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Der Hype des vokalen Jazz im Blue-Note-Spiegel

Man nehme zwei Trends und verknüpfe sie, setze eine barbusige Dame ganz vorne aufs Booklet, und schon hat man das verkaufsschlagernde Produkt.

Das Überraschende am Sampler »The Cover Art of Blue Note«, unter dessen Signet sich VertreterInnen der aktuellen Vokal-Jazz-Welle einiger Hits aus dem Popsong-Genre annehmen, ist, dass man sich die so kalkulierte Kompilation tatsächlich anhören kann. Sieht man von der Funk-Rock-Zwangsjacke ab, in die der bekannt klischeefreundliche Bob Belden Cassandra Wilsons Version von Prince‘ »When Doves Cry« steckt und für die sich die Sängerin in Gestalt ihrer großartigen Interpretation von Dylans »Shelter From The Storm« rehabilitiert, ist hier eine CD ohne (inhaltliche) Peinlichkeiten gelungen. Norah Jones haucht sich in einer Mischung aus Lolita und Vamp durch Bryan Ferrys »More Than This« und Nick Drakes »Day Is Done«, Dianne Reeves vergeht sich genussvoll an Peter Gabriels »In Your Eyes«: Ja, da kommt schon zwischendurch der Verdacht auf, dass hinter manch glattem Pop-Poem unentdeckte Substanz schlummert. CASSANDRA WILSON ist auch mit neuer eigener CD namens »Glamoured« im Schwange, auf der sie den »Cover Art«-Reigen sowohl mit viel nackter Haut auf als auch mit Stings »Fragile« als erster Nummer hinter dem Deckel der Jewelbox fortsetzt. Fand sie zuletzt mit »Belly Of The Sun« musikalisch endlich wieder dorthin zurück, wo sie 1993/94 mit Produzent Craig Street und den Alben »Blue Light ‚Til Dawn« und »Blue Moon Daughter« den Grundstein ihres Erfolgs legte, so bedeutet »Glamoured« eine etwas zähe, espritlose Sache. Produzent Fabrizio Sotti setzt mit trockenen, spröden, gitarren- und percussionlastigen Soundenvironments den von Street begonnenen Weg fort, die Lieder bleiben aber in den Tempi zu gleichförmig. Vielleicht sollte Cassandra Wilson, die mit ihrem dunklen, sinnlichen Alt über die wohl stärkste Stimme, nicht nur ihrer Generation, verfügt, sich einmal etwas ganz anderes überlegen. Fast erstaunt es, dass um Pianistin ELIANE ELIAS, die seit Jahren auch immer wieder ihre Stimme hören lässt, noch kein Hype entbrannt ist. »Brazilian Classics« reflektiert das reiche Song-Reservoir ihrer Heimat in Gestalt eines Best-of-Programms, in dem von »One Note Samba« über »Girl From Ipanema« bis hin zu »Black Orpheus« keine bekannte Melodie fehlt: Angehörs der virtuosen Agilität, mit der sich Elias durch die alten Hadern wühlt, keine schlechte Ware, angesichts des Umstands, dass es sich dabei um eine Zusammenschau von Aufnahmen aus den Jahren 1989-97 handelt, bleibt freilich der etwas schale Eindruck zurück, hier wolle jemand ohne Aufwand schnelles Geld machen. KURT ELLING ist neben Kevin Mahogany und Miles Griffith einer der wenigen, jüngeren Vertreter des anderen Geschlechts. Auf »Man In The Air« versieht der 36-Jährige aus Chicago Meisterstücke der Jazzgeschichte, u. a. Coltranes »Resolution« aus »A Love Supreme« oder Zawinuls »A Remark You Made« (als »Time To Say Goodbye«) mit seinen Lyrics, scattet zuweilen solide und energievoll, kann aber nicht wirklich den Eindruck niveauvoller Mittelmäßigkeit verscheuchen. Auf das männliche Pendant zu Cassandra Wilson muss man weiter warten.

Home / Musik / Review Collection

Text
Andreas Felber

Veröffentlichung
03.02.2004

Schlagwörter

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