireste finden. Mein künstlerischer Zugang besteht darin, den Geltungs- und Dar- stellungsdrang, den jede/r Künstler/in hat, auf die reine Textform herunterzubrechen. Weshalb auch, abgesehen vom Coverfoto, keine Bilder vorkommen. Und schließlich hat man es mit Distribution zu tun. Klar ist, dass heutzutage der Buchmarkt und die Vertriebsstrukturen im Arsch sind, weil die Verlage schon lange nicht mehr ihrer ursprünglichen Aufgabe nachkommen. Fünf Konzerne publizieren mehr als die Hälfte aller Wissenschaftsstudien. Auch ist die Schieflage eine besondere, weil die Verlage, hochgerüstet mit eigenen Druckereien, mit Null Risiko fast alles vom Herausgeber frei Haus aus- finanziert bekommen. Mein Motto war immer: »More risk, more fun«.Von daher war es auch hier notwendig, neue Netzwerke zu schaffen, über die man als Eigenverlag einen besseren Ûberblick und mehr Kontrolle hat als wenn man seine Produkte aus der Hand geben würde.

konterfei_008_WATZLAWICK_cover_seite1_2_67_68_Kopie.jpgDie Serie soll als ein »Basisapparat« für das »DER KONTERFEI«-Nachfolgeprojekt einer Akademie dienen. Wie kann man sich diese vorstellen?
Im Pop haben sich in den letzten zwanzig Jahren bezüglich Selbstverständnis, Gedächtnis und Rezeption tiefgreifende Veränderungen ergeben. Die früher für mich sehr wichtigen Konzepte von The KLF funktionieren nicht mehr. The KLF stand für Home-Recording und Copyright-Brüche, dafür, alles selbst in der Hand zu haben. Kopyright Liberation Front ist heutzutage vorbei, die ficken dich, wenn du sowas machst. Früher war das ein Statement, mit dem man eine Community mobilisieren konnte, die das gepusht hat. Man konnte über eine andere Art von Shitstorm gegen die Majors Position beziehen; siehe die bekannte Aktion »Condition Red« 1999 von Underground Resistance gegen Sony. Heute wissen die Leute gar nicht mehr, dass die Majors klauen, weil sie kein Wissen darüber haben, dass es z. B. ABBA mal gab. Ich schätze, dass kaum einer, außer die, die es interessierte, wusste, dass Madonna für »Hung Up« ABBAs »Gimme Gimme Gimme« samplete. Von diesem Nicht-Wissen wissen mittlerweile auch die entsprechenden Produzenten.    

Der Popdiskurs, der in den angloamerikanischen Ländern oder Frankreich früher angefangen hat, lief in Österreich ganz anders. Was waren die letzten »-Ismen« in der bildenden Kunst? Das waren die »Neuen Wilden« und Anfang der 1990er gab es Kontextkunst. Und Kontextkunst benötigt genau das, nämlich dass man darüber quatscht, weil man eben den Kontext durchleuchten will. Dann gab es die sogenannten Guerilla Girls. Viele Positionen von damals sind nach wie vor sehr relevant. Dadurch entstanden auch große Formalisten wie Heimo Zobernig, der den Raum nur mehr als Raum betrachtet hat. 1991 kam dann der Erste Golfkrieg. Dadurch musste circa ein Drittel der Wiener Galerien zu- sperren, weil über London die Kunst-Märkte zugeklappt wurden und Sammler wegfielen. Und auch weil zeitgenössische Kunst damals in Österreich nicht relevant war. Man musste sich Sitzfleisch anzüchten, um danach zu fragen, was da eigentlich los war und wo die Begriffe waren. Auf Deutsch- land umgelegt, wäre hier Hans Haacke zu nennen: er sieht sich genau an, von wem er eingeladen, wie seine Kunst finanziert wird oder was das für ein Raum ist, in dem er sitzt. Daraus entwickelt er seine Arbeit. Und nicht auf einem hipsteresken Sofa in einem Park sitzend. 

Wenn man über Pop redet: in Österreich gibt es keinen Pop. Der letzte Begriff über Pop war Austro- pop. Jetzt versucht man, eine Schiene zu finden für einige neue Acts, die da rauskommen. Es gibt hier aber keinen Pop, weil es keine Strukturen dafür gibt. Wenn man sich dagegen England, Schweden oder Finnland ansieht, stell man fest, dass dort seit Jahrzehnten ein Markt und damit ein Gehör vorhanden sind. Man muss sich nur ansehen, wie viele Diskotheken es am Land gab. Außerdem haben wir es in Österreich mit großen Minderwertigkeitskomplexen zu tun. Das ist nicht nur im Pop- sondern auch im elektronischen Bereich so. Es traut sich keiner, wirklich etwas zu machen. Und wenn, dann schleichen sich diese Leute – glücklicherweise für sie – schnell ins Ausland. Bands wie etwa Ja, Panik waren gut damit beraten, schnell aus dem Burgenland zu flüchten. Ein weiteres Problem ist, dass viele von denen, die an den Hebeln sitzen, keine Beschleuniger sondern Bremser sind. Als Export sind Jungs mit Bärten in Frauenklamotten das ist das einzige, was wir haben. Die Schweiz, die sich aufgrund der Größe beim Export ebenfalls spezialisieren musste, hat zwar eine ähnliche Aus- gangslage, ist aber allem Anschein nach sehr anders: siehe so Freaks wie Fischli/Weiss oder Roman Signer.

Ûber was wollen wir hier in Österreich auch reden? Ich hatte um 2002 so etwas mit der Kommuni- kationsplattform Spoiler im Museumsquartier versucht, in dem es die Lectures von Coil und Bill Drummond gab. Aber das war zu früh und es gab seit 2000 die schwarzblaue Koalition und Spoiler wurde einfach abgeschossen.

Würden Sie einen Off-Space wie den Spoiler nocheinmal machen oder fortsetzen?
Nein. Dafür bin ich zu alt. Solange es diese Akademie nicht gibt, wird es auch keinen Konterfei- Space gaben. Wozu auch? Was sollte man dort tun: Seminare abhalten? Braucht es einfach nicht. Es geht darum, herauszudestillieren, wo Grauzonen oder spezielle inhaltliche Bedürfnisse bei Fachhoch- schulen oder Universitäten bestehen. Wir reden bei der »Academy of Sabotage« nicht von einem Kunstprojekt à la: »Tut mir leid, dass wieder etwas schief gegangen ist. Es war halt Kunst«. Das wären gezähmte Zähne. Ich will aber geschärfte Zähne. Ich will wo reingehen und sagen können: »Wir machen das jetzt und das bleibt auch«. Viele Menschen setzen ihre Existenz aufs Spiel, Eltern setzen für die Ausbildung ihrer Kinder ihre Existenz aufs Spiel, und dann kommt jemand daher, der ihnen alles verspricht, und das Ding ist aber nirgends anerkannt. Es geht nicht, etwas zu versprechen, das man dann nicht einlösen kann. Man darf die Leute nicht verarschen.

Um via Spoiler nochmals auf die österreichische Musiklandschaft zu kommen: die würde ganz anders aussehen, wenn man den Pop-Diskurs in Österreich ernst nehmen würde oder ihn anders wahrge- nommen hätte. Es gibt in Österreich immerhin Leute, die das gut unterrichten; siehe etwa Diedrich Diederichsen an der Akademie der bildenden Künste. Aber auch er ist mittlerweile ein Berufsjugend- licher. Das ist eine weitere Antwort auf die Frage nach dem Spoiler: Ich würde das nicht mehr machen, weil ich kein Berufsjugendlicher bin. Ab einem bestimmten Alter hat man nicht mehr die Energie oder ganz einfach die Lust, sich fünfmal die Woche in irgendwelchen Kellern die Ohren voll- zudröhnen um rauszufitzeln, was kommt. Um voraus zu sein, muss man an den Quellen sein, und da wird’s dann für mich als potenzieller Berufsjugendlicher mit Mitte vierzig schwierig. Das sollte jemand machen, der da wirklich dran ist. Das ist eigentlich ein Auftrag für Kids.

Was wären Pläne oder Ziele dieser Schule?
Wie schon beim SoS braucht es für diese Schule Anerkennung seitens offizieller Institutionen. Während der SoS als Kunstprojekt einen klar definierten Zeitrahmen von zehn Jahren hatte, habe ich mir bei »DER KONTERFEI«tumblr_nk6psocoeR1tptvf4o1_1280.jpg kein klares Datum ge- setzt. Bei diesem Projekt gibt es keinen offensicht- lichen Grund, es aufzulösen. Ob dann diese »SoS Akademie« manifest oder im Netz existiert, macht keinen Unterschied. Wichtig ist, dass die Lehrpläne und Abschlüsse valid sind. Eine der Ideen ist, Menschen, die in repressiven Regionen leben, virtuell einen realen Hochschulabschluss zu er- möglichen.

Allein in Wien gibt es dreiunddreißig Privatuniver- sitäten, die quasi rein wirtschaftlich ausgerichtet sind, gleichzeitig werden die meisten Universi- tätsabschlüsse aus dem afrikanischen Kontinent in Österreich nicht anerkannt. Es geht vor allem um die Herstellung von Strukturen. Als Vorlage für Lehrpläne dienen die »DER KONTERFEI«-Publi- kationen. Organisatorische Fragen – also z. B. »Studiengebühren: Ja oder nein?« oder welche Fächer und Curricula zu absolvieren sind, ziehen eine Vielzahl von Entscheidungen nach sich. Kunst wird es sehr wahrscheinlich nicht geben, weil es nicht nötig ist: dafür gibt es genug andere und gute Einrichtungen. Sollte diese Schule Realität werden, möchte ich die Herausgeberschaft von »DER KONTERFEI« an die Studierenden übergeben.

Ich stamme aus einer Zeit, in der Sommerferien noch Sommerferien waren. Heutzutage ist es so, dass die Leute ihr Material in den Urlaub mitnehmen und nebenbei am Stand chatten, PDFs verschicken etc. Diese Zeitabschnitte sind fließend geworden. Gleichzeitig sind universitäre Einrichtungen sehr parasitär geworden. Große Flaggschiffe gibt es zwar noch, aber auch sie sind durchlässig geworden. Was auch sein Gutes hat, weil man sehr wohl eine zum Teil virtuelle Akademie gründen kann, in die man Leute aus der ganzen Welt einladen kann. Leute also, die sonst nicht in den Genuss einer Akademie kommen würden, weil sie in Regionen leben, in denen diese Einrichtungen real nicht existieren. Mit diesem Academy-Modell wäre es nun möglich, sich de jure prüfen zu lassen. Es ist ein wichtiger Teil des »Academy of Sabotage«-Konzepts, dass man Abschlüsse von einem international anerkannten Prüfungsgremium bekommt. Dabei ist es egal, ob dies über Skype oder parasitär auf einer anderen Akademie abgewickelt wird, mit der man einen Deal abgeschlossen hat. Man kann also in einer exponierten Situation leben und trotzdem eine Universitätsausbildung durchlaufen. Es wird auch interessant sein, wie das intellektuelle und kulturelle Potenzial, das von nach Mitteleuropa flüchtenden Menschen hierher gebracht wird, implementiert werden kann. Ich sehe diese Einrichtung als eine Art missionarischen Anstalt, in der wir im Grunde Botschaften verpacken, die eigentlich noch gar nicht da sind.

Was waren bemerkenswerte »DER KONTERFEI«-Situationen bisher?
Ein erfüllender Moment war die Geschichte rund um die Journalistin und Schauspielerin Olena Chekan. Anfang des Jahres hatte mich der junge, aus Kiew stammende Künstler Bohdan Chekan kontaktiert, weil er einen SoS-Reisepass haben wollte. Er wusste, dass der SoS nicht mehr existiert und sah den Pass eher als ein solidarisches Statement im Ukraine-Konflikt. Nachdem er ihn be- kommen hatte, sandte er mir dutzende Fotos. Sie stammten aus dem Fundus seiner Mutter seit den 1950er Jahren und zeigten sie in teils sehr persönlichen Situationen, etwa wie sie gegen Ende ihres Lebens mit Infusionen im Bett liegt. Sie hatte in Tarkovskys »Solaris« mitgespielt und jahrzehntelang für ukrainische Blätter geschrieben, für die sie Personen von Václav Havel bis Boris Nemzow inter- viewt hatte. Sie ist vor zwei Jahren gestorben. Da ich das Gefühl hatte, dass Bohdan mit seiner Mutter sehr eng war, fragte ich ihn, ob er nicht ein Buch über sie machen will. Er arbeitet jetzt emsig daran, das Buch wird diesen Herbst in Kiew präsentiert.

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