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Jeff Buckley – Cafe Days

The complete »Live At Sin-e Legacy Edition«

Als ich damals, 1995, als Teenager in New York war und mir »Grace« von Jeff Buckley im Record Store besorgte, war ich mir nicht sicher, ob das wirklich das war, wonach ich suchte. Das einzige Vergnügen das ich bis dato mit dem Musiker Jeff Buckley hatte war ein Live-Mitschnitt von »Eternal Life«. Rockender und ungestümer, zorniger und wilder als alles andere, irgendwann spät nachts auf MTV. »Grace« hingegen war anders. Wie ein sich immer weiterdrehendes Karussell von lyrischer und musikalischer Entfaltung und bestechend durch die Leichtigkeit der Schwere, die dem Album inne wohnt.
Groß war die Freude auf kommende Platten und »News« über Jeff Buckley, groß auch die Ernüchterung als der Tod (durch Ertrinken in einem Seitenfluss des Mississippi) des damals 30-Jährigen, Anfang Juni 1997, via Radio verkündet wurde.

Da war also einer, der mit ungeheurer Emotionalität (und stimmlicher Oktavengewalt) an sein Werk ging. Für kurze Zeit nur, wie eine Sternschnuppe, hell leuchtend und wieder verschwindend, am Rockhimmel sichtbar. Posthum verklärte sich das Bild des Mannes und wird wie so oft ins pathetisch mystische gezogen.
Manchmal hörte man auch den Vorwurf Mary Guibert (Jeffs Mutter) wäre nur am Ausverkauf ihres Sohnes interessiert, was ich hiermit, mit Verlaub, als Quatsch bezeichnen möchte. Vielmehr schaffte sie durch ihr Engagement einzig und allein einen Beitrag zu dem, was ihrem Sohn verwehrt geblieben ist, nämlich ein Werk. Und zwar bevor das irgendwelche, tatsächlich vorrangig am Kapital-Jeff Buckley interessierten Kräfte tun. Nun liegt eine »neue« posthume Buckley-Veröffentlichung vor.

»Live at Sin-e« ist praktisch die erweiterte Fassung der bereits 1993 erschienenen gleichnamigen 4-Song-EP und umfasst 2 CDs, die insgesamt 160 Minuten Spieldauer auszeichnet. Eine limited Edition ist zusätzlich mit einer DVD ausgestattet, welche Auszüge aus späteren Auftritten im Cafe »Sin-e« und ein Interview mit Jeff Buckley enthält. Alle Aufnahmen stammen aus den Monaten Juli bzw. August 1993.
Nachdem Buckley zu Beginn der Neunziger von Kalifornien in »sein Mekka« New York zog, und mit Gary Lucas »gejammt« hatte (»Songs To No One 1991-1992« ist 2002, als ein Dokument dieser Zusammenarbeit, erschienen), spielte er eine Vielzahl von kleinen Auftritten in meist winzigen Klubs und Cafés in Lower Manhatten. Er hatte kurz zuvor einen Plattenvertrag bei Columbia unterschrieben, wollte aber bei der Entwicklung seiner Musik/Karriere versuchen nicht auf plakatives und »aggressives« Vorgehen zu setzen.
Less is more. Oder im Falle von »Sin-e«: Keep it small.
Eigenes Material war vielfach erst in der Entwicklungsphase. Oft entstiegen Buckley-Songs einem Gedicht. Metamorphose vom Poem zum Song. Am Ende waren die Texte der Lieder oft wohl nur noch eckpfeilerhaft mit dem »Ausgangsgedicht« verwandt. Die logische Konsequenz: der Großteil des Materials bestand aus Coverversionen.
Was bei den vorliegenden Aufnahmen für zusätzliche Gänsehaut sorgt, sind die Zwischen-den-Songs-Ansagen bzw. -Monologe, in denen sich der Künstler äußerst humorvoll über Dies und Das (vornehmlich Musik) Gedanken macht und so scheinbar den posthumen Mystifizierungen lachend ins Gesicht spuckt.

Ein junger Mann voller Lebenslust und Tatendrang, glücklich verliebt (in Rebecca Moore, eine New Yorker Avantgarde-Künstlerin und Sängerin) und auf dem Weg sein eigenes Können auszuloten und seinen eigene(n) Sound/Band zu formen. Er war kein verzweifelter Schmerzensmann, wie so oft vorschnell behauptet wird. Die Beziehung zur eigenen Herkunft (Vater Tim Buckley, ebenfalls frühverstorbener Folk- und Jazzsinger/Songwriter, jedoch ohne stärkere Bindung zum Sohn) zwar wohl noch nicht gänzlich geklärt oder aufgearbeitet, aber wohl auch kein Dämon, der schwer auf ihm lastete. Vielmehr frei im Erproben der eigenen Mittel.
In diesem kleinen irischen Café kamen übrigens eines Abends auch seine späteren Bandmitglieder vorbei und beschlossen, Jeff Buckley ihre Zusammenarbeit anzubieten. Überhaupt absolvierte Buckley im »Sin-e« den größten Teil seiner Auftritte als Solokünstler in New York und »versüßte« dort auch diverse Silvesterabende.
Es ist alles da. Ein Lied, die Gitarre und vor allem die Stimme. Mehr brauchte es nicht bei Buckleys Interpretations- und Umsetzungsgabe. Der Song als Spielball. Mal straight interpretiert, mal auseinandergenommen und wieder spontan zusammengebaut. Wunderschön lässt sich also auf dem Album beobachten, welche Künstler besonders starken Einfluss auf ihn hatten. Eine Coverversion seines Helden, des – ebenfalls 1997 verstorbenen – pakistanischen Sängers Nusrat Fateh Ali Khan, steht hier durch die augenzwinkernde Interpretation an vorderster Stelle. Weiters sind Songs von Dylan – wunderschön zum Beispiel »I Shall Be Released« oder »If You See Her, Say Hello« -, Led Zeppelin oder auch von Nina Simone und Van Morrison enthalten und bekommen von Buckley ein neues Antlitz verliehen, werden ganz zu seinen eigenen Songs.
Natürlich spielte er auch schon damals die meisten seiner eigenen Nummern, die später auf »Grace« erschienen waren. Allen voran das eingangs bereits erwähnte »Eternal Life«, mit der ersten Zeile: »Eternal life is now on my trail, got my red glitter coffin, man / just need one last nail …«. Nach der Liebe war der Tod und eine damit verbundene »Keine Angst vor Nichts und Niemand«-Euphorie, immer wieder zentrales Thema. Voller Einsatz, ohne Angst davor auch mal übers Ziel hinauszuschießen. Einer, der wusste, er musste seine Grenzen hinter sich lassen, um etwas Eigenes zu schaffen. Auf der Bühne sowie abseits davon. Und einmal war es eben der falsche Moment …

»Sin-e« zeigt den Einsatz und diese Bereitschaft auf beeindruckende Art und Weise. Die Songs gehen ganz tief rein und heben eine(n) dann doch wieder empor. Insgesamt eine Interpretationsdemonstration »for the lovers«.
Für Jeff Buckley Fans also ein Muss. Für alle anderen wäre diese Platte wohl der beste logische Einstieg in sein Schaffen. Und für mich ist es ein neuerlicher Ansporn das Glück herauszufordern.

Discografie:
Von den erwähnten Platten sind »Live At Sin-e« (EP sowohl als auch die »Legacy Edition«) und »Grace« bei Sony erschienen. »Jeff Buckley, Gary Lucas- Songs To No One 1991-1992« ist auf dem New Yorker Label Knitting Factory erschienen. Die nicht erwähnten Buckley-CDs sind ebenfalls alle bei Sony erschienen:
Sketches For My Sweetheart The Drunk (1998)
Mystery White Boy Live 95-96 (2000)
Live At L’Olympia (2001)
The Grace EPs (2002)

Home / Musik / Review Collection

Text
Robert Innerhofer

Veröffentlichung
21.10.2003

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