Ailbhe Nic Oireachtaigh ist eine irische Musikerin, die ich eigentlich schon hätten kennen müssen, denn ich habe Platten und Kassetten von Cian Nugent & The Comos, Three Eyed Makara oder Woven Skull im Regal stehen, und dort ist sie mit ihrer Viola zu hören. Auch mit Alastair Roberts oder Haley Fohr (Circuit des Yeux) und vielen anderen hat sie schon zusammengearbeitet, und sie spielt auch nicht immer oder ausschließlich Viola. Auf »Lux Gratis« ist sie außerdem mit Gitarre, Keyboards, Orgel und diversem (nicht-)elektronisch unterstütztem Kleinzeug zugange. Ebenfalls am Album beteiligt: Sam Comerford mit Flöten, Tenor- und Basssaxophon sowie Bassklarinette. Mit »Lux Gratis« haben beide ein Album eingespielt, das elektronische und akustische Elemente miteinander verschmilzt, wie es ja in experimentell gestimmten Underground-Szenen nicht unüblich ist. Das meine ich an dieser Stelle nicht abwertend, sondern schlicht beschreibend. Im Gegenteil, diese Herangehensweise, so weit verbreitet sie scheinen mag, ist Alltag in der (selten wertgeschätzten) ästhetischen Praxis ungezählter improvisierender Musiker*innen, aber leider erfährt diese musikalische Welt oft erst dann größere Aufmerksamkeit, wenn Daniel Blumberg in seiner Oscar-Dankesrede der Szene um das Londoner Café Oto dankt, einer Spielstätte, die so etwas wie das CBGB’s der experimentellen Musik in Europa ist. Aber ich schweife ab. Zurück zu Ailbhe Nic Oireachtaigh und ihrem Album. In begleitenden Notizen zur Veröffentlichung beschreibt sie, wie die wohnortnahe Rüstungsindustrie und der Lärm, den sie macht, die Aufnahmen motiviert hat. Wie der metallische und martialisch konnotierte Lärm sie darüber hat nachdenken lassen, wie Alltagsgeräusche Informationen über das jeweils naiv wahrnehmbare Geräusch hinaus transportieren und wie wenig dieser Umstand (notwendigerweise) im Alltagsbewusstsein verankert ist. Krach wird in aller Regel ausgeblendet, auch wenn – das weiß man ja – niemand die Ohren wirklich verschließen kann und Krach auf die Dauer krankmacht. Auf dem Album finden nun solche Klangquellen ihren Eingang, »Lux Gratis« ist sozusagen entsprechend grundiert. Das klingt jetzt trist und freudlos. Und »Lux Gratis« ist sicher auch kein Easy-Listening, aber es wäre ja nun auch keine Klangkunst, wenn Ailbhe Nic Oireachtaigh im weiteren ästhetischen Prozess ihr Material nicht so bearbeiten, ergänzen und erweitern würde, dass am Ende dabei etwas – sagen wir es ruhig so – »Schöneres« herauskommt. Die Komposition ist ein Bewältigungsversuch, ein Ansatz, Umwelt zu transformieren und zu gestalten, und für die Hörer*innen liegt darin die Möglichkeit zu einer neuen, anderen Erfahrung dieser Umwelt, die als verändert und verfremdet wiederkehrt. Schnell ist man dann dabei, solchen Arbeiten einen gesellschaftskritischen Gehalt zu unterstellen. Aber Obacht dabei, solche ästhetischen Strategien und Gesten zu überfrachten oder in ihrer Reichweite zu überschätzen. Klangkunst ist eine Reflexionsform, die notwendigerweise abstrakt und differenziert zum Ausdruck kommt, sie regt an – aber sie wirft nicht um; Subjekte vielleicht, Verhältnisse eher nicht. Aber, wie gesagt, das ist auch nicht zu erwarten. Erwartet werden darf eine musikalische Herausforderung, und diesem Anspruch wird Ailbhe Nic Oireachtaigh gerecht. »Lux Gratis« liefert ein vielschichtiges Hörerlebnis. Die sorgfältig über- und ineinandergeschobenen Klangschichten und aus unterschiedlichen Instrumenten und Field-Recordings generierten akustischen Ereignisse finden in einer stimmigen Komposition zusammen.

Ailbhe Nic Oireachtaigh
»Lux Gratis«
Kraak

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