Maria Sanhueza und Johannes Wiener © Frank Jödicke
Maria Sanhueza und Johannes Wiener © Frank Jödicke

Kunst und Ähre in Wien

Auf dem Zukunftshof in Rothneusiedl thematisiert der Verein agri_culture mittels Ausstellungen, Workshops und tagtäglicher Praxis des Säens und Erntens, das komplexe Verhältnis von Natur und Kultur.

Der Zukunftshof kann ohne Übertreibung als das letzte Haus von Wien bezeichnet werden. Wer mit der U1-Verlängerung nach Neulaa fährt, hat noch gut 15 Minuten Fußweg vor sich, immer die Himbergerstraße stadtauswärts. Dann endlich rechts der Hof und dahinter die Unendlichkeit niederösterreichischer Felder. Den Hof als Bauernhof zu nutzen, lohnte sich vor einigen Jahren nicht mehr. Jetzt wird das Gelände von verschiedenen Initiativen neu adaptiert und genossenschaftlich genutzt. Eine dieser Organisationen ist der Verein agri_culture, der von der aus Chile stammenden Menschenrechtsaktivistin und Journalistin Maria Sanhueza und dem gelernten Gärtner, Künstler und Architekten Johannes Wiener aus Wien gegründet wurde.

Zukunftshof © Frank Jödicke

Lasst uns ins Gespräch kommen

agri_culture versteht sich als umfassendes, hybrides Projekt, das Kultur in ihrem vollen Bedeutungsumfang thematisiert. Es geht um Kunst, Architektur, Handwerk, Landwirtschaft und überhaupt die soziale Interaktion. All dies sind Teile einer culture, all dies wird auf die eine oder andere Weise kultiviert. Gerade der Anbau von Nahrungsmitteln und Ernährung stehen eigentlich im Zentrum unserer aller Leben und werden überraschend wenig künstlerisch und in einem nicht werblichen Sinn kritisch thematisiert. Der Kampf um das bessere Zusammenleben ist ein globaler und findet zugleich vor der eignen Haustür statt. Noch gibt es in Wien überraschend viel Ackerland. Ob es der Weisheit letzter Schluss ist, dies vollständig in profitableres Bauland zu verwandeln, wäre eine dieser Fragen, die einmal diskutiert werden könnte und sollte.

Sanhueza und Wiener wollen hierzu mittels ihres holistischen Zugangs Anstoß geben. Dieser reicht von Töpferkursen für Kinder bis hin zum »Strohforum«, also politischen Diskussionen, bei denen die Diskutant*innen auf (überraschend warmen) Strohballen sitzen, die ein Bauer aus der Umgebung zur Verfügung stellt. Der Ort für all dies sind die noch zur Stadt Wien gehörenden Felder hinter dem Zukunftshof. Eine etwas abgelegene Scheune wurde zum Schutz gegen Wind und Wetter zur Mehrzweckhalle umgestaltet. Die beiden Initiator*innen von agri_culture verstehen ihr Handwerk. Die aktuelle Ausstellung in der Scheune ist bis in kleine designerische Details ausgereift und gut durchargumentiert. Die Ausstellungsarchitektur könnte einem auch auf der Documenta begegnen. Zugegeben, die einsame Scheune vor dem niederösterreichischem Himmel, der bis zum leergeräumtem Horizont reicht, wirkt allein schon wie ein Filmset.

Installation Eingang © Jaspar Müller-Jödicke

Einfach wird es nicht

Die Probleme sind beträchtlich und wer sich eingehender damit beschäftigt, wird nicht unbedingt optimistisch. Wenn man Sanhueza und Wiener, sowie ihren internationalen Gästen, bei ihren sehr fundierten Ausführungen zuhört, fragt man sich bald, ob der Titel »Zukunftshof« nicht vielleicht ein bisschen in die Irre führt, weil die Weltgemeinschaft die Zukunft schon hinter sich haben könnte.

Die extensive Nutzung der Böden führt beispielsweise weltweit zur Versalzung. Ein Problem, das seit der Antike bekannt ist. Jener Herr, der einst sagte: »Ihr seid das Salz dieser Erde«, meinte dies übrigens als Spott auf seine trägen Jünger. Ein versalzter Boden ist für landwirtschaftliche Nutzung unbrauchbar. Nun kann aber selbst neueste Technologie das Problem der Übersalzung nicht einfach lösen, führt Wiener aus, es braucht Jahrhunderte bis zur Regeneration der Böden. Gerade in Südamerika, erklärt Sanhueza, zeigt sich, dass Kapitalinteressen schlecht für die Versorgung sind. Bäuerliche Strukturen, die zuvor große Bevölkerungen ernähren konnten, wurden zerschlagen und eine Agrarindustrie aufgezogen, die vornehmlich die Abhängigkeit der Landarbeiter*innen zum Ziel hat, die jetzt in Slums leben müssen.

Installation Gemüsefeld © Jaspar Müller-Jödicke

agri_culture verschenkt an Besucher*innen Samen, die in kleinen, mit Bienenwachs verstopften Holzröhrchen aufbewahrt werden. Sie sollen nach Lust und Laune an gewünschten Orten ausgesät werden. Diese Handlung könnte, wenn sie nicht Teil einer Kunstaktion wäre, durchaus strafbar sein, weil das Saatgut heute Konzernen gehört und nicht weitergegeben werden darf.

Neue Formen des Zusammenlebens am Stadtrand

Zur Erlangung einer Lebensgrundlage von agri_culture gehört auch, dass die anfallenden Arbeitsaufgaben nicht durch die übliche, leicht übergeschnappte Selbstausbeutung von Enthusiast*innen geleistet werden sollen. Es geht auch darum, Gelder zu bekommen, und das geht bei Kunst und Landwirtschaft im Grunde nur über Förderung. Damit wäre der nächste politische Konfliktbereich angestoßen. Die ungerechte Verteilung der Agrarsubventionen liegt den beiden Aktivist*innen im Magen. Große Konzerne, die beispielsweise ihr Geld mit angeblich aufputschendem Brausewasser verdienen, unterhalten ganze Abteilungen, die sich oberschlau und höchst erfolgreich anschauen, wie Subventionen zu ergattern sind. Kleine haben da kaum Chancen.

Installation Scheune © Frank Jödicke

Der Markt funktioniert einfach nicht, das sind sich Sanhueza und Wiener sicher. Deshalb müssen wir die Dinge selbst in die Hand nehmen. Mit etwas, das sich »market gardening« nennt. Im Rahmen der Genossenschaft Zukunftshof ist Johannes Wiener der zuständige Bauer. Auf 1.000 Quadratmetern baut er Gemüse an. Nähren will er es mit organischem Müll, um nicht im Wettbewerb um die gerade immer teurer werdenden chemischen Düngemittel zu geraten. Die angebauten Zucchini, Kürbisse und Tomaten sollen für einen kleinen, lokalen Marktplatz dienen, der im Prinzip die unmittelbaren Anwohner*innen mitversorgt.

Einfach ist dies nicht. Die Böden wurden lange nicht genutzt und es zeigte sich, dass die Wiener Krähen sehr schlau sind. Sie hatten bald überrissen, dass es sich bei der Vogelscheuche nicht um einen Menschen handelt, und fraßen die Aussaat auf. Es gibt viel zu lernen für Menschen, die Landwirtschaft nicht mit großen Traktoren und Kunstdünger betreiben wollen.

Strohforum © Frank Jödicke

Gemeinsam den Wandel gestalten

Deshalb ist der Austausch ja auch so wichtig. agri_culture, der Verein für Landwirtschaft und ökosoziale Kultur will auch intergenerational sein. Deshalb sind Interessierte, von Pensionist*innen bis hin zu Jugendgruppen, eingeladen, mitzumachen und handwerkliches Wissen zu erlernen oder zu teilen. Die verschiedenen, aktuellen Krisen geben dem Projekt brennende Aktualität. Das Leben auf diesem Planeten wird sich ändern und anpassen müssen. Der sich vollziehende Klimawandel ist in Teilen sogar ein »Vorteil«. Zwar ist es im Sommer längst zu heiß und trocken, aber die Anbauzeit ist im Ganzen länger geworden. Somit gibt es nun auch in Wien bereits zwei Saisonen.

Wir sind mit diesem Planeten verbunden und den Änderungen unterworfen, die wir besser gemeinsam und solidarisch gestalten sollten. In einer seiner Installationen thematisiert Johannes Wiener dies sehr drastisch. In die Haut, die ihm bei der Arbeit von den schwieligen Fingern fiel, pflanzte er ein Weizenkorn.

Maria Sanhueza und Johannes Wiener werden beim Salon skug am 13. Oktober 2022 im skug Talk zu Gast sein. Fragen zur besten Zeit für die Aussaat und zur Möglichkeit größerer globaler Gerechtigkeit können ab 20:00 Uhr vor Ort im Wiener Rhiz gestellt werden.

Informationen über Aktionen, Ausstellungen und sonstiges gibt es über die Seite https://www.agri-culture.art/.

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