PHACE © Laurent Ziegler
PHACE © Laurent Ziegler

Vom Zwölftönen zum Gendern in der Neuen Musik

Einen weiten zeitlichen Bogen spannt die 46. Ausgabe des aspekteFESTIVAL Salzburg vom 16. bis 20. März 2022. Von der Ausstellungseröffnung »Achtung International!« zu 100 Jahre IGNM bis zur Präsentation des Buches »Gender in der Neuen Musik«. Ein E-Mail-Interview mit Intendant Ludwig Nussbichler.

Das aspekteFESTIVAL Salzburg hat selbst bereits eine lange Tradition. Seit 2006 findet dieses 1977 gegründete »Festival für Musik unserer Zeit« biennal statt und wartet stets mit einem anspruchsvollen Programm auf. Gleich elf Uraufführungen wird es heuer geben und juvenile Klangkörper wie NAMES und PHACE werden für eine vortreffliche Umsetzung sorgen. Außerdem liefert aspekte mit dem Neue-Musik-Angebot für Jugendliche eine enorm wichtige Vermittlungsarbeit sowie genreübergreifende Verbindungslinien in andere künstlerische Gefilde. Das E-Mail-Interview mit Ludwig Nussbichler, dem künstlerischen Leiter des Festivals, gewährt aber auch einen historischen Rückblick auf 100 Jahre Internationale Gesellschaft für Neue Musik (IGNM) und eine Auseinandersetzung mit dem aktuell auch in diesen Kreisen diskutierten Thema Gendern.

Rebecca Saunders © Astrid Ackermann

Rebecca Saunders, Londoner Wahlberlinerin, ist heuer Composer in Residence. Die 55-jährige Britin ist eine mit allen Wassern gewaschene Ausnahmekomponistin und im Neue-Musik-Bereich längst etabliert. Fiel die Wahl auf Saunders wegen ihrer Strahlkraft? Oder eher wegen ihrer multifaktoriellen Fähigkeiten, reichend von Collagierungstechniken bis Raumklangadaption?

Ludwig Nussbichler: Rebecca Saunders überzeugt durch ihre Musik. Ihre Kompositionen äußern sich über eine sehr persönliche unverkennbare Klangsprache, die sich wirkungsvoll entlang von Spannungsverläufen und Klanggebilden entfaltet und so – präzise und originell im Detail – eine Dramaturgie in den Raum setzt, der sich die Hörenden nicht mehr entziehen wollen. Jedenfalls ist ihre Musik eine faszinierende Welt, die auch für mich eine neue, sehr reiche Hörerfahrung war und immer wieder ist. Insbesondere ihr Werk »Skin«, das sie für Juliet Fraser komponiert hat und das das Ensemble PHACE bei den Aspekten mit der Vokalkünstlerin interpretieren wird, ist ein Meisterwerk, das nicht umsonst von der Ernst von Siemens Musikstiftung gewürdigt wurde. Dieses Werk war für mich der entscheidende Impuls dafür, Rebecca Saunders als Composer in Residenz einzuladen und ihre Musik entsprechend ins Licht zu rücken.

Wie hoch ist eigentlich der Frauenanteil an Komponistinnen ca. in Prozenten? Neben jenen von Rebecca Saunders werden auch Werke von Misato Mochizuki, Alexandra Karastoyanova-Hermentin, Irene Galindo Quero, Sara Glojnarić, Brigitta Muntendorf und Barblina Meierhans aufgeführt, denen im gesamten Festival eine zentrale Bedeutung beigemessen wird. Warum genau diese Tonsetzerinnen?

Es ist die Qualität der Werke, die entscheidend ist für die Auswahl, wobei ich bei dieser Ausgabe naturgemäß noch mehr Augenmerk daraufgelegt habe als sonst, dass female composers besonders zur Geltung kommen und dass eine gewisse Balance zwischen Komponistinnen und Komponisten durch das gesamte Programm wahrnehmbar wird. Ein Festival darf und soll durchaus Zeichen setzen, in die Zukunft blicken. Ich denke, dass das Projekt Neue Musik gemeinsam getragen werden muss, damit es erfolgreich weiterleben kann, ein Auseinanderdividieren der Geschlechter sehe ich eher kontraproduktiv. So werden wir über die von Ihnen erwähnten Komponistinnen hinaus auch spannende Werke von aktuellen Komponisten wie Marco Döttlinger, Achim Bornhoeft, Josef Ramsauer, Eivind Buene oder Zesses Seglias hören.

NAMES © Andreas Hechenberger

Die Musikwelt und -geschichtsschreibung vor 100 Jahren war extrem patriarchal. Alma Mahler-Werfel, die großes Talent hatte, wurde selbst von Gustav Mahler nicht gefördert, sondern höchstens geduldet. Es gibt bereits das IMA, Institut für Medienarchäologie in St. Pölten, gegründet von Elisabeth Schimana, das insbesondere die historische Rolle von Frauen bei der Entwicklung elektronischer Musik hervorkehrt (Eliane Radigue etc.). Oder herausragende TV-Dokus wie »Sisters with Transistors«, die verkannte Pionierinnen der elektronischen Neue-Musik-Avantgarde würdigen. In welcher Rolle sieht sich diesbezüglich das aspekteFESTIVAL?

Die Vergangenheit können wir nicht ändern, aber wir können die Gegenwart gestalten und somit auch die Zukunft. Eine Neue Musik ohne Komponistinnen und Interpretinnen ist schlicht und ergreifend nicht denkbar. Die aspekte haben diesem Gedanken immer schon Rechnung getragen und tun dies im diesjährigen Programm durchaus modellhaft. Das Bild in der Gesellschaft zu verändern, braucht allerdings Zeit und einen langen Atem.

Gendern im Universum der E-Musik ist wichtig, weil in traditionellen Orchestern wie den Wiener Philharmonikern Frauen erst spät Fuß fassen konnten und immer noch unterrepräsentiert sind. Würde mensch in diesem Fall nur von Musikern und Musikerinnen sprechen, so wäre das historisch »falscher«, weil es einst gar keine Instrumentalistinnen gab, sondern maximal Sängerinnen. In der sogenannten Neuen Musik war es anfangs wohl nicht besser um Frauen bestellt als in der konventionellen Klassik?

Das sehe ich auch so, allerdings glaube ich, dass erst einmal ein Prozess gestartet werden musste, der auch die Jüngsten mitnimmt: Musiker*innen spielen seit Kindesbeinen zu 99 Prozent Klassik und somit Musik von Männern. Nichts gegen Bach, Beethoven oder Debussy, aber Mädchen haben nie die Erfahrung gemacht, Werke von Frauen zu interpretieren, und das spielt sehr wohl eine entscheidende Rolle insbesondere bei der Berufswahl. Ich möchte dabei auch gar nicht allzu lange die Geschichte bemühen, denn mittlerweile finden wir in der Neuen Musik großartige Komponistinnen, das hat eben ein paar Generationen gebraucht, wird sich aber mit Sicherheit in eine positive Richtung verändern, davon bin ich überzeugt.

Vorurteile gegen komponierende Frauen, die sich aufgrund der Macht des Patriarchats und in der Regel männlicher Rezipienten zementierten, sind anno 2022 zwar weniger präsent, aber immer noch vorhanden. »Gender und Neue Musik« (transcript Verlag), herausgegeben von Dr. Vera Grund (Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Musikwissenschaftlichen Seminar Detmold/Paderborn) und Prof. Nina Noeske (Professorin für Historische Musikwissenschaft mit einem Schwerpunkt Gender Studies an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg) arbeitet diese teils erschütternden Tatsachen bestens heraus. Dazu findet am 20. März im Kleinen Studio der Universität Mozarteum eine Podiumsdiskussion statt, an der u. a. Alexandra Karastoyanova-Hermentin (aspekte Uraufführung), Simone Heilgendorff (Musikwissenschaftlerin an der UdK Berlin, Bratschistin im Kairos Quartett/Berlin) teilnehmen werden. Welche weiteren naheliegenden Themen sollten Eingang in den Diskurs finden?

Ich möchte dem nicht vorgreifen, aber das Thema gehört auf den Tisch und die (Musik-)Pädagogik wird dabei sicherlich eine wichtige Rolle spielen.

Ludwig Nussbichler © Magdalena Lepka

Auf jugendliche Nachwuchskomponist*innen wird ganz besonders im Finale von »Jugend komponiert« am 19. März im Kleinen Studio der Universität Mozarteum aufmerksam gemacht. Spannend wird wohl die Umsetzung von David Mayers Stück »Was der Fahrscheinentwerter zu berichten weiß«. Wie harmonieren die Fahrscheinautomatengeräusche der Wiener U-Bahn mit Instrumentenvorgabe Trompete (oder Flügelhorn), Akkordeon und Fagott? Was ist von den Werken von Mark Tullao und Niklas Chroust zu erwarten? Und die Frage, warum es beim Jugendwettbewerb keine Quotenregelung gibt, ist hier eine der Qualität?

Die jungen Leute komponieren ihrem Alter entsprechend meist an Vorbildern orientiert, man kann also in den wenigsten Fällen von »Neuer Musik« sprechen, aber von sehr fantasievollen, kreativen und originellen Musikstücken. Wichtig ist jedenfalls, dass – so wie das Erlernen eines Instruments – auch das Komponieren ein Prozess über viele Jahre ist, den es bei diesem Wettbewerb zu unterstützen gilt. In diesem Jahr gab es bei den Einreichungen leider kaum Komponistinnen, das kann man nicht mit einer Quotenregelung steuern. Es gab aber in den letzten Jahren sehr wohl etliche Komponistinnen und auch Preisträgerinnen.

»Hören Wir Ihnen Zu« ist ein gelungener, doppeldeutiger Titel für die Geleitworte von Prof. Claus Friede (Hochschule für Musik und Theater/Institut für Kultur und Medienmanagement, Hamburg) im aspekte-Blog. Kann er nunmehr zu 100 Prozent generationen- und geschlechterübergreifend verstanden werden?

Ja, auf jeden Fall. Aber es geht doch einmal grundsätzlich darum, dass Neue Musik überhaupt gehört wird, denn sie ist anspruchsvoll, manchmal unbequem, aber oft wird vergessen, wie aufregend, faszinierend und wunderschön diese Kunst sein kann. Die Komponist*innen haben künstlerische Botschaften, die gehört werden sollten. Alleine das Modell, dass sie unserer Gesellschaft durch ihre kreative und extrem arbeitsaufwendige Tätigkeit bieten, ist von Bedeutung, brauchen wir doch für die Bewältigung unserer Zukunft genau solche Kompetenzen. Doch die Fähigkeit des Zuhörens im weitesten Sinn, offen für neue Ideen und Ansätze, ist ebenso wichtig und da ist das Publikum gefordert – ein spannender und wichtiger interaktiver Kommunikationsprozess also.

Sicherlich birgt die Exhibition »Achtung International! Salzburg & 100 Jahre Internationale Gesellschaft für Neue Musik«, die im Rahmen von aspekte am Mozarteum Salzburg eröffnet werden wird, spannende Materialien. Die nach dem 1. Weltkrieg gegründete IGNM wird wegen ihres globalen Wirkens zu Recht auch als transkulturelles Friedensprojekt gewürdigt. Zum Abschluss bitte ich um eine kurze Schilderung der Salzburger Gründungsmomente und möchte final noch einmal auf die Genderfrage zurückkommen. Wissen Sie, wann die ersten Komponistinnen in den IGNM-Annalen verzeichnet sind?

Ich kann und möchte mich über die Ausstellung nicht zu sehr äußern, da sie von der Universität Mozarteum und der IGNM ausgerichtet wird. Das Eröffnungsprogramm versucht beides zu zeigen, einerseits die wegweisende Vergangenheit mit Anton Webern, Béla Bartók und Gérard Grisey, aber auch die Zukunft, die von Frauen gleichberechtigt mitgestaltet wird.

Link: https://aspekte-salzburg.com/aspektefestival-2022

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