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CRAMMED 1

Crammed Discs wurde 1981 von Marc Hollander (Aksak Maboul, The Honeymoon Killers) zusammen mit Véronique Vincent (The Honeymoon Killers) in Brüssel gegründet und sollte sich als Label, aber auch als Art Philosophie als ähnlich einflussreich und in die Zukunft blickend erweisen wie z.B. Adrian Sherwoods On-U-Sound-Label.

Zeichnete sich doch nicht nur das Label an sich, sondern auch fast alle Releases durch ein Konglomerat aus »musical nomadism, transglobalism and hybridation« aus, bei denen es nicht nur um romantisch verklärte, mit allem möglichen Sounds vollgestopfter Bauchläden ging. Auch wenn Crammed Discs einen vor allem durch Kontakte nach und Acts aus (fernen, exotischen) Ländern wie Kongo, Japan, Israel, Iran, Äthiopien, Irak begründeten »futuro-primitivism« pflegte, so war damit immer alles andere als Fusion/World Music gemeint. Dafür waren kosmopolitische Orientierungen an den Werken/Philosophen von Vorbildern wie Hendrix, Satie, Godard, Duchamp ebenso verantwortlich wie Erdungen bei Punk, Miles Davis, Féla Kuti oder Sun Ra. Wobei Crammed Discs wahrscheinlich auch eines der ersten (europäischen) Labels war, dem afrikanische Electronica (Zazou/Bikaye, Mahmoud Ahmed) ein echtes Anliegen war. Wodurch das Gerede von utopischen Momenten qua Hybridisierung gleich einmal differenzierter geführt wurde. Auch wenn es im Hause Crammed Discs schon seit Baubeginn Synthesizer und Sampler gab, so verstand man hier doch den Diskurs mit dem real anwesenden Anderen (also etwa mit afrikanischen MusikerInnen) als weitaus fruchtbarer, als einfach nur fremde/exotische Andersheiten in den Sampler laden. Kein Wunder also, dass später in den 1990ern mit dem SSR-Label und mit Acts wie Carl Craig, 4Hero, Tek 9 genau dort weitergemacht wurde. Vor allem die beiden aktuellen Erinnerungs-Sampler »Crammed Global Soundclash 1980 – 89. Part One: World Fusion« und »Crammed Global Soundclash 1980 – 89. Part Two: Electrowave« faszinieren daher durch extrem heterogene Durchlässigkeiten und wildesten Bastard-Musiken. Mit dabei u.a. Aksak Maboul, Minimal Compact, Family Fodder (Eric Satie In Dub), Hermine, Honeymoon Killers, Tuxedomoon, Colin Newman, Telex sowie Karen Finley. Wobei gerade jene Tracks, die sozusagen hier zum ersten Mal gehört werden in einer Art und Weise frisch und erfrischend, also aktuell klingen, wie es zuletzt vielleicht der fall war, als im Hause Ninja Tunes versucht wurde den Begriff »World Fusion« okay zu definieren.
Zusätzlich (wieder) erschienen :

The Honeymoon Killers
»Les Tueurs de la lune de miel«

»Mitreißende, virtuose, einfallsreiche und klischeearme Pop-Musik.« So endete 1982 eine euphorische »Sounds«-Review und machte The Honeymoon Killers damit zu einer der Konsens-Platten des Jahres. Und das nicht nur wegen dem Sixties-Cover und Hit »Route Nationale 7«. Handelte es sich hierbei doch auch noch um eine Band, bei der sich unter den Vorzeichen von »Zitat« und »Pop« scheinbar wie von selbst »Nouvelle Vague« und »New Wave« immer wieder gegenseitig rückübersetzten und seitens der Band dazu auch noch etwas von »Fake New Wave« gemurmelt wurde. Dazu kamen Knaller wie »Flat«, »Histoire A Suivre«, »Rush«, ein Gainsbourg-Cover und programmatische Titel wie »Décollage«. Und weil man das überall hören konnte, konnte man es plötzlich nicht mehr hören. Was auch die hier als Bonus erhältlichen »Subtitled Remix«-Songs von 1983 betraf, bei denen die Songs sozusagen simultan ins Englische übersetzt wurden. Klingt heutzutage nicht nur wegen extremster Wiederhörensfreude so frisch, forsch und fruchtig wie die Kinder der (französischen) 1968er Kinder von Marx und Coca Cola. Zudem gutes Nachhör- und Anschauungsmaterial (inklusive einiger Live-Tracks zusammen mit Aksak Maboul) für all jene, denen bei Helden von Heute nur Ideal einfallen.

Tuxedomoon
»Desire/No Tears«

Von 1981 und schon sehr ins geschmäcklerisch Kunstgewerbliche tendierend. Der »Romantic Zeitgeist« früherer Caligarismen wandelt sich zunehmend in eher dahinplätschernde Existentialismus-Posen um, wirft mit dem Titeltrack aber immer noch ein gutes Stück elektronischer Angst-Musik ab. Im Vergleich zum beigelegten 1978er Electro-Punk-Mitternachtskreaturen-Klassiker »No Tears« (oder der ebenfalls inkludierten »Nite And Day«-Cole-Porter-Hommage beigelegt) selbst aus heutiger Sicht eher matt, aber interessant gescheitert.

Minimal Compact
»Deadly Weapons«

1984 hatte das israelisch-holländische Kollektiv um Samy Birnbach (später als DJ Morpheus bekannt) mit »Next One Is Real« als führende Protagonisten einer global agierenden Nach-Joy-Division/Gang-Of-Four-Ära einen echten Underground-Hit vor realem Hintergrund (Nahost-Konflikt). Rauchschwadenverhangener Funk aus dem Krisengebiet wäre der gut gemeinte, aber gänzlich falsche Eindruck. Eher erweisen sich Minimal Compact hier als Suchende, die besonders dann aufhören lassen, wenn sie dem Mittleren und Nahen Osten sonisch gesprochen Tür und Tor öffnen, ohne dabei in die Globalisierungsfalle zu tappen. Heute wohl gerade in den unausgegorendsten Momenten am spannendsten zum produktiven Weiterknüpfen.

Sussan Deyhim/Richard Horowitz
»Desert Equations: Azax Attra«

Eine für 1987 samplertechnisch wohl titanische Futzelarbeit, bei der die Möglichkeiten der digitalen Aufzeichnung und Bearbeitung von Klängen aber strikten formal-thematischen Grundparametern untergeordnet sind. Und das ist gut so! Denn diese »electro-persian excursion« entfaltet sich gleichermaßen über die Samples von Horowitz wie über Sussan Deyhims Vocals, die ihrerseits wiederum Diamanda Galas mit uralten, rituellen Sufi-Traditionen kurzschließt. Gewidmet dem großen Brion Gysin, womit die (spirituelle) Beatnik-Erdung dieser Wüsten-Exotica wohl auch klar sein dürfte. Bei WordSound wird so was als »Heiliges Buch« verehrt.
DIDI NEIDHART

Bel Canto
»White-Out Conditions«
Colin Newman
»Commerial Suicide«

Die bereits 1985 gegründeten norwegischen Bel Canto hatten auf Crammed relativ beachtliche Erfolge zu verzeichnen. Interessant ist, dass ihre sehr aktuelle klingende Scheibe »White-Out Conditions« von 1988 mit ihrem Wave-Einschlag bis zu Popreferenzen à la Sinead O’Conner heutzutage einen »Lost Continent«-Blueprint für diverse Ex-Metalbands aus skandinavischen Ländern und ähnlichen »Esoterik«-Kreisen bildet. Neben der Musik von Geir Jenssen und Nils Johanson lässt dann auch vor allem Anneli Marian Dreckers my(s)t(h)ische Stimme an frostige Gefilde, Seelenpein, aber auch tribalistische Bacchanalia denken. Musik, entstanden aus den Zirkeln um Dead Can Dance und Current93, die »global« war, lange bevor daraus ein Unwort wurde. Ex-Wire Colin Newman hat dafür gleich den passenden Titel plus entsprechende Auswirkungen: »Commercial Suicide«. Eine für 1986 ziemlich wichtige Scheibe. Werden bei diesem »Hören durch den Rückspiegel« doch ein paar Spuren aufgezeigt, die Kreuzungspunkte bildeten und klare Übergänge von Wire zu Oracle/ Immersion mit viel grüblerischem Wave in Richtung Tuxedomoon dokumentieren. »Commerial Suicide« ist eine introvertierte Platte voll von gebrochenem Liedgut, dargebracht von rund einem Dutzend Musikern, seiner zukünftigen Frau Malka Spiegel (Minimal Compact) und Newman himself. Besonders fein bei diesem Re-Release sind die beiden 12-minütigen Bonustracks mit Aufnahmen der Radioshow von 1996 aus dem »Studio Delight« in Brüssel als Interview und als »Dub Disco Interview Remix«.
HEINRICH DEISL
Alle: Crammed/Ixthuluh (Teil 2 erscheint aus Platzgründen im nächsten Skug)

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Text
Didi Neidhart

Veröffentlichung
28.09.2003

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