Orchideen, so weiß jedes halbgebildete Kind, brauchen sehr spezifische Bedingungen, um zu blühen. Sie mögen beispielsweise kein Formatradio, sondern lieben das Kunstradio. Sie gedeihen erst bei Texten ab 1.200 Wörtern (genannt »Essay«) und brauchen Argumente, Debatten, Einsichten, Erhellungen und überhaupt all jene Dinge die das Billa-Radio viel, viel zu selten im Programm hat. Auch wenn skug-Redakteur*innen sich zuweilen beim Befühlen der Melanzani im Gemüseregal wundern: Dudelt da gerade ein Genesis-Song aus den 1970ern in die vom Supermarkteinkauf gestressten Ohren? Wer bitte hat den ausgesucht? Der Blick ins Internet gab später Gewissheit: Weil die Alt-Art-Rocker in jenen Tagen ein letztes Mal auf Tour gingen, wird irgendwer für die Beduselung bezahlt haben, womit zugleich alles über die schöne neue Radiowelt gesagt sein dürfte.
Wollen sie wirklich FM4 und das Ö1 Kunstradio abdrehen?
Sicherlich, es gibt medialen Wandel und der ist unerbittlich. Jene Zeiten, in denen mit dem Kassettenrekorder neben dem Radio gesessen werden musste, um überhaupt an Musik zu kommen, sind vorbei. Alles ist jederzeit im Netz verfügbar und das ist gut so und eigentlich ganz wunderbar. Dennoch braucht es Kuratierung, die treffende Auswahl, die geschickte Kontextualisierung, den gefühlvollen Dialog, das Ausgraben unbekannter Schätze. Keine Frage, das machen unbezahlte Kräfte heute in den sozialen Medien (YouTube, Spotify und dieses Ding, das nur die jungen Leute kennen) ebenso gut wie die angemessen bezahlten Hörfunkredakteur*innen. Aber die zum Hobby verdammten Expert*innen sehen dafür keinen grünen Heller. Sie finanzieren ihre Leidenschaft ausnahmslos quer und damit wird die Sache in einer arbeitsteiligen Gesellschaft knifflig. Sie können sich nicht professionalisieren und nehmen damit anderen bezahlte Arbeit weg. (Bitte mitschreiben, Sozialdemokratie!)
Bekanntlich tut Kiffermund Wahrheit kund. Anlässlich der Präsentation seines Films »Clerks 3« meinte Kevin Smith, er sei so unendlich froh, mit dem Filmemachen angefangen zu haben, lange bevor es YouTube gegeben hat. Da seien Tausende Leute, die viel besser wären als er. Das ist nicht nur fishing for compliments, das stimmt schon irgendwie. Das Internet hat die Schleusen zu unermesslicher Kreativität geöffnet. In allen Bereichen. Nicht selten sind die Postings unter den Artikeln einer etablierten Zeitung viel besser als der Artikel selbst.
Was folgt daraus? Den ORF abwickeln? Allen Mitarbeiter*innen noch einen YouTube-Account spendieren (ist eh kostenlos) und gut ist’s? Wer kreativ genug ist, wird schon die 1,3 Milliarden Abos aufstellen, die ausreichen, um von Social Media einigermaßen leben zu können. Okay, Ironie off, das ist einfach unmöglich. Deshalb gibt es nur einen Weg: Förderung. Der wird in Österreich schon beschritten. Die Gelder, die ORF und die großen Zeitungen in Österreich an Förderung erhalten, sind im beschränkten Platz, der skug im Internet zur Verfügung steht, nicht mehr abzubilden. Diese Zahlen sind einfach viel zu groß. Nur, wo landet das ganze Geld überhaupt?
Es ginge um eine Förderung der Arbeit und nicht der Struktur
Die schlaue Frage vieler Psychotherapeut*innen lautet: »Würden Sie Ihre Arbeit auch machen, wenn sie nicht dafür bezahlt würden?« Alle in der Coltan-Mine schreien begeistert »Ja« und die armen Seelen, sofern sie es überlebt haben, die die Stadien für die nächste verbrecherische Fußball-WM gebaut haben, ergänzen sogleich: »Keine Sorge, wir werden ohnehin nicht bezahlt!« Will sagen, die Frage ist ein bisschen klassenblind, dennoch ist es nicht von der Hand zu weisen. Wer das Glück hat, kreativ arbeiten zu dürfen, hat Glück. Wer für Medien arbeitet, kann gestalten, befindet sich ständig in anregenden Situationen und darf sich ein bisschen aufspielen. Aber essen müssen sie auch, die privilegierten Kreativen, und Miete zahlen. Aktuelles Stichwort: Strom- und Gasrechnung.
Die Politik sieht dies ja auch als förderungswürdig. Sie will zum Beispiel beim digitalen Wandel aushelfen. Zunächst sollte die Digitalisierungsförderung nur die alten Printschiffe umfassen. Einwand von skug und anderen half der Politik zur Besinnung. Jetzt werden auch jene Magazine gefördert, die den medialen Wandel bereits vollzogen haben und nur mehr online sind. Gut so. Dann aber das übliche. Es wird die Struktur gefördert und nicht die individuelle Arbeit. (Manche nennen dies die individuelle »Leistung«.) Das bedeutet, wer gefördert werden will, braucht drei angestellte Journalist*innen im Betrieb. Damit sind die Orchideen out! Das kann, wer beispielsweise im Kulturjournalismus undergroundig arbeitet (die skug-Redaktion begegnet solchen Menschen bei jedem Blick in den Spiegel) kaum jemals stemmen.
Denn für die Förderung braucht es eine wirtschaftliche Grundlage. Aber woher sollen die geförderten Orchideen die nehmen? Das Spektrum für Einnahmen wird immer kleiner. Man kann Advertorials schreiben für große Konzerne oder schauen, wo sich überhaupt noch Werbung keilen lässt. Fragen des geistig-moralischen Ausverkaufs bei Schloderwasserwerbung mal beiseitegelassen, muss konstatiert werden: Das alles klappt nur in den Bereichen, in denen es ohnehin auch heute schon klappt, und die dürfen sich jetzt auch noch über zusätzliche Förderung freuen. In die Ränder kommt so nichts. Die Schäden für die mediale Vielfalt sind heute in Österreich bereits himmelschreiend. Das ganze Land wird zum kleinen Kreis. Eine Handvoll Medien interviewt die Immergleichen. Die Folgen sind Verarmung und Verflachung, Philosophieren verkommt zum Liessmannen, politisches Analysieren gerinnt zum Filzmaiern. Den einzelnen Personen ist dies kaum vorzuwerfen, sie werden halt immer gefragt, weil man eh niemand anderen mehr kennt.
Furcht und Wandel
Eine kurze und repräsentative Umfrage in der skug Redaktion brachte ein eher nicht so tolles Ergebnis für FM4 und Ö1. Alle bei skug lieben Musik und sind superinteressiert an Infos. Alle haben früher die beiden Sender gehört und manche müssen ein bisschen in der Erinnerung kramen, wann sie es das letzte Mal taten. Er gibt noch brave Radioeinschalter*innen, aber sie werden weniger, so wie die »Standard«- und »Falter«-Abonnent*innen in Bobostan. (Detail am Rande: Die wenigen verbliebenen Zeitungausgaben landen meist makellos gefaltet im Altpapier. Sind die Leser*innen wirklich ordentlicher geworden?)
Es muss sich wirklich etwas ändern. Die Frage ist, wie wird dieser Wandel sinnvoll gestaltet? Wer undergroundige Medienarbeit macht, weiß, man braucht zehn wackelige Beine, um einigermaßen sicher zu stehen. Ständig müssen neue Kooperationen angestoßen werden, Miniförderungen eingesammelt und all diese Dinge. Gerne mal nachfragen bei unseren geschätzten BAM!-Kolleg*innen. Das hält frisch im Kopf und macht auf Dauer krank. Gerade durch die Corona-Troubles hat es viele in der freien Medienszene aus dem Anzug gehauen. Das Burnout fordert seinen Tribut. Deswegen wäre eine etwas generösere Förderung so wichtig. Wir freien Medienmacher*innen sind es gewohnt, ohne festen Ort und ohne fixe Aufträge auf Sicht zu fahren und mit anderen Jobs quer zu finanzieren. Aber wenn es überhaupt keine Einnahmen mehr durch Journalismus im Orchideenfeld gibt, dann wird es irgendwann sehr zach.
Deshalb bräuchte es einen neuen Gesellschaftsvertrag mit den Kreativen. Jene, die Kunst- und Kulturgut pflegen, für das es einfach keinen Markt gibt. Unsere Zivilisation ist voll davon und hat hierin ihren Reichtum. Ein Opernhaus zu bauen, war einst eine Geschäftsidee (ist Jahrhunderte her), jetzt wird jede*r Besucher*in üppig subventioniert. Ohne die Gelder wäre die Oper aus, finito und käme nicht wieder. Wer Kulturjournalismus in Österreich erhalten will, muss schauen, wie das bezahlt werden kann. Vor dem Hintergrund der veränderten Seh- und Hörgewohnheiten ist das vielleicht nicht die Förderung von riesigen Sendehäusern, sondern die Bezahlung der einzelnen Beiträge auf den unterschiedlichsten Plattformen. Hier ist gesetzgeberische Kreativität gefragt und es würde durchaus helfen, die Betroffenen einmal zu fragen. Danach sieht es nicht aus. Unterm Strich: Der ORF soll jetzt geschält werden (oder wurde es bereits), wer was zu Free Jazz und Neue Musik macht, kriegt den Stuhl vor die Tür. Das Ö3-Hitradio hingegen dampft weiter und wirft sich mutig in den Kampf mit dem übermächtigen Gegner Radio Billa, das am Ende siegen wird, weil das Publikum es hören muss, denn bekanntlich haben die Supermarktlautsprecher keinen Ausschaltknopf.