Die Anfänge der Aquarellmalerei von Heribert Mader, einst Schüler von Albert Paris Güterloh und Herbert Boeckl, beschreibt der Galerist Carl Aigner so: »Begonnen hat es im und mit dem Wehrgraben in Steyr, wo Mader im Zusammenhang mit der historischen Rettung dieses einmaligen industriellen Grabens in den 1970er-Jahren immer wieder dieses quasiurbane Gebiet malte und so nachdrücklich seinen künstlerischen Beitrag zur Erhaltung und Sanierung dieses einzigartigen architekturhistorischen Ambientes leistete. Dabei fand er zur Technik des Aquarells, da ihm diese das Arbeiten vor Ort im Gegensatz zur Malerei, speziell der Ölmalerei, wesentlich erleichterte. (…) Das Sujet Stadt fungiert bei Mader letztendlich als Weltbild im Sinne dessen, dass die Welt als Bild erst künstlerisch zum Vorschein kommt. In dieser Hinsicht ist Formfindung Weltfindung und Weltfindung Formfindung.«1 Die Stadt Steyr reflektiert im Rahmen der oberösterreichischen Landesausstellung »Arbeit, Wohlstand, Macht« heuer intensiv ihre facettenreiche und von Extremen geprägte Geschichte. skug hat den bald 85-jährigen Künstler Heribert Mader, mittlerweile ein Wahlwiener, um ein kurzes Interview und um Stadtimpressionen in Form einiger ausgewählter Aquarelle gebeten …
skug: Was hat Ihre Liebe, Ihr Interesse für Kunst geweckt?
Heribert Mader: Das Interesse für Kunst war immanent vorhanden. Mit 15 Jahren richtete ich mir in meinem kleinen Zimmer ein Atelier ein. Ich malte Bilder und wurde deshalb im Gymnasium wesentlich schlechter.
Welche Rolle spielt Musik in Ihrem Leben?
Musik begleitete mich ein ganzes Leben lang. Ich spielte ganz gut Klavier, was ich jetzt nicht mehr kann, weil ich die Noten nicht mehr sehe.
Wie haben sich die Herangehensweisen über die Jahre verändert, wann haben Sie das Landschafts- und Städtebild als Sujet für ihr künstlerisches Schaffen entdeckt?
Der Zeitpunkt der Sujet-Veränderung ist nicht mehr eruierbar. Ich arbeitete immer figurativ und plötzlich entschloss ich mich, das Städtebild zum Inhalt meiner Arbeit zu machen.
Bei der Technik des Aquarellierens könnte man ja sagen, dass die Präzision in der Unschärfe liegt. Was macht für Sie den Reiz dieser Technik aus, wann haben Sie sich für diese Technik zu interessieren begonnen? Warum sind Ihre Aquarell-Bilder von Städten menschenleer?
Das Aquarell verlangt genaue Planung und eine gewissenhafte Vorgangsweise. Es reizte mich, in dieser Technik zu einer Meisterschaft zu gelangen. Walter Koschatzky bezeichnete mich im 4. Band seiner »Kunstgeschichte« als einen der besten Aquarellisten der Gegenwart. Die Tradition der Aquarellmalerei geht bei mir Jahrzehnte zurück. Die Bilder sind menschenleer, weil ich der Überzeugung bin, dass Menschen Schicksale haben und dadurch die Malerei zu literarisch wird.
Sie haben die Stadt, vor allem Steyr, als Motiv oft verwendet und dadurch ihre jahrhundertealte Schönheit spürbar gemacht. Warum wurde Ihrer Meinung und Erfahrung nach in den 1970er-Jahren so viel »umgebaut« in Steyr? Wer unterstützte Sie beim Verhindern der Zerstörung des Wehrgrabens und bei der Verhinderung des Abrisses des Schiffmeisterhauses?
Die Motive der Stadt reizten mich zu bildhafter Aussage. Wehrgraben und Schiffmeisterhaus sind leidvolle, aber zu guter Letzt erfolgreiche Aufgaben gewesen. Der Kampf um den Wehrgraben dauerte zehn Jahre. Erst war ich ein einsamer Rufer in der Wüste, allmählich scharrte ich Sympathisanten um mich, letztlich gründete ich einen Verein und blieb siegreich. Dabei stellte sich heraus, dass es ein Kampf wurde zwischen dem regierenden Bürgermeister und mir. Bei all dem musste ich darauf achten, dass mir mein Engagement nicht zum Verhängnis wurde. Immerhin war ich noch Lehrer und mein Direktor sozialistischer Gemeinderat. Meine Tätigkeit im Kampf um den Steyrer Wehrgraben füllte mich ganz aus und zeigte mir die Grenzen meiner Leistungsfähigkeit. Die Presse jedoch war mir wohlgesonnen, ein Redakteur nannte mich »das Gewissen von Steyr«.
Der 1982 gegründete Verein Museum Arbeitswelt konnte 1987 in historischen Fabrikhallen die Ausstellung »Arbeit, Mensch, Maschine. Der Weg in die Industriegesellschaft« ausrichten. Das Museum Arbeitswelt ist mittlerweile eine renommierte Institution, das einzige Arbeitsmuseum Österreichs, ein vitales, kulturelles Zentrum des Wehrgrabens in Steyr. Welche Bedeutung hat dieses Museum für Sie? Werden Sie die oberösterreichische Landesausstellung »Arbeit, Wohlstand, Macht« besuchen, die ja auch zum Teil im Museum Arbeitswelt zu besichtigen ist?
Das Museum Arbeitswelt war auch für mich in seiner Bedeutung der richtige Weg. Die Landesausstellung »Arbeit, Wohlstand, Macht« werde ich demnächst besuchen.
Sie leben und arbeiten nun in Hinterbrühl und in Wien. Welche Erinnerungen, Gedanken haben Sie, wenn Sie an Steyr denken?
Ich war leidenschaftlicher Bürger von Steyr und fand dieses Umfeld als eine der schönsten städtebaulichen Entwicklungen. Für mich ist Steyr eine der schönsten Städte der Welt. Die Lage an den Flüssen. Das landschaftliche Umfeld von seltener Schönheit.
Sie wurden in Steyr geboren und waren lange Jahre in dieser Stadt tätig. Was hat Sie veranlasst nach Wien zu gehen?
Wien war seit langem ein Sehnsuchtsort, meine Frau arbeitete im Kunsthistorischen Museum und deshalb war eine Übersiedlung schlüssig. Ich habe sie nie bereut.
Wie schätzen Sie die aktuelle Situation der bildenden Künstler*innen in Wien und Steyr ein? Was sind Ihrer Meinung nach die größten Unterschiede zwischen Steyr und Wien, sehen Sie auch Parallelen?
Ein Urteil über die Künstler in Steyr und Wien steht mir nicht zu.
Unterrichten Sie nach wie vor?
Ich leite gelegentlich Malkurse, die Großteils von der Farbenlaube Gerstecker in Dornbirn organisiert werden. Der Malkurs in Venedig 2022 wird mein letzter sein.
Ein gekürztes Vorwort über den Steyrer Wehrgraben von Heribert Mader2 aus den 1990er-Jahren, als Plädoyer für einen sensiblen Umgang mit geschichtsträchtigen Bebauungsstrukturen im 21. Jahrhundert:
»Wer heute durch den Wehrgraben geht, (…) denn schon längst ist der Wehrgraben nicht nur neuer Lebensraum, sondern auch eine Touristenattraktion geworden ‒ bemerkt überall pulsierendes Leben. (…) Sogar ein Museum wird eingerichtet mit bislang in unseren Breiten ungewöhnlichen Objekten: Wasserrad, Dampfmaschine, Elektromotor, Quellen der Energie verschiedener Zeiten, Zeugen der Arbeit und der Lebensumstände der Arbeiter, Zeugen der Kultur des schwer arbeitenden Volkes, dem die Stadt Steyr ihren Aufstieg verdankt ‒ auch ihren Ruf als eine der schönsten Städte des Landes, vielleicht Europas.
Auch hier im Wehrgraben sind es nicht repräsentative Bürgerhäuser oder herrschaftliche Prachtbauten, hier ist alles viel kleiner, intimer, hier lebten die (…) Handwerker, die stolz waren auf ihre Erzeugnisse. Und ist ein Gebäude größer, ist es eine Fabrik aus der Zeit der frühen Industrialisierung. Mit wenigen Unterbrechungen reihen sich Fabriksbauten, Handwerkerhäuser und Arbeiterwohnhäuser aneinander. Die nach der Verlegung der Industrie aufkommende Armut ließ das meiste so, wie es war. So ist der Steyrer Wehrgraben ein Architekturmuseum ersten Ranges mit Bauten vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert und das beste Beispiel einer frühen Industrielandschaft.
Und dann noch das Wasser: Mitten durch diese Gegend rinnt, aufgefächert in mehrere Arme, klares Wasser höchster Güteklasse. Gerade der Wehrgrabenkanal, ein halbes Jahrtausend alt, ein Meisterwerk früher Ingenieurkunst, bildet zusammen mit den ihn begleitenden Häusern eine städtebauliche Einheit mit ganz besonderem Reiz. Das geringe Verkehrsaufkommen, die gute Besonnung und reichliche Durchgrünung vervollständigen die Lebensqualität dieses Stadtteiles.
Es ist noch gar nicht so lange her, da schien dies alles verloren, und viele, die die Ereignisse (…) verfolgt haben, können es noch gar nicht glauben, so sehr grenzt es an ein Wunder, dass es ihn noch gibt ‒ den Wehrgraben. Grundstücksverwertung, nimmermüder Fortschrittsglaube, der Ruf nach Modernisierung hätten diesem Denkmal der Arbeit fast ein Ende bereitet. Die Arbeiterstadt Steyr hätte einen Teil ihrer Geschichte ausgelöscht. Man glaubte, nur durch die Zerschlagung der gewachsenen, kleinteiligen Strukturen könne ein moderner Stadtteil mit neuen Bauten entstehen. Mit dem Wehrgrabenkanal hätten man den Anfang gemacht. Wäre dieser einmal zugeschüttet gewesen, hätten die angrenzenden, vorwiegend auf Holzpfählen errichteten Häuser nur mehr ihr Ende erwarten können. (…)
Lassen wir die schaurige Vision! Dank des Widerstandes derer, die etwas weiter dachten, und dank der Liebe zu diesem Stadtteil, von dem viele überzeugt waren, dass er zur Tradition und zum unverwechselbaren Erscheinungsbild unserer Heimatstadt gehört, blieb der Wehrgraben erhalten. Die Unterstützung der Wissenschaft aus dem In- und Ausland und zuletzt der Spruch der Denkmalbehörde gaben den letzten Ausschlag.«
1 Carl Aigner, in: Karrer, Siegfried (Hg.) (2004): »MADER paris«. Verlag Galerie Weihergut, Salzburg.
2 Heribert Mader, in: Stögmüller, Hans (1992): »Wehrgraben, Führer durch Geschichte und Arbeitswelt«. Verlag Ennsthaler, Steyr.
Weitere Literaturempfehlung:
Wippersberg, Walter (1983): »Der Wehrgraben in Steyr – Ein Essay und 138 Fotografien«. Verlag Ennsthaler, Steyr.