Von der Bühne der österreichischen Politik sind Sebastian Kurz und Thomas Schmid längst abgetreten. Ihr Fall darf als weich bezeichnet werden, denn sie fanden vermutlich gut dotierten Unterschlupf in Amsterdamer Start-ups und der US-amerikanischen Finanzindustrie. Kurz deutete jüngst an, dass eine Rückkehr in die Politik für ihn ausgeschlossen sei. Das Land hingegen hat sich von der ÖVP-Korruptionsaffäre noch nicht erholt. Die wird noch auf Jahre Gerichte und parlamentarische Untersuchungsausschüsse beschäftigen. Wer auf Österreich, insbesondere den türkisen Postenschacher und Machthunger blickt, könnte leicht verzagen. Eine Situation, auf die entweder mit Galgenhumor reagiert wird oder aber mit Opernkunst. Johannes B. Czernin entschied sich zu Letzterem. Er selbst ist Opernsänger und seit der erzwungenen Zwangspause der Pandemie auch Unternehmer, der sich durchaus um die Zustände in seinem Heimatland sorgt. Er hat ein kleines Team um sich geschart und wird am 18. Juni 2022 um 17:00 Uhr auf dem Dorfplatz in St. Koloman »Der Prätorianer – Oder die Zärtlichkeit des Thomas S. – Ein Machtspiel in vier Chatprotokollen« uraufführen. An der Veranstaltung kann auch online teilgenommen werden.
skug: Also eine Vertonung von Chatprotokollen ist nicht unbedingt ein naheliegender Gedanke. Wie entstand diese ungewöhnliche künstlerische Idee?
Johannes B. Czernin: Das Video der Burgtheater-Lesung, in der die Chatprotokolle mit verteilten Rollen gelesen wurden, habe ich auf YouTube gesehen, war eigentlich sehr angetan davon und habe es [dem Mitinitiator der Oper] Patrick Sellier kommentarlos geschickt. Der hat dann die Stellen rausgesucht und gemeint »Wäre als Singspiel auch gut!« Ich habe dann weitergesponnen und es zu dem Zeitpunkt eher nicht ernst gemeint und nur geantwortet: »Oder als Oratorium«. Das Singspiel ist aber viel passender. Ich habe universitär zur Commedia dell’arte geforscht, insbesondere zur »Arie des Figaro« bei Mozart und bei Rossini. Das fiel mir zu dem Stück dann wieder ein, dass man einfach auf die Straße geht und »Staatstheater« macht, um sich über die »Obrigkeit« lustig zu machen und zu blödeln. Und auch um die Machtgier zu hinterfragen. Ich blieb dran und habe das Libretto relativ schnell fertig geschrieben. Mir wurde dann in Tristan Schulze ein ganz wunderbarer Komponist empfohlen, der so humorbegabt war, das Projekt anzugehen, und wir haben uns gleich gut verstanden. Ich habe einen Komponisten gesucht, der auch Kirchenmusik kann, weil wir ja auch den Chat um die Kirche im Programm haben – so viel darf ich wohl verraten. Mit Tristan Schulze habe ich jemanden gefunden, der besser nicht passen könnte und der zugleich Organist und Cellist ist. Im Kern sind die vier Chatunterhaltungen zwischen Schmid und Kurz, um die habe ich dann eine zusätzliche, etwas kitschige Handlung gesponnen. Es war zunächst ein reiner Scherz, der dann immer größer wurde.
Liegt das vielleicht in der Familie, sich in Witze hineinzutheatern? Ich erinnere mich daran, dass ihr Onkel Franz Josef Czernin gemeinsam mit Ferdinand Schmatz einmal bewusst schlechte Gedichte veröffentlicht hat. Die Sache war als kleiner Scherz gedacht und wurde dann größer als erwartet und gewünscht. Eine heiße Diskussion entstand über Kunst und Dichtung, der Hamburger »Spiegel« berichtete und Ferdinand Schmatz meinte, das seien vermutlich seine Warhol’schen »15 minutes of fame« gewesen.
[lacht] Ja, das kann sein, dass wir uns in der Familie gerne in Witze theatern. Vielleicht kann man das so sagen. Ich muss gestehen, ich habe die Episode gerade nicht im Kopf. Ich werde ihn nochmals fragen, wie das damals war[i].
Die Opernliteratur ist reich an Intrigen, Ränkespielen und – darf man auch in diesem Zusammenhang vielleicht sagen – Königsdramen. Allerdings wird den handelnden Personen meist eine besondere »Größe« zugebilligt. Sie erscheinen als scheiternde Gigant*innen, die dem Publikum, trotz der offenkundigen Bosheit und Verschlagenheit, ein Gefühl der Anteilnahme ermöglichen. Ist dies in der Oper »Der Prätorianer« auch der Fall?
Ja, wenn natürlich auch sehr stark übertrieben. Es geht tatsächlich an sich darum, die beiden menschlich zu machen und ihre persönlichen Gefühle in den Vordergrund zu stellen. Die Beziehung der beiden soll bei der Oper im Vordergrund stehen, die – und das ist mir ganz wichtig zu betonen – reine Fiktion ist. Mir ist es persönlich vollkommen egal, wie deren persönliche Beziehung in der Realität aussieht. Ich ging von den Sätzen aus: »Ich liebe meinen Kanzler« und: »Du kriegst eh alles, was du willst!«. Das liegt schwarz auf weiß vor und deutet eine Nähe an, aus der ich eine Liebesgeschichte gemacht habe.
Die Oper ist somit also eine homoerotische Liebesgeschichte?
Na ja, wenn man so will, ist es eine homoerotische Liebesgeschichte, aber die zwei Figuren werden im Stück von Frauen gespielt werden. Es ist ein Spiel mit dem Machismus, mit der männerdominierten Gesellschaft in Österreich, dem Patriachat, das in Frage gestellt wird, indem zwei Frauen als Männer auftreten.
Worin liegt die »Zärtlichkeit« des Thomas S.?
Es gibt diese Zeile: »Danke, dass du mich gleich angerufen hast, das macht eine Freundschaft aus.« Die Zärtlichkeit des Thomas S. und des Sebastian K. liegt in dem »Harte Schale, weicher Kern«-Phänomen. Sie treten nach außen ganz taff auf, sind aber intern sehr liebevoll. Das werden sehr liebevolle Dinge einander geschrieben: »Lieber Thomas, wir kennen uns gegenseitig und halten das aus«, das ist ja fast kitschig. Genau diese Stimmung soll im Stück wiedergegeben werden. Die Rahmenhandlung stammt zwar von mir, aber die Chats sind ja als Originalzitate im Stück und der [Komponist] Tristan Schulz hat sofort gesagt, ich weiß, wie das klingen soll. Meine Inspiration war Claudio Monteverdis »L’incoronazione di Poppea«, denn ob es jetzt Kurz oder Nero heißt, das bleibt sich fast gleich. Ich will zwar jetzt nicht behaupten, dass Sebastian Kurz gleich die ganze Stadt angezündet hätte, aber er wollte zumindest ein Bundesland aufzuhetzen. Die Idee war, aus Thomas S. ist eine Poppea, eine Liebhaberin oder einen Liebhaber zu machen. Ich versuchte, einen Übergang zu machen von einer professionellen Beziehung zu einer Liebesbeziehung und die Chats bieten sich dazu an. Ich habe immer gefunden, die Dialoge sind so gut, die kann man nicht erfinden. Das war reine Inspiration. Das war bei der Aufführung im Burgtheater schon so und das wollten wir noch weiter ad absurdum führen.
Ein Detail scheint hier bedeutsam: Sebastian K. und Thomas S. sind keine »Königssöhne«. Sie stammen aus vergleichsweise weniger gut vernetzten Familien und haben sich in der österreichischen Gesellschaft durchaus in ihre Spitzenposten hinaufgearbeitet, wenn auch mit – es gilt die Unschuldsvermutung – unlauteren Mitteln. Inwieweit spiegelt dies die Oper wider?
Nicht wirklich. Im Prinzip ist es hoffentlich eine zeitlose Handlung, denn es geht um die Liebe von Menschen in hoher Position. Historisch waren »Machtopern« immer in der Noblesse und »Königsklasse« unterwegs. Wo sie heute herkommen, ist für das Stück nicht relevant. Die Zuschauer*innen werden Thomas S. im Stück beruflich und privat kennenlernen, aber dies ist freie Erfindung von mir.
Warum ist der Betrug ein so ergiebiges Thema sowohl für Oper als auch Gesellschaft? Haben sich die Betrügereien über die Jahrhunderte gewandelt? Warum betreffen sie uns so sehr emotional und spielen dann doch nur eine geringe politische Rolle? Denn Skandale wirken sich oftmals überraschend wenig auf Wahlergebnisse aus.
Ich würde etwas widersprechen, weil die FPÖ sich durch den Ibiza-Skandal schon zerlegt hat. Wir haben als Gruppe diesen Aspekt nicht unmittelbar bearbeitet. Wir sind alle drei [die Initiatoren Peter Godulla, Patrick Sellier und Czernin] in Deutschland aufgewachsen und haben ein relativ klar aufgeklärtes Verständnis von Demokratie vermittelt bekommen. Was da in den letzten Jahren passiert ist, etwa an Fake-News in der westlichen Gesellschaft, wo doch eigentlich Korruption nicht so sein sollte, das beunruhigt mich sehr. Österreich ist etwas korrupter als Deutschland, das traue ich mich in den Raum zu stellen. Diese neue Dimension an Korruption hat mich stark getroffen und ich war irgendwie fassungslos. Meine Mutter ist Argentinierin und in Südamerika kennt man dies nur allzu gut. Mir erscheint dies aber als Neuheit. Seit dem Ibiza-Video, wo es darum ging, eine Zeitung zu kaufen, die Blauen kaufen sich die »Krone«, die Türkisen kaufen sich die »Österreich«. Ob das jetzt wirklich passiert ist oder nicht, ist weniger wichtig als die Unverblümtheit, sich dran aufzugeilen: »So weit sind wir noch nie gegangen«. Wenn die Chats aus der linken Seite gekommen wären, dann würden wir wahrscheinlich genau dasselbe tun. Es geht um die Tatsache, dass Leute, die sich für die Bevölkerung einsetzen sollten und Dinge besser machen, sich selbst in den Vordergrund stellen. Das stört mich. Vielleicht war ich naiv und habe einen anderen Anspruch an Volksvertreter.
Den darf man durchaus haben und die beiden sind dem eher nicht gewachsen gewesen.
Ich will mich nicht an Lynchgesellschaft beteiligen und bin ein Kritiker von vorgefertigten Meinungen, aber in diesem Fall haben wir ja die Chats, ob die strafrechtlich relevant sind, ist weniger wichtig, als die Meinungen dieser Menschen zu sehen, die in höchsten Staatsämtern agiert haben. Die beiden haben sicherlich kein Problem damit, wenn wir über sie lachen, sie verdienen in den USA und Amsterdam bestimmt sehr gut. Wir machen einen Scherz und wenn sie es ernst nehmen [lacht], dann wäre das sicherlich ein Erfolg für uns … Wenn eine Aufregung passieren würde wegen unserer Aufführung, dann fände ich dies wiederum skurril und lächerlich, weil welche Dimension hat im Vergleich zu unserem Singspiel die Kommunikation dieser beiden Staatspitzen?
Interessanterweise gab es ja Kritik an der Lesung im Burgtheater, denn damit würde die Politik an sich geschädigt.
Das ist absurd, Gedanken und Kunst sind frei und wenn Kunst nicht kritisieren darf, wo sind wir dann? Das Wort Oper liefert eine Riesenassoziationskette. Die Frage wurde uns gestellt: Stellen wir die beiden auf ein Podest, sind sie überhaupt würdig, in den heiligen Tempel der Musik aufgenommen zu werden … Aber ich denke bei Kurz nicht gleich an Richard Wagner. Die Oper reicht vom Singspiel bis zur Grand opéra. Da muss nicht mehr hineininterpretiert werden.
Das Kabarettpublikum liebt die Chatprotokolle und hatte jahrelang seinen Narren an Strache, Meischberger und KHG gefressen. Wie steht es hier um das doch eher »bürgerliche« Publikum, das traditionell der klassischen Musik zugewandt ist? Welche Reaktionen gab es auf das Projekt und was erwartet sich das Ensemble?
Ich merke als Feedback einerseits gutes Zureden von vielen Leuten und die freuen sich auf einen netten Abend. Dann auf »exxpress.at«, so ein ÖVP-nahes Forum im Internet, wurde eine unrühmliche Darstellung gebracht, die wollten auch komisch sein und haben uns versucht zu belächeln. Die Reaktionen sind also bis jetzt divers. Wir machen Unterhaltung und keine hohe Kunst, die über unser Seelenheil entscheidet, und das wird kein Weltenepos. Wir haben viel gute Resonanz und wir haben Spaß. Wir haben die Ehre und Freude, auch mit Peter Breuer, dem ehemaligen Ballettdirektor des Salzburger Landestheaters, zusammenarbeiten zu dürfen, der drei Tänze choreografieren wird. Da ist eine gute Energie und das ist wichtig. Wir wollen nicht unbedingt einen Skandal, wir wollen satirisch kommentieren.
Der Aufführungsort wird ein Dorfplatz sein. Warum?
Das hat zwei praktische Gründe. Zum einen freue ich mich sehr, bei diesem Stück mit einer Freundin aus Jugendzeiten zusammenzuarbeiten: Elena Scheicher. Sie ist Bühnen- und Kostümbildnerin und hatte während der Pandemie die hervorragende Idee, eine Wanderbühne zu bauen, auf der man sehr gut »Open Air« spielen kann. Auch das erinnert mich wieder an die Commedia und ihre Tradition, von Dorfplatz zu Dorfplatz zu ziehen und auf solchen Bühnen – gerade in Zeiten von Pandemien, wenn Theater- und Opernhäuser schließen – weiter Kunst zu machen. Der zweite praktische Grund: Patrick Sellier führt in St. Koloman einen gastronomischen Betrieb, die Tauglerei, und somit können wir es auf einem privaten Gelände machen. Außerdem hat der Ort eine gute Akustik. Wir geben keine Staatsgelder aus, sondern bestreiten alles aus Spenden. St. Koloman ist doch ein recht schwarz-lastiges Land, allerdings nicht türkis. Wir machen ja auch gar kein Stück gegen die ÖVP. Wenn ich deren Ideal richtig verstehe, dann ist sie also Vertreterin christlicher und demokratischer Werte. Dann sollte es dort keinen Platz haben, wie sich die Burschen in den Chats benommen haben. Das Stück moralisiert ja auch gar nicht so sehr. Das vermeide ich lieber. Die 50 Minuten, die das Stück dauert, soll man mit den beiden Protagonisten mitfühlen.
Kann man, wie bei der Commedia dell’arte, dem Singspiel frei zusehen?
Nein, der Dorfplatz wird mit Bierbänken ausstaffiert und abgesperrt, es gibt Sitztickets und Stehplätze und auch Livestreamtickets.
Es ist zunächst nur eine Aufführung geplant?
Ja, wir warten die Reaktionen mal ab.
Danach muss das Team dann ohnehin das Land verlassen.
[lacht] Ja, vielleicht. Aber ich finde, es ist eher eine nette Geschichte, weniger ein Skandal.
Die Uraufführung von »Der Prätorianer« findet am 18. Juni 2022 um 17:00 Uhr live am Dorfplatz von St. Koloman und online statt: https://der-praetorianer.at/
[i] In einem späteren Telefonat bestätigte Franz Joseph Czernin gegenüber seinem Neffen die Co-Autorenschaft beim damaligen Projekt mit Ferdinand Schmatz. »Wir waren sehr jung«, meinte er nur dazu. Nachzulesen unter https://www.droschl.com/buch/die-reise/.