Was bezeichnet das vielleicht noch nicht oft gehörte Wort »Ableismus«? Es bezieht sich auf die strukturelle Diskriminierung behinderter/chronisch kranker Menschen mit abweichenden Körperlichkeiten in einem Leistungssystem, in dem gewisse Fähigkeiten als wertvoll und essenziell gelten. Es wird damit nicht nur stumpfe Behindertenfeindlichkeit in den Fokus genommen, sondern es werden Strukturen und Denkweisen aufgezeigt, die Nichtbehinderte über behinderte Menschen stellen.
Wenn behinderte Menschen Teilhabe fordern und Diskriminierung anprangern, wird in einer ableistischen Gesellschaft schnell ihr Tonfall kritisiert und verlangt, dass ihre Anliegen freundlicher zum Ausdruck gebracht werden. Das Buch »Angry Cripples – Stimmen behinderter Menschen gegen Ableismus« tritt genau dem entgegen und stellt Behinderung und/oder chronische Erkrankung lautstark ins Zentrum, entgegen ihrer vielerorts vorherrschenden Unterrepräsentiertheit. Die Unterstellung, dass behinderte Menschen »zu laut« seien, wenn sie nicht »Wohlfühlmomente« bedienen, sondern ihre Rechte einfordern, nährt das ableistische Bild unserer Gesellschaft. Ein besonderer Verdienst von »Angry Cripples« ist aber auch der intersektionale Zugang zu Diskriminierung: Erfahrungen von Rassismus, Sexismus, Queerfeindlichkeit etc. sind miteinander verbunden. Es kann nicht sein, dass Behinderte in der öffentlichen Wahrnehmung nur in einer einzigen Eigenschaft, ihrer Behinderung, gesehen werden.
Fünfzehn behinderte Personen verfassten in der von Alina Buschmann und Luisa L’Audace herausgegebenen Anthologie komplett unterschiedliche Beiträge, die sie persönlich bewegen. Das Buch zeigt, dass behinderte Menschen nicht gleich sind, weil alle auf unterschiedliche Barrieren stoßen, dass ihnen aber Ableismus-Erfahrungen, der Wunsch nach Teilhabe, Inklusion und Sichtbarkeit gemeinsam sind. Besonders ansprechend in der Gestaltung sind die comichaften Zeichnungen der schreibenden Personen, die eine starke visuelle Komponente einbrachten. Gut beraten sind Lesende, wenn sie in sozialen Medien bzw. Kommunikationsplattforen firm sind, weil diese im Buch als selbstverständlich bekannt vorausgesetzt werden. Ihnen kommt zweifelsohne eine wesentliche Vernetzungs- und Ausdrucksmöglichkeit vieler der behinderten Protagonist*innen zu. Große Empfehlung für alle!