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Zur Messe verkommen

Von guter Musik ist auf der diesjährigen Popkomm nur wenig zu sehen und zu hören.

Ach ja, das waren noch schöne Zeiten als die Popkomm im schönen Rheinland war. Und man einfach nur in die üblichen Kneipen und Clubs rennen musste, um seine Leute zu treffen oder ein spontanes Konzert von irgendwelcher volltrunkenen Band für lau zu hören. Manch ein Deal wurde zur nachtschlafenden Zeit geschlossen, Projekte in Angriff genommen. Doch seitdem die Musikmesse in die Hauptstadt verlegt wurde geht es eigentlich nur noch ums Geschäft. Die Messe wird immer größer und unübersichtlicher, alles scheint sich um den Downloadmarkt zu drehen, doch von neuen Bands und coolen Konzerten und dem Gefühl, dass Musik in der Luft liegt, ist nur wenig zu spüren, Geschäftigkeit und Herumrennen mit den ach-so wichtigen Akkreditierungsbändchen ist oberstes Gebot. Kaum eine Band, die man gerne sehen würde oder die zurzeit im Indie-, Alternative-, Rockbereich gerade im Gespräch ist, gibt’s auf der Popkomm zu sehen. Stattdessen erklärt die Popakademie Baden-Württemberg, an der man sich von Xavier Naidoo und anderen deutschen Pfeifen zum diplomierten Popstreber ausbilden lassen kann, dem werten Messebesucher wie Popmusik entsteht. Wohingegen im Campus-Workshop interessierte Nachwuchsjournalisten lernen können, wie man Popschreiber wird – vielleicht einfach mal öfter auf Konzerte gehen anstatt an solchen sinnlosen Veranstaltungen teilzunehmen? Alle scheinen bei der Popkomm vertreten, die Hostessen bestens instruiert, allein die Leidenschaft zur Musik scheint irgendwie zu fehlen.

Da ist die Pressekonferenz von Motor TV, einem Ableger von Motor Entertainment, das Allroundtalent Tim Renner nach seinem Abgang von Universal Deutschland ins Leben rief, ein wahrer Lichtblick für die Freunde der Musik: Denn wenn er und seine Kollegen Mona Rübsamen und Markus Kühn von ihrem neuen Herzensprojekt, dem Internet- und TV-Sender Motor TV reden, der seit dem 21. September in Berlin terrestrisch über DVB-T und übers Handy weltweit übers Netz zu empfangen ist, muss man unweigerlich an den unvergessenen Musiksender VIVA ZWEI denken. Bei dem ein Haufen von Nerds und Freaks ihre Liebe zur Musik auslebten. Ganz so skurril und abgedreht wird es bei Motor TV wohl nicht zugehen: Aber immerhin kann man, ohne jedwede Werbeunterbrechung, Musikvideos sehen, die es auf die Rotationsliste der übrigen Sender wie VIVA und MTV nicht geschafft haben, weil sie angeblich nicht massenkompatibel sind: Duels, The Pipettes oder Millencolin. Bands, die sonderbarerweise, obwohl angeblich nicht für die Masse tauglich, die Konzerthallen füllen. Doch wenn man sich die Leute anschaut, die bei der Popkomm mit einem Bändchen so durch die Gegend rennen, hat man das Gefühl, dass viele derjenigen, die entscheiden was in und out ist schon lange nicht mehr auf Konzerte gehen, sondern sich lieber wichtig auf solchen Veranstaltungen repräsentieren. Mit Musik hat das jedoch nur noch wenig gemein.

Home / Musik / Artikel

Text
Bettina Schuler

Veröffentlichung
04.11.2006

Schlagwörter

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