Die Demokratie ist eine Dauerbaustelle und davor staut sich der Verkehr. © Redaktion
Die Demokratie ist eine Dauerbaustelle und davor staut sich der Verkehr. © Redaktion

Demokratie gefällig?

Unser Panel beim Salon skug am 24. März 2022 begrüßt den Zukunftsrat Verkehr. Dessen Initiative ist in einer Weise hochaktuell, dass einem schummrig werden könnte. Es braucht dringend neue Formen demokratischer Vermittlung, dies belegen sowohl die Lobau-Proteste als auch die aktuelle Kriegsgefahr.

Die Weltpolitik ist im Moment etwas aggressiv in ihrer Themensetzung. Will sagen, es fällt ein bisschen schwer, im März des Jahres 2022 nicht an den nur vier Autostunden von Wien entfernt tobenden Krieg in der Ukraine zu denken. In den Straßen der Stadt parken viele Autos mit ukrainischen Kennzeichen und in den noch winterkalten Parks wird viel Ukrainisch gesprochen. Vermutlich, weil die Geflüchteten wohl jede freie Minute an der frischen Luft verbringen wollen, um den sicherlich überbelegten Wohnungen der Freund*innen und Verwandten zu entgehen. Vielleicht ist dies leider erst der Anfang und es stehen der Stadt Wien, Österreich und Europa schwere Zeiten bevor, die hoffentlich mit größtmöglicher Solidarität gemeistert werden.

Erlauben wir uns einmal, die hitzig debattierten politischen Verstrickungen des Überfalls Russlands auf die Ukraine wegzulassen und einen der Hauptgründe für diesen Krieg und Krieg an sich anzusprechen: Bewaffnete Konflikte sind immer auch das Scheitern demokratischer Aushandlungsprozesse. Die Akteur*innen und ihre Interessen sind übergangen worden, oder zumindest haben sie den Eindruck, sie seien übergangen worden. Ihre berechtigten oder eben auch unberechtigten Forderungen wurden nicht erfüllt und nun sollen diese mit der Waffe erkämpft werden. Keine gute Idee, denn Kriege kennen nur Verlierer*innen. Gewaltlösungen sind immer nur Scheinlösungen, denn was mit Gewalt erstritten wird, muss nachher aufwendig neu ausverhandelt werden.

Wie finden wir zusammen?

Nun inszeniert sich die westliche Demokratie gerne als überlegen gegenüber dem Oligarch*innen- und Kriegssumpf des Ostens, von den »Failed States« Afrikas, Asiens und Südamerikas einmal ganz zu schweigen. Nur ist jeder Blick in die Ferne schnell abstrakt und immer ein wenig herablassend, weil die Situation dort nicht leicht von außen beurteilt werden kann. Hier vor Ort hingegen ist der Blick klarer und da dürfen auch gewisse, nicht ganz von der Hand zu weisende Demokratie-Defizite diagnostiziert werden. Darüber hinaus ist es übrigens repressiv, der Bevölkerung zu predigen: »Seid froh mit dem, was ihr habt, auf der Insel der Seligen.« Will Österreich ein leuchtendes Vorbild demokratischer Mitbestimmung sein, dann muss es diese auch geben.

Aber läuft das so? Ein Blick in Wien auf die Lobau und Stadtstraße (siehe skug-Berichterstattung) lässt zweifeln. Eine »Langsamfahrautobahn« will die Stadt da bauen, aus Gründen, die die Herrgöttin nicht kennt. Es müssten zum Bau die erst neugebaute U-Bahn und Straßenbahn zeitweilig lahmgelegt werden, es würden verkehrspolitische Ziele des Jahres 1992 verwirklicht und viele Ungereimtheiten mehr. Allerdings, keine Frage, einem nicht unwesentlichen, autoaffinen Teil der Bevölkerung käme der Bau gelegen. Mehr Straße hieße mehr Freiheit zur Freude am Fahren. Scheinbar zumindest. Fraglos gibt es hier divergierende Interessen und auch weit auseinanderliegende Einschätzungen von Notwendigkeiten und Möglichkeiten.

Der klassischen Politik ist dies nicht entgangen. Die Vermittlungsfähigkeiten der Wiener Stadtpolitik sind allerdings höchst ausbaufähig. Den Protestierenden wurde mitgeteilt: »Es wird eine Straße gebaut und Schnauze jetzt!« Dann wird der übliche paternalistische Zuckerguss drübergeklebt, denn schließlich würden auch neue Radwege eröffnet und man habe einen Bienenkorb aufs Dach vom Rathaus geschraubt. Alles prima Maßnahmen, nur sind sie aus Sicht der Klimaschutzaktivist*innen nicht dazu geeignet, den nötigen Wandel zu Klimagerechtigkeit einzuleiten und damit auch weiterhin ein würdiges Leben auf diesem Planeten zu ermöglichen. Man möchte den Entscheider*innen zurufen: »Liebe Rathausmannschaft, da sind junge Menschen und die haben wirkliche Sorgen und die glauben euch bald nichts mehr.« Gleichwohl gibt es eine »schweigende Mehrheit« an Menschen, die mit der PKW-Nutzung aufgewachsen sind, sie für die »natürliche« Fortbewegung halten und immer noch genügend Spielraum zu Straßenbau und »Komfortsteigerung« sehen. Manche von ihnen können auch dezidiert belegen, dass sie kein anderes Mobilitätsangebot haben als den PKW.

Welche anderen Formen sind denkbar?

Wenn nicht immer wieder die genau gleichen Diskussionen mit den exakt gleichen Antagonismen durchgehechelt werden sollen und wenn nicht einfach immer nur am Ende ein »Basta!« der Politik stehen soll, dann braucht es andere und neue Formen der politischen Meinungsbildung und Entscheidungsfindung. Genau die würden dann auch unseren seligen Westen besser machen. Raus aus dem Hinterzimmer, wo immer die Oligarch*innen (gibt es in Österreich auch – Namen bitte bei der skug-Redaktion erfragen) und die Kapitalinteressen siegen. Hinaus auf die Bühne des offenen Verhandelns. Und genau das werden wir beim Salon skug am 24. März 2022 im rhiz präsentieren und gleich ein wenig durchspielen. skug will in den nächsten zwei Jahren nämlich mit dem Zukunftsrat Verkehr gemeinsame Sache machen. Uns beide verbindet das liebevolle Nachdenken über die Straße und den Verkehr. Wie kann der öffentliche Raum freier gestaltet werden, welche Chancen gibt es auf das »Recht auf Straße« für möglichst alle? Der Zukunftsrat Verkehr will hier neue Werkzeuge der Mitbestimmung vorschlagen und wir bieten ihm beim Salon skug eine erste Chance, das vor dem geneigten skug-Publikum zu tun.

Das ist umso wichtiger, nachdem die Sache mit der Lobau nicht gut gelaufen ist (vorsichtig formuliert). Kann also mit Hilfe des Zukunftsrats Verkehr ein gemeinsames Verkehrskonzept für die Ostregion entwickelt werden, an dem sich Bürger*innen beteiligen? Bisherige Erfahrungen mit Zukunftsräten belegen, dass partizipative Prozesse die Entscheidungssicherheit erhöhen und die Spannung zwischen Konfliktparteien reduzieren. Es steckt viel Wissen in den Menschen und gerade Verkehrsfragen werden von der Bevölkerung sorgsam beobachtet und mitdurchdacht. Nur gefragt werden sie geflissentlich nicht. Wer hingegen ernst genommen wird, der übernimmt auch Verantwortung und ist bereit, Entscheidungen mitzutragen, die nicht gänzlich seinen eigenen Interessen entsprechen. Das hohe Gut der Vermittlung und gemeinsamen Entscheidung wird von vielen als gewinnbringend und sogar genüsslich erlebt. Es können gemeinsam pragmatische und erfahrungsnahe Entscheidungen gefunden werden. Das schafft dann übrigens auch Frieden in gutem Sinne.

Schon Joseph Beuys wusste: »Demokratie ist lustig«. Wir wollen lustig sein und lustig bleiben, deshalb hören wir uns die Konzeption des Zukunftsrates einmal an und diskutieren fleißig mit, wie exemplarisch ein neuer Aushandlungsprozess die österreichische Demokratie beleben könnte, diesseits aller Hinterzimmer. Ein Lernziel geben wird uns dabei: Am Ende kann jede*r Teilnehmer*in des Salons das Wort »deliberativ« sinnvoll in einem deutschen Satz verwenden. Wir freuen uns auf euch!

Link: https://zukunftsrat.at/verkehr/

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