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crossing europe 2010

Auf historischer Spurensuche im Salzkammergut und in Ex-Jugoslawien. Von fatalen Kriegsauswirkungen und wirtschaftlichen Hintergründen am Beispiel Serbien.

Erstaufführungen, die bei crossing europe eher nur am Rande wahrgenommen wurden, rücken wir ins Zentrum unseres Rückblicks auf das heurige Linzer Filmfestival. Die in der Local-Artists-Schiene gezeigten österreichischen Dokus »Spuren des Widerstands« und »Wege nach Ebensee. Die Geschichte des Ladislaus Zuk« sowie »Neman Ti ?ta Re?‘ Lijepo – I Have Nothing Nice To Say To You« des kroatischen Regisseurs Goran Devi?, die schonungslos Kriegsfolgen an Opfern aufzeigen, beschränken sich auf lokale Schauplätze. Und auch ?elimir ?ilniks die Vorteile des Kommunismus wieder ein bisschen ins Gedächtnis rufende »Old School of Capitalism« begnügt sich mit einem »Mikrokosmos«: Serbien nach dem Transformationsprozesss und globaler Finanzkrise.

Mit Kriegsaufarbeitung – wenngleich in einem ganz anderen Kontext – befassen sich die Local-Artists-Dokumentationen. Beide Filme feierten Premiere bei crossing europe und haben ihren Schauplatz im Salzkammergut. Die Zeit des Nationalsozialismus als ihren Hintergrund.

Lokaler Widerstand gegen die Nazis

»Spuren des Widerstands« begibt sich auf die Suche nach den Verstecken der NS-Kritiker und Deserteure um Josef Plieseis und dessen Gruppe »Willy-Fred«. Eine bedeutende Rolle kam dem im Toten Gebirge perfekt getarnten Stützpunkt »Igel«, von dem aus gegen Ende des Krieges immer mehr Menschen gegen das NS-Regime aufrühren sollten, zu.

Der Film von Jörg Hartenthaler und Christian Stoppacher erzählt sehr einfühlsam von dem Verfolgungsdruck der Widerständler, deren einzige Chance in der Vertrautheit der ansonsten unzugänglichen Bergregionen lag und ohne deren Ehefrauen, die unter anderem für Organisation und Lebensmittelbeschaffung zuständig waren, nicht standzuhalten gewesen wäre.

Der Begriff des Widerstands wird anhand von Bildern aktueller Proteste und Interviews mit AktivistInnen in einen heutigen Kontext (Demonstrationen gegen die VP/FPÜ-Regierung im Jahr 2000, pro Asyl …) weitergetragen. Zum Ende des Films stellt sich die gewichtige Frage, ob sich Parallelen zum damaligen Widerstand, der nur in einer einzigen Form möglich, also »leb-bar«, war, finden lassen. Eine befriedigende Antwort bleibt aus, doch was zählt: die Frage wurde gestellt!

Von Warschau nach Ebensee

Am polnischen Widerstand hingegen war Ladislaus Zuk beteiligt. Es folgten Deportationen in die Konzentrationslager Auschwitz, Mauthausen und letztlich Ebensee, das er überlebte und wo er seine, wie er betont, »zweite Heimat« fand.

Andreas Schmoller und Philipp Bruckschlögl porträtieren in »Wege nach Ebensee« auf sehr intime und sensible Weise den Menschen Ladislaus Zuk. Dass wir uns dabei gerade in einem Film befinden, gerät völlig in Vergessenheit und wird erst wieder bewusst, wenn die Kamera die »zweite Heimat« einfängt. Sie zeigt uns eine Wohnsiedlung, wie sie sonst wo zu finden ist, mit dem Unterschied, dass es sich dabei um auf dem ehemaligen KZ-Gelände Ebensee errichtete Bauten handelt. In unmittelbarer Nähe, bei der Gedenkstätte, befindet sich auch Zuks »Arbeitsplatz«, an dem er mehr als 25.000 SchülerInnen als Zeitzeuge seine Geschichte geschildert hat. Und er tut es wieder, in diesem Film, und erzählt, wie ihn genau diese Arbeit von seinem Trauma befreien lie&szlig. Er merkt an, das müsse irgendwann 1992 gewesen sein, als seine nächtlichen Angstschreie ausblieben. Heute ist Ladislaus Zuk 90 Jahre alt, er hat wieder geheiratet, an die Pension denke er gar nicht und Angst … Nein! Wovor denn noch?

Schauriges Sisak

Goran Devi?, der zusammen mit Zvonimir Juri? den crossing europe Award European Competition für »Crnci/The Blacks«, ein »letztes Kommando als Reise ins Herz der Finsternis« gewann, hat in seinen Dokumentarfilmen bereits meisterlich die vielseitigen Gründe aufgearbeitet, die zu den Jugoslawienkriegen führten: In »Tri/Three« etwa, wo er die jeweiligen nationalistischen Ideologien dreier Ex-Kombattanten blo&szligstellt. Während Devi? hier die Protagonisten getrennt bei ihren Autofahrten filmt, ist sein Konzept, den fatalen Folgen auf der Opferseite gerecht zu werden, ein noch eindringlicheres. In »Neman Ti ?ta Re?‘ Lijepo – I Have Nothing Nice To Say To You« (Kroatien, 2006) geht Devi? dem Schicksal einer Mutter, die ihre Tochter durch einen nationalistischen Fememord verlor, empathisch nach. Auf Fahrten durch die nur schwach beleuchteten Stra&szligen seiner kroatischen Heimatstadt Sisak, in der sich das nach 18 Jahren noch immer nicht ganz geklärte Verbrechen zugetragen hat, schnürt es einem den Hals zu. Langsam wird klar, dass gewisse Mörder (jener der Tochter ist nach Kanada geflohen) wohl immer noch in der Stadt leben und einige Taten noch ungesühnt sind. Eine unheimliche, düstere Stimmung macht sich breit, zu der sich als Tonspur verloren-traurige Mollakkorde gesellen. Gespenstisch auch die jeweilige Kamerafahrt, die schlussendlich immer auf eine Frau, die eine Stra&szlige entlang geht, fokussiert. Dann folgt ein kurzes Gespräch, das sich jeweils um das Verhältnis, das die Interviewte zur Ermordeten bzw. zur (teils ehemaligen) Heimatstadt hat, dreht. Eine der jungen Frauen ist übrigens Bassistin bei der international gefragten Surfrock-Kombo Bambi Molesters. Ihr Motiv zu bleiben: u. a. Ruhe vom Touren finden.

Im Zentrum dieser beklemmenden, 30 Minuten langen Dokumentation steht jedoch die kettenrauchende Mutter, die den Tod ihrer Tochter nicht verwunden hat. Sie hat sogar die Eltern des vermutlichen Mörders mit der Untat konfrontiert, doch es hat ihr wie das staatliche Gericht keine endgültige Gewissheit geben können. Der in ihren Grundfesten Erschütterten ist seither das Lachen und jeglicher Frohsinn verloren gegangen. »I Have Nothing Nice To Say To You« ist ein atemraubendes, zeitloses Dokument, das nicht nur das Leid eines Opfers schildert, sondern aufgrund seiner aufwühlenden Konzeption – nebenan lebende Mörder und Kriegsprofiteure genie&szligen höheren Schutz, weshalb oft Mordanzeigen aus Angst unterlassen werden – glaubhaft nicht nur für Szenarien im in Nationalstaaten zerfallenen Ex-Jugoslawien zu stehen vermag. Deswegen sei das Schlussbild, das etwas Hoffnung auf Transparenz gibt, nicht vorenthalten: Im Morgengrauen fährt ein Zug einen Stausee entlang. Durch das Licht, das die Waggonbeleuchtung durch die Fenster wirft und sich prächtig im Wasser spiegelt, kommt Farbe ins Leben.

?elimir ?ilniks Farce »Stara ?kola Kapitalizma« – »Old School of Capitalism«

Dass politische Umbrüche immer wirtschaftliche Hintergründe haben, deren enorme Brisanz immer unterschätzt wird, ist Thema in ?elimir ?ilniks aktueller Doku-Fiction »Stara ?kola Kapitalizma« – »Old School of Capitalism«. Ein Revolutionär erklärt, wie sehr die Menschen zuerst mit Nationalismus und später mit anderen Sinnangeboten und Versprechungen manipuliert wurden, damit sich die raubende Politikerklasse und ihre Klientel durchsetzen konnten. Dies sollte an Schulen und Universitäten Anschauungsmaterial sein!

Zu Bildern einer realen Streikbewegung (in Belgrad, Zrenjanin …) entwickelt ?ilnik eine revolutionäre Handlung, in der erboste Arbeiter die Fabrik eines Oligarchen wieder in Besitz nehmen und da der Maschinenpark verscherbelt wurde, die Ziegel eines Fabriksgebäudeteiles unter sich aufteilen. Ein anderer Sto&szligtrupp findet in der Wohnung des Oligarchen nur dessen adrette Ehefrau und deren Violine spielende Tochter vor. Schlie&szliglich spitzt sich die Situation zu: Die Oligarchen werden von revolutionären Zeitschriftenmachern dingfest gemacht und ihnen in einer leeren Fabrikshalle das Tribunal gemacht. Letztlich kommt doch die Leibwache eines der Neureichen und befreit diese aus dem Dilemma. Nichts hat sich geändert, die Arbeiter sind nun bei der Feldarbeit zu sehen und wieder tauchen die Revolutionäre auf, um zu erklären, dass eine Rekollektivierung sinnvoller wäre und das
tödliche Unglück, dass im Trubel einer der »Anstifter« in die Egge eines pflügenden Traktors abgedrängt wird, wird vertuscht werden …

Waren zuvor noch russische Oligarchen im Spiel, die aus der von globalen Finanzmärkten mitverursachten Krise helfen sollten, ist auf einmal ein Besuch des US-Vizepräsidenten Biden dafür verantwortlich, dass plötzlich in die Landwirtschaft investiert wird. Und schlie&szliglich scheint noch der US-serbische Investor Stefan (hervorragend gespielt vom Regisseur Lazar Stojanovi?), der nach dem Börsendesaster 2009 sein Glück auf serbischem Boden versucht, Finanzier des Films sein. Eine böse Farce wird hier gesponnen, unangenehm nah am realen Leben. Was zu den wirklichen Ursachen der Revolte führt: Oft läuft der Kauf einer maroden Firma so ab, dass diese mit dubiosem Geld erworben wird, dann die Maschinen versilbert werden und nach einiger Zeit Konkurs angemeldet wird. Der Oligarch macht den Schnitt, seine Arbeiter stehen auf der Stra&szlige. Und protestieren dann, beispielsweise in Zrenjanin. Ein Filmdokument aus dieser Provinzstadt in der Vojvodina zeigt, wie sehr die Bürger um ihre Existenz geprellt wurden. Die Gesetze sind leider zu sehr für Besitzende gemacht, und selbst wenn es illegale Unregelmä&szligigkeiten seitens der Biznismeni gibt, schmieren diese die Behörden, was Anlass für gro&szlige Wut vor dem Gericht gibt.

Die Menschen in Zrenjanin sind übrigens so arm, dass dort selbst McDonalds schlie&szligen musste.

spurendeswiderstands.at

www.memorial-ebensee.at

www.havc.hr

www.zilnikzelimir.net

www.playground-produkcija.com

www.crossingeurope.at

Home / Kultur / Film

Text
Doris Hutterer

Veröffentlichung
04.05.2010

Schlagwörter

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