Tanz Baby! © Philipp Grausam
Tanz Baby! © Philipp Grausam

Crooning mit Rose im Knopfloch

30 Jahre skug ohne Schlager geht nicht. Es gab sogar einmal einen Intimreport über die Wirkungsmächte der Kastelruther Spatzen, doch wie sich David Kleinl/Kristian Musser als Tanz Baby! den Schlager aneignen, schwappt prächtig in Pop über, mit erotisierendem Bühnengebaren. Ein Text aus skug #76.

In unserer Artikelreihe »30 Jahre skug« beamen wir Textjuwelen aus alten skug-Printjournalen wieder ans Licht. Im Wonnemonat Mai Tanz Baby! aus skug #76, 2008. Gern auch mit Querverweis, um David Kleinls Front- und Showmanship-Qualitäten vorzuführen. Der Wiener Burgenländer inkarnierte auch als Solo-Act. Legendär sind einige Auftritte als Bobby Velvet und manchmal fungierte Kleinl auch als Gastsänger, etwa bei AliMuffa, der Hardcore-Band von skug-Autor Peter Kaiser. Auf YouTube findet sich z. B. ein valider Mitschnitt aus dem Escape, Wien 2009, mit Flippers »Sacrifice« in Melvins-Cover-Manier. Und bevor der Vorhang zum Artikel fällt, sei noch die Rezension des zweiten Tanz Baby!-Albums gestreut:

Originaltext in skug #76, 2008.

Schmalz artificielle

Mit Tanz Baby! bilden David Kleinl und Kristian »Mu« Musser seit 2005 eine Konzeptband mit hohem Unterhaltungswert, die überzeugend die Weisheit in der Banalität transportiert.

Laut Überlieferung hat sich das musikalische Gespann Kleinl/Musser eher zufällig gefunden: Im Rahmen einer privaten Fete wurden Schlager so überzeugend spontan interpretiert, dass die Idee zu einem ernsthaften Konzept geboren wurde. Das Resultat dieser Überlegungen kann den Kunsthochschulen-Background von David Kleinl nicht leugnen, hier ist alles bis ins Detail durchdacht: Das beginnt schon beim Cover der (in diesen Tagen auch offline erscheinenden CD »Liebe«, das direkt auf das Pet-Shop-Boys-Album »Actually« von 1987 verweist. Mit dem kleinen Unterschied, dass nicht – wie bei den Pet Shop Boys – beide Männer im Smoking abgebildet sind, sondern nur Sänger Kleinl, während Musser gähnend ein Biker-Role-Model repräsentiert. Allerdings gähnt bei den Pet Shop Boys Sänger Neil Tennant und nicht »Programmierer« Chris Lowe.

Im Gegensatz zu einem konzeptionell ähnlichen Vorläufer – der kurzlebigen Musikjournalisten-Kapelle Der Scheitel – wird bei Tanz Baby! kein Fremdmaterial pathetisch überhöht interpretiert. Die Electro-Trash-Pop-Stücke fließen zu fast 100 % aus der Feder des Multiinstrumentalisten Mu (Computer, verschlurfte Bontempi-Sounds, Gitarre). So ließe sich das Coverfoto auch als symbolisch für die bandinterne Arbeitsteilung interpretieren: einerseits der für die Drecksarbeit zuständige Zulieferer in der Working-Class-Lederjacke, anderseits der »nur« schmachtende Crooner, der sich mit schnöder Maloche die Hände nicht schmutzig machen will und als Rampensau die – nicht nur ob der möglichen Verschwitztheit – feuchten Slips der Girls einstreift. Ein mikrokosmisches Welterklärungsmodell? Möglicherweise ist das aber auch zu viel des Interpretationseifers.

Impersonator mit roter Rose
Live präsentiert sich das Duo in der gleichen »Schale«, wird fallweise von Violetta Parisini (additional Vocals bei sechs Stücken der CD) und »Mr. Beautiful Kantine« Thomas Pronai (der als Producer, Instrumentalist und Arrangeur maßgeblich am Zustandekommen des Albums beteiligt ist) an den Trommeln unterstützt. Inhaltlich – fast schon überflüssig zu erwähnen – dreht sich in den zehn Songs von »Liebe« alles um eben diese mit all ihren Vertracktheiten: Traurigkeit, Einsamkeit, Verliebtsein in die Liebe, Sehnsucht, Zweifel, eskapistische Träume vom Süden und vom Meer. Alles in sehr einfachen, beinahe parodistisch simplen Sätzen gehalten, die in ihrer Schlichtheit aber eine reduzierte, stoische Weisheit über die Banalität des Lebens allgemein und die Getriebenheit des testosterongesteuerten Mannes (vor allem im fetzigen, potenziellen Hit »Wo bist du«) im Besonderen enthalten. Alles andere als stoisch ist die Bühnen-Performance von David Kleinl, der – wir sind wieder bei den Details – mit roter Rose am Revers und großem schauspielerischem Talent in die Rolle des Great Pretenders schlüpft. Mit sonorer Olivenöl-Stimme, nach hinten geschlecktem Haar und einem R wie die rollende Landstraße (Ich bin trrraurrrrig) weiß er die Damen zu entzücken.

Liebe und Ironie
Auch dass Kleinl schwärzer als Johnny Cash in seinen letzten Jahren auf der Bühne steht und nicht etwa Weiß (wie Der Scheitel in seinen Anfängen) oder gar Rosa trägt, lässt sich als gewisse existenzielle Ernsthaftigkeit und Brüchigkeit interpretieren. Die Guildo-Horn-Schenkelklopfer-lronie ist eindeutig woanders zuhause. Bei der Liebe und damit verbundenem Glück/Unglück ist allzu plakativ eingesetzte Ironie immer heikel, weil die Gefahr, radikal missverstanden zu werden, immer im Raum steht, die erzählten Geschichten so gut wie jeden betreffen, und das aus unglücklicher Liebe resultierende Leid (und natürlich auch das Glück) mit all seinen Folgeerscheinungen – Eifersucht ist weltweit das häufigste Mordmotiv – ins Unermessliche geht. Das Modell Tanz Baby! ermöglicht dem Hörer/Konzertbesucher raffiniert die einem Vexierbild ähnliche Rezeption auf mindestens zwei Ebenen: einfach unmittelbare Hingabe und Identifikation ohne ablenkende Reflexion oder eine distanzierte, ironische Betrachtungsweise. Auf jeden Fall ist Tanz Baby! auch ein ironisches Projekt, ohne den schalen Beigeschmack, sich über jemand lustig zu machen, der man nicht auch immer selbst sein könnte.

Kunstfertige Videos
Erwähnenswert ist unbedingt die Videoproduktion des im Burgenland verwurzelten Projekts: Dabei ist Kleinl der »Hackler« und Abräumer zu gleichen Teilen, ist er doch Produzent, Regisseur, Kameramann und alleiniger Hauptdarsteller in Personalunion. Dabei kann er sein u. a. bei Peter »Ich verschlucke jedes zweite Wort« Weibel erworbenes Know-how in der audiovisuellen Mediengestaltung glänzend ausspielen: Mal in Schwarzweiß als trrrauriger Casanova im alten Motorboot (im Abspann dieses Videos hört man das grandiose »Gut sein«), dann wieder zum Schreien komisch wie ein sexsüchtiger Kokainist durch den Wiener Naschmarkt flitzend oder als Jacques-Brel-/Scott-Walker-Adept in der französischen Akustikversion des Stücks »Mein Herz« (»Mon Coeur«). Tolle Band!

Tanz Baby!: »Liebe« (Loat Edition/Karate Joe)
Release-Party Tanz Baby! & »Fleischmagazin«: 17. Oktober 2008, Rote Bar

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