Das weisse Pferd, Foto: Sabine Kuhn
Das weisse Pferd, Foto: Sabine Kuhn

Unterwegs in Sachen Verwirrung

Veränderung als einzige Konstante: Die Münchener Band Das Weiße Pferd mauserte sich vom Zwei-Mann-Projekt zur achtköpfigen Rockband, die dort weitermacht, wo Kamerakino einst aufhörten. Ein Gespräch mit Sänger und Texter Pico Be.

Man könnte jetzt die Geschichte erzählen von Marokko, von dieser fünfwöchigen Reise, die Pico Be, den Sänger von Das Wei&szlige Pferd, von Tanger, nach Rabat und von Casablanca nach Essaouira führte, durch karge Steppen und brodelnde Städte, »Everybody Knows This Is Nowhere« von Neil Young and Crazy Horse auf Repeat. Mitsamt möglichen Parallelen der nordafrikanischen Westküste zur US-Westcoast, Gedanken an die Musikszene von Laurel Canyon und L. A. anno ’69 und zu den Cowboy- & Freiheitsbildern in den Spätwestern dieser Zeit, Erinnerungen an eine Kindheit nahe der Pferderennbahn Riem und darüber, wie diese Reise ihn und Mitstreiter Albert Pöschl zu einem Album über Freiheit, Liebe und Abenteuer inspiriert hat. Viel würde das aber nicht mehr bringen, denn zu viel ist seither passiert, in den arabischen Ländern und im Rest der Welt, und auch Das Wei&szlige Pferd ist schon wieder etwas ganz anderes. Es ist vom Duo mit Sessionmusikern zur achtköpfigen Rockband mutiert, vom staubigen »Western, der durch die Stadt läuft« zum Pop-Kraken, der seine Tentakel nach allen Richtungen ausstreckt. Geblieben ist das Grundmotto von Pico Be: »Ich bin froh, wenn ich’s irgendwie schaffe, Verwirrung zu stiften!«

Bezugssystem Pop
Auf »San Fernando«, der ersten Platte der Band, mischte sich überdrehter Rock’n’Roll mit Dreampop, Drum Machines koppelten sich mit Geigen, gro&szlige Melodien mit kauzigen Klängen. In assoziativen Texten, auf Deutsch, Spanisch und Englisch, erschuf Pico Western-Miniaturen und sang Liebeslieder. Schön verschroben und seltsam war das alles. Und so gar nicht wie die glattgebügelte und perfektionistische Masse der Popmusik dieser Tage.

Verbindungen suchen
Vielleicht tragen auch die unterschiedlichen Kontexte, in denen sich die einzelnen Band-Mitglieder sonst so bewegen, ob im Theater, in der Kunst oder der Literatur, dazu bei, dass bei Das Wei&szlige Pferd wie schon bei Kamerakino immer wieder derart eigenartige Musik herauskommt. Oder die vielen Verbindungen zu anderen Musikern und Künstlern auch au&szligerhalb Münchens: So organisierte Pico zuletzt eine Lesung mit dem New Yorker Beatnik-Autor und Performer John Giorno. Der nächste Gast wird Wolfgang Müller sein, der bei Die Tödliche Doris und den Genialen Dilettanten einige der experimentellsten und verrücktesten Musik- und Kunststücke der 1980er Jahre machte. Nennen könnte man auch die Verbindungen zu Hans Platzgumer oder zu Alvaro Peña Rojas, zusammen mit Joe Strummer Begründer der Pubrock-Band The 101’ers und seit über drei&szligig Jahren als so unabhängiger wie eigentümlicher Solokünstler unterwegs. Das Album »Kamerakino«, von dem im Folgenden auch die Rede sein wird, erscheint frühestens im Herbst, der Song »Fahrheim« schon im Juli auf der Compilation-LP »Rock ’n‘ Roll People« (zu beziehen über yodelinpiko@gmail.com)

sanfernando.png
skug: Pico Be, die neue Platte soll den Namen »Inland Empire« tragen, wie schon beim ersten Album »San Fernando« eine Ortsbezeichnung …
Pico Be:
Das war die damalige Idee, die Platte wird jetzt aber »Kamerakino« hei&szligen. Es gab eine ziemlich lange Diskussion, ob wir den Bandnamen Das Wei&szlige Pferd überhaupt beibehalten sollten oder uns wieder Kamerakino nennen.

Auch weil der Name schon etwas bekannter ist? Kamerakino, die ehemalige Band immerhin der Hälfte von Das Wei&szlige Pferd, hatte zehn Jahre auf dem Buckel und war schon, auch mit etwas Hilfe der befreundeten Franz Ferdinand, über die Grenzen Münchens hinaus bekannt.
Auch deswegen. Und auch weil die neue Platte mehr in Richtung Kamerakino geht, mehr da anknüpft, wo Kamerakino mit »Munich Me Mata« waren, als an »San Fernando«. Die Stücke von »San Fernando« hatten etwas Dreampoppiges für mich. Ich hab’s immer Aquariumsmusik genannt, weil es so etwas Verschwurbeltes hatte, von der Soundästhetik her. Und die Stücke von Kamerakino hatten immer eine viel, viel klarere Soundästhetik, viel aufgeräumter, gleichzeitig aber eckiger, klobiger und kantiger. Und ich glaube, die neuen Stücke von Das Wei&szlige Pferd sind auch wieder kantiger als die Stücke auf »San Fernando«. Wir sind auch thematisch weg von dieser Wildwestromantik, von diesem Westcoast-1969er-Ding, das ist bei der neuen Platte eigentlich gar nicht mehr drin. Für mich ist es also eher eine Fortsetzung der Arbeit von Kamerakino. Deshalb die ?berlegung, das Album so zu nennen, wie die Band vorher hie&szlig. Damit verweigern wir uns automatisch auch diesem selbstgeschaffenen Bedürfnis, so eine Das-Wei&szlige-Pferd-Ästhetik, zu der wohl auch dieses Wildwest-Ding gehörte, zu bedienen.

Sowohl Kamerakino als auch Das Wei&szlige Pferd haben sich immer durch experimentelle Musik ausgezeichnet, wie schafft ihr es immer wieder neue Richtungen einzuschlagen?
Es ist diesmal vor allem die organisatorische Entwicklung, dass wir jetzt eben eine Band sind, die wir bei der ersten Platte gar nicht waren. Dass wir versuchen, die Möglichkeiten auszuschöpfen, die wir als Acht-Mann-Band haben, zu schauen, was man mit dem Zusammenspiel machen kann, mit den Konstanten, dass wir jetzt zum Beispiel eine Marimba haben oder Joe Masi am Keyboard. Es ist auf jeden Fall schon der Versuch, sich als Band zu behaupten, zu sagen, wir sind acht Leute und nicht ein Duo mit Session-Musikern. Für mich spielt da auch so ein Kraut-Ansatz mit herein.

Der Gedanke, keine klassische Rockbesetzung zu haben?
Ja, genau. Was ich an Bands überhaupt oder auch an Bands aus Deutschland der letzten drei&szligig, vierzig Jahre am interessantesten finde, ist eigentlich diese Krautrock-Sache. Das waren so Bands, die wirklich versucht haben, neue Wege zu gehen. Klar, die Punk- und New-Wave-Bands auch, aber eigentlich auch nur, weil sie sich auf die Kraut-Leute bezogen haben, zumindest die interessanteren Bands aus der Zeit. Aber wir versuchen schon so eine Verbindung herzustellen, wir sind schon Teil von diesem Pop/Rock-Ding.

So als Einordnungs- bzw. Wahrnehmungssache, auch als Abgrenzung zur Avantgarde?
Auf jeden Fall. Uns ist lieber, im Popkontext zu stehen als im Art-School-Kontext. Wir möchten keinen elitären Ansatz vertreten. Pop ist erstmal ein sehr sympathisches Wort, wie Folk oder populäre Musik, wie Gebrauchsmusik. Das, was halt für alle da sein sollte, was man nehmen kann, womit man was anfangen kann, weil’s irgendwie was erzählt, das zur Zeit passt, zur Existenz in unserer Kultur. Da nicht ins Politische zu kommen, ist halt schwierig.

Politisch ist ja sowieso alles, egal ob es sich jetzt politisch gibt oder nicht.
Eben, klar. In einer ersten Phase, als ich angefangen hatte, neue Songs zu schreiben, hatte ich sogar das Anliegen, mich ganz explizit politisch zu äu&szligern. Auch weil ich für einen kurzen Moment den Eindruck hatte, dass so eine Notwendigkeit besteht, gewisse Sachen klarzustellen. Mittlerweile bin ich davon aber wieder gänzlich abgerückt. Die Welt ist zurzeit derma&szligen politisch aufgeladen, dass es überhaupt keinen Bedarf gibt, da noch mehr Politik reinzubringen. Die letzten Monate waren eine hochspannende Zeit: die Entwicklungen in den arabischen Ländern, die Occupy-Bewegung, Proteste in Spanien, die ganze Welt ist am Brodeln. Ich sehe die Funktion einer Musikgruppe nicht gerade darin, daraus jetzt Kapital zu schlagen oder den Leuten irgendeine Botschaft mitzugeben, das wäre mir zu populistisch. Mich interessiert vom Thema her ja auch eher das, was nicht da ist, also zu schauen, was fehlt. Ich bin jedenfalls überhaupt nicht daran interessiert, durch Projekt Das Wei&szlige Pferd irgendwie politisch Stellung zu beziehen. Ich will auf keinen Fall Leute in ihrer politischen Haltung bestärken, weil ich das erstmal für eine Verkrampfung halte. Vielleicht ist das meine politische Haltung.

Vier der acht Leute vom Wei&szligen Pferd waren vorher bei Kamerakino, die erst bei Gomma und dann bei Echokammer veröffentlichten, und praktisch alle haben noch andere Projekte, die zum Teil bei Echokammer erscheinen. Ist das Echokammer-Umfeld eine Art Szene?
Die Echokammer ist eine Welt für sich, das ist auch ein bisschen ein Mythos. Es ist ja bei vielen kleinen Labels so, dass man, sobald man hinter die Kulissen schaut, merkt, dass die kleine Welt noch viel kleiner ist, als man angenommen hatte.

Und das trifft auch auf Echokammer zu: Es gibt wahrscheinlich doppelt so viele Bands und Projekte, wie es Leute gibt.
Jaja, das auf jeden Fall. Aber das ist ja auch das Schöne und Konstruktive, dass es sich immer wieder in verschiedene Richtungen neu verästelt.

Im Gegensatz zu Kamerakino ist das Wei&szlige Pferd, wenn man so will, eine reine Männerband. Wie kommt es, dass diesmal keine Frauen dabei sind?
Ja gut, der weibliche Teil, der bei Kamerakino noch dabei war, ist im Zuge von Erfolg praktisch weggebrochen. Das war schon ein Grund, dass es nicht weiterging, weil es eben zeitlich nicht drin war. Dass wir jetzt nur Männer sind, hat sich so ergeben, das war keine strategische ?berlegung. Ich bin immer dankbar gewesen, auch mit Frauen in einer Band spielen zu können, das fand ich immer absolut bereichernd und spannend, aber jetzt hat sich’s halt so ergeben.

Unlängst seid ihr auf dem München Festival aufgetreten. Dort wurde ja auch versucht, mal zu zeigen, was es in München alles so gibt.
infantmunich.pngWobei ich das Konzept dieses Festivals nicht ganz verstanden habe. Ich mag diesen Ansatz so einer Leistungsschau nicht. Der Name »München Festival« war mir auch zu sehr lokalpatriotisch angehaucht. Ich fand das nicht so geglückt, gerade weil sich bei dem Ansatz dann auch immer Leute ausgeschlossen fühlen dürfen. Es gibt ja noch unzählige andere Leute aus München, die nicht dabei waren. Wo waren Gutfeeling Records, wo waren Express Brass Band? Ich hatte F.S.K. gefragt, aber das hat nicht geklappt, weil sich Thomas Meinecke das Handgelenk gebrochen hatte. Man kann jedenfalls nicht sagen, da waren jetzt alle guten Leute da, das finde ich einen etwas vermessenen Anspruch. Es ist auch nicht der richtige Weg, um zu einer konstruktiven, lebendigen Szene zu finden. So etwas sollte eher organisch passieren, mit der Zeit.

Das Wei&szlige Pferd: »San Fernando« (Echokammer 2010)
V. A. : »Infant Munich Hits Rock Bottom« (DoLP Compilation, Echokammer 2010)

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Text
Hardy Funk

Veröffentlichung
19.09.2012

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