Mit »Ceremony II« von Georg Friedrich Haas verwandelt sich das Kunsthistorische Museum in ein Klanglabyrinth. © Markus Sepperer
Mit »Ceremony II« von Georg Friedrich Haas verwandelt sich das Kunsthistorische Museum in ein Klanglabyrinth. © Markus Sepperer

Wien Modern: Komplexe Musik für komplexe Zeiten

Seit 29. Oktober 2022 findet Wien Modern wieder an zahlreichen Spielstätten in ganz Wien statt. Leicht machen will es der langjährige künstlerische Leiter des Festivals Bernhard Günther dem Publikum nicht, auch und ganz besonders in den aktuellen Zeiten.

Krieg, Energiekrise, Prekarität, Inflation, schwindende Besucherzahlen bei Kulturveranstaltungen, drohende Budget-Querschläge und eine immer noch nicht überstandene Pandemie. Vor diesem Hintergrund findet 2022 so gut wie jedes Festival in Österreich statt. Auch Wien Modern ist bei seiner 35. Auflage selbstverständlich in diesem Kontext zu verorten und findet natürlich nicht im selbstreferentiellen Kunst-Elfenbeinturm statt. Eigentlich sei die Ist-Situation gewissermaßen ein Vorteil für die Neue Musik, wie Bernhard Günther im skug-Gespräch pragmatisch und zugleich kulturtheoretisch unterfüttert betont: »Dass sich die ganze Welt plötzlich anfühlt wie ein einziger Stresstest in Sachen Komplexität, kommt der Neuen Musik erstaunlicherweise sogar entgegen.« Denn diese beschäftige sich schon seit mehr als 100 Jahren damit, wie man mit Komplexität gelassen umgehen könne, so Günther.

27 Spielstätten von klein bis groß

Wer Wien Modern also in diesem Jahr besucht, und das lässt sich noch bis 30. November an 27 Spielstätten wie dem Volkstheater, dem Konzerthaus, dem Musikverein, dem Echoraum, dem Dschungel Wien oder dem Gartenbaukino tun, kann sich gewissermaßen mit der Komplexität anfreunden. »Komplexität muss nicht unbedingt der Angstgegner sein, sondern kann etwas sehr Schönes sein«, streicht Günther heraus. Etwas Schönes und, wie zweifellos hinzuzufügen ist, vor allem durchaus auch etwas Leichtfüßiges. So etwa zu hören bei den Konzerten des Trios Aimard/Queyras/Simpson am 19. November oder des Arditti Quartet am 28. November, die beide unter dem Motto »A simple guide to complexity« stehen. »Beide Ensembles haben sich ganz bewusst komplexe Programme ausgesucht und erzählen dabei dem Publikum auch gleich, wie sie es schaffen, diese leicht aussehen und klingen zu lassen,« verrät Günther.

Olga Neuwirth komponierte in Lockdown-Zeiten und bringt diese Werke nun bei Wien Modern zur Aufführung. © Rui Camilo/EVS Musikstiftung

Inhaltliche Bezugnahme auf die Jetztzeit

Aber nicht nur auf formell-ästhetischer Ebene ist die Neue Musik, wie sie bei Wien Modern zelebriert wird, absolut gegenwärtig und zeitgemäß. »Die Musikerinnen und Musiker verstehen sich als Teil der Gesellschaft und Gegenwart und kommentieren diese mit musikalischen und künstlerischen Mitteln«, hält der künstlerische Leiter des Festivals fest. Das tut beispielsweise ganz konkret Olga Neuwirth am 13. November. Diese komponierte vor dem Hintergrund des Konzertverbotes in der Corona-Pandemie in einer Art trotziger Selbstvergewisserung die Serie »coronAtion«. »Sie stellte dabei die Frage, wie Menschen durch die Musik wieder zusammenfinden können«, konstatiert Günther. Nicht nur mit Komplexität umgehen lernen könne frau und man also, sondern »gemeinsam mit den Musikerinnen und Musikern darüber nachdenken, was in der Corona-Vereinsamung von 249 Tagen Veranstaltungsverbot passiert ist und welche Auswirkungen das hat und noch haben wird«. Denn es ist laut Günther noch längst nicht alles beim Alten: »Wenn der eigene Motor so lange stillsteht, dann läuft dieser einfach nicht mehr so wie zuvor.«

Vielfalt und Gegenwartsbezug

Dadurch, dass der Motor von vielen Menschen, aber auch im Kulturbereich und in der Gesellschaft als Ganzes aktuell nicht mehr wie vor der Pandemie laufe, ließe sich auch einiges hinterfragen, mein Günther. »Das ist eine gute Gelegenheit, um Neue Musik auf die Bühne zu bringen, die immer schon einen kritischen Blick auf Gewohnheiten, Traditionspflege und Routinen hatte.« Dass das so ist, wolle man auch an der musikalischen Vielfalt und an der Vielzahl künstlerischer Ausdrucksmöglichkeiten zeigen. »Niemand will fünf Wochen Musik hören, die immer gleich klingt«, sagt Günther salopp. Das Festival wolle »möglichst viele Öffnungen schaffen« und auch neues Publikum ansprechen: »Da gibt es etwa den Jungspund-Club für Menschen unter 27.«

Highlights in diesem Jahr

Ein absolutes Highlight in diesem Wien-Modern-Jahr verspricht, unabhängig von Alter und Lernwillen, »A House of Call« von Heiner Goebbels zu werden. Am 19. November gibt es dieses groß angelegte Werk zwischen Bühnenstück, Stimme, Orchester und Bigband im Volkstheater zu erleben. Ein weiterer großer Name der Neuen Musik, Georg Friedrich Haas, ist mit einer außergewöhnlichen Uraufführung am 20. November zu Gast. Mit »Ceremony II« steht ein Werk auf dem Programm, das aus einem Kompositionsauftrag von Wien Modern entstanden ist. Dabei verwandelt sich das Kunsthistorische Museum in ein frei begehbares Klanglabyrinth, in dem Instrumente aus sechs Jahrhunderten mit den Gemälden in einen Dialog eintreten. Tickets und das vollständige Programm von Wien Modern finden sich auf der Website https://www.wienmodern.at.

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