V. l. n. r.: Katharina Fennesz, Regina Fisch und Mona Matbou Riahi © Victoria Nazarova
V. l. n. r.: Katharina Fennesz, Regina Fisch und Mona Matbou Riahi © Victoria Nazarova

Wake-up-Call für den Jazz

Im Reaktor Hernals findet am 27. und 28. Oktober 2023 nach Come Play Me am 10. Juni und Play Date am 29. September Playground, der dritte Termin der De/semble Veranstaltungsreihe, statt. Ein Bericht von einem der spannendsten Jazz-Event-Newcomer des Jahres und ein Ausblick aufs Festivalwochenende.

Bei De/semble trifft Avant-Pop auf Contemporary-Jazz, Neo-Soul-Grooves werden von Industrial-Klängen (und -Bildern) abgelöst. Was sich nach einer wilden Mischung anhört, ist der Wille zur Wiederbelebung des Jazz als Versuchsfeld und Ausgangspunkt für neue Musik. 

Anliegen des dreiköpfigen Teams aus Regina Fisch, Mona Matbou Riahi und Katharina Fennesz ist es, Künstler*innen unterschiedlichster Szenen und Prägungen zusammenzubringen und so dem unter Umständen etwas verschlafenen Jazz-Festival einen neuen Anstrich zu geben. Klischees eines männlich dominierten und akademischen Jazz sollen dabei aufgebrochen und innerhalb der jeweils für sich stehenden Veranstaltungen unterrepräsentierten Instrumenten wie Künstler*innen eine Plattform für ihre Musik und Konzepte gegeben werden. 

Der Dialog des Jazz mit Medienkunst und Clubszene zog zumindest beim Play Date am Freitag, dem 29. September 2023 nicht nur die stereotypen Jazz-Nerds an. Die Veranstaltung im Theater Nestroyhof/Hamakom war ein richtig guter Konzertabend, auf dem das Publikum so lieb war, wie die Acts es sind. Mit Playground stellt das De/semble Team jetzt das erste Festivalwochenende mit verschiedenen Bühnen im Reaktor Hernals auf die Beine. Anlass für einen Bericht vom Play Date und einen Ausblick auf das Line-up von Playground am 27. und 28. Oktober 2023.

Well Behaved bei ihrem ersten Live-Set auf der Bühne des Theaters Nestroyhof/Hamakom © Amin Ebrahimi

Play Date zwischen Fusion und Lasershow

Beim Play Date am 29. September 2023 im Theater Nestroyhof/Hamakom hatte das Trio Well Behaved seinen ersten Publikumsauftritt. Mina Franzke (Bass/Rap), Toby Fallenger (Piano/Synthesizer) und Maximilian Erler (Drums) spielen eine groovige Mischung aus Jazz und HipHop. Gerade arbeiten sie an einer gemeinsamen EP. Live haben die drei jedenfalls ungemein gut zusammen gevibet. Mina Franzke stand bei Play Date im Übrigen auch als Rapperin zum ersten Mal auf der Bühne.

Was mit einer konventionellen Besetzung aus Trompete und Saxophon alles möglich ist, zeigte das Live-Konzept des sweetlife quartet mit Yvonne Moriel (Saxophon), Stephanie Weninger (Keys & Synth Bass), Raphael Vorraber (Drums) und Lorenz Widauer (Trompete). Saxophonistin Yvonne Moriel changierte zwischen gefälliger Melodie und flächigen Klangbildern unter Einbezug eines im Kabelgewirr verschwindenden Effekt-Racks, wie ich es bisher nur von Shoegaze-Bands kannte. 

Nach dem tranceartigen Arrangement von Damsel Elysium, das Vocals und Spoken Word mit Live-Samples und Kontrabass mischte, schlossen Gischt und BR Laser das Play Date mit einer Synthese aus Industrial Techno und Lasershow. Alle, die dabei an Bildschirmschoner von alten iMacs denken, haben nicht gesehen und gehört, was Ursula Winterauer und Bernhard Raisinger an diesem Abend inszeniert haben. Durch die auf zwei Leinwände projizierten Laser wurde die Musik von Gischt sichtbar und in dieser Sichtbarkeit ein anderer als der rhythmische Zusammenhang in den Soundscapes der Künstlerin. Schwebend und dann wieder zäh unterbrochen hatte das Ganze etwas von fünfdimensionalem Wolkenschauen. 

Gischt und BR Laser © Amin Ebrahimi

Playground am Freitag, dem 27. Oktober

Verglichen mit dem Theater Nestroyhof bietet der Reaktor in Hernals mit seinen drei Live-Locations Kinosaal, Bibliothek und Großer Saal noch einmal ein deutliches Plus an Möglichkeiten für ein Jazz- und Experimental-Festival. Parallele Slots wird es am Freitag, dem 27. Oktober, und Samstag, dem 28. Oktober 2023 nicht geben. Vielmehr haben alle Künstler*innen hier die ungeteilte Aufmerksamkeit. 

Regina Fisch von der Festivalleitung beschreibt das Playground als »eine Reise durch den Reaktor und die verschiedenen Klänge«, die aus den Räumen herausgeholt werden können. Auch audiovisuelle Projekte werden wieder aufgeführt, vermutlich aber ganz anderer Art als die vergangene Performance von Gischt und BR Laser im Theater Nestroyhof. Am Freitag kollaborieren der Sound- und Videokünstler Patrick K.-H. und das Electronic-Duo Rdeča Raketa (Maja Osojnik und Matija Schellander) im Kinosaal als künstlerischer Abschluss des ersten Festivalabends. 

Eröffnet wird der Freitag im Reaktor von Sofia Labropoulou an einem Kanun zusammen mit Komponist Alireza Toghiyani in der Bibliothek. Es folgen Saxophonistin Anna Tsombanis solo und das Live-Konzept Dance of Gentleness von Miriam Adefris (Harfe/Effekte), Lukas Kranzelbinder (Kontrabass/E-Bass) und Mona Matbou Riahi (Klarinette/Effekte). Riahi ist im Übrigen auch als Kuratorin für De/semble tätig.   

Nach einem griechisch/ottomanischen Klangspektrum, das die von Labropoulou gespielte Kanun erwarten lässt, also konventionelle Jazz-Besetzungen im Großen Saal. Dass das jeweilige Aufgebot von Instrumentalist*innen allein aber noch lange keinen Aufschluss über die Musik geben kann, hat das Play Date eindrücklich gezeigt – es bleibt also spannend. Zumal Labropoulou und Toghiyani gemeinsam zum ersten Mal auf der Bühne stehen. Dance of Gentleness hatten bereits ein Debüt in kleinerem Rahmen. Der Auftritt bei Playground wird ihr zweiter sein.

Lukas Kranzelbinder, Miriam Adefris, Mona Matbou Riahi © Apollonia Theresa Bitzan

Playground am Samstag, dem 28. Oktober

Thema konventionelle Jazz-Besetzungen und was mensch daraus machen kann: Den Auftakt zum Samstag gibt das Judith Ferstl Bass Ensemble. Neun Kontrabässe werden gemeinsam in der Bibliothek im Reaktor Hernals spielen. Wer sich ein Bild machen will, muss hingehen: Das neunköpfige Ensemble arbeitet stetig mit neuen Musiker*innen. Eine Bühne wird es für diesen Act außerdem nicht geben, das Publikum befindet sich bei Playground inmitten der Performance des Judith Ferstl Bass Ensembles. 

Ebenfalls in der Bibliothek folgen die beiden im Iran geborenen Künstlerinnen Avin Ahmadi (19) und Morvarid Tahmasbi (23). Sie werden Oud und Kamantsche spielen, letztere eine traditionell im iranischen und aserbaidschanischen Raum verbreitete Geigenart. Ahmadi hat bereits am Teheraner Musikkonservatorium studiert und setzt ihr Studium gerade in Wien fort. Tahmasbi lebt derzeit ebenfalls in Wien, studiert Media Music und rückt Improvisationen in das Zentrum ihres Kamantschespiels. 

Im Großen Saal geht es elektronisch weiter. Das Duo Pamelia Stickney und Georg Vogel führt mit einem Thermin an die Ursprünge der Synthies in den 1920ern zurück. Zusammen traten sie in diesem Jahr schon einmal in der Alten Schmiede des Kunstverein Wien auf. 

Beendet wird das offizielle Programm von Playground durch Farce zusammen mit Viola Hammer und Beate Wiesinger. Eine »spannende Begegnung«, auf die sich auch Organisatorin Regina Fisch besonders freut. Während Farce bereits auf großen Festivals gespielt hat und ihre Musik nicht unmittelbar an Jazz denken lässt, sind Komponistin und Pianistin Viola Hammer und Bassistin Beate Wiesinger im Contemporary Jazz ziemlich gut etabliert. Wie Avant-Pop Electronics mit Contemporary fusionieren werden, erfahren wir dann. 

Avin Ahmadi & Morvarid Tahmasbi © Azin Seraj

Das Playground Festival findet am 27. und 28. Oktober 2023 im Reaktor in Hernals jeweils ab 19:00 Uhr statt. Kleinere Änderungen im Programm sind noch vorbehalten. Tagestickets oder Festivalpässe gibt es auf der De/semble Website zu erstehen. Dort ist auch mehr zum Programm von Playground und den vergangenen Veranstaltungen Play Date und Come Play Me zu erfahren.

Link: https://www.de-semble.at/ 

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