David Bowie und Freddie Mercury © YouTube
David Bowie und Freddie Mercury © YouTube

Um boom ba be

Aktuelle Politik reibt sich an einem tiefsitzenden Identitätsproblem auf. Vom Irrtum der Identität könnte sich Pop allerdings spielend befreien. Bei der Schulung zur Nicht-Identität wird gleich auch mit gewissen metaphysischen Vorurteilen aufgeräumt. Der nächste Beitrag zur Serie »Musik und Politik«.

»Warum hörst du dir Musik an, deren Sprache du nicht verstehst?« Diese naseweise Frage meines sechsjährigen Sohnes ist leicht zu beantworten. Leider mag die kleine Kröte sich die folgenden, äußerst kurzweiligen Ausführungen zum aristotelischen Verhältnis von Stoff und Form nicht anhören. Gut, dann eben nicht, hier ein anderer Versuch: David Bowie wurde von der Band Queen dazu genötigt, auf ihrem verkorksten Album »Hot Space« zu singen. Sie trafen sich in Montreux und die Sache war ziemlich zäh. Bowie hatte keinen Bock auf den Kram, den er singen sollte, und ließ die Bänder wieder löschen. Dennoch verabredeten sie sich abends, um im Aufnahmestudio zu jammen. Welcher Poplegende man nun glauben mag, ist unerheblich, entweder der Bassist Roger Deacon oder der Sänger Freddie Mercury kam auf den Lauf, den jedes Kind kennt: »Dum dum dum du du dum dum« (sechsmal ein D und einmal ein A). Tausendfach gecovert und der fesselnde Einstieg zum Bombastschwulst des Songs »Under Pressure«. Plötzlich war die Stimmung im Studio gut. Sehr gut sogar und die beiden Figaros Bowie und Mercury legten gewaltig los, sie trällerten um die Wette und noch am gleichen Abend war der komplette Song im Kasten. Die beiden hatten allerdings »nur« improvisiert und so schöne und unvergessliche Liedzeilen geschaffen wie »Um boom ba be« oder »E de da«, beziehungsweise das unnachahmliche »Ee do da do e da da ba bap – Um bo bo belap«, das kurz vor dem Schmelzen der Tanzfläche erklingt. Betroffen schauten sich die Musiker an. Der Song war eine Wucht, nur ein Text musste auch noch her. Allein mit der bedeutungslosen Phantasiesprache würde die Nummer in den Charts nicht zünden. »Geht schlafen«, meinte Bowie, »ich mach das schon«.

Terror der Gewissheit
Am nächsten Morgen stand Bowie auf der Matte mit: »It’s the terror of knowing what this world is about / watching some good friends screaming let me out«. Den anderen gefiel’s und plötzlich war das improvisierte Formenspiel ein inhaltschwerer Schmerzensschrei. Vielleicht war er es zuvor auch schon gewesen. Schließlich wollte sich die Rockband ihre Blockade aus dem Hals brüllen. Den ganzen miesen Druck, schon wieder Hits schreiben zu müssen, der ihnen das Leben zunehmend versauerte. Nur davon handelt der Song nicht. Er handelt von den »people on the streets«, die jeder und jedem ein Gefühl der Masse und Bedeutungslosigkeit aufdrängen. (Philosophisch kann dies: »Kontingenzerfahrung« genannt werden.) Durch die Vermassung wird die den Menschen innewohnende Güte und Liebe zu ihren Mitmenschen verdreht und in ihr Gegenteil verkehrt. Der Nummer-Eins-Hit brüllt sein Howl heraus: »Why can’t we give love that one more chance? Why can’t we give love, give love…« Die Zeile kann eine Gänsehaut erzeugen, denn die Beklemmung, der Frust, das Unverständnis ist gut spürbar. Bemerkenswerterweise scheint dies auch in der Melodie zu stecken und ist somit erfahrbar für jene Rezipient*innen, für die die Worte der englischen Sprache ein einziges »Um boom ba be« sind.

Das ist Pop. In all seiner Größe und gewissen Blödheit (natürlich ist die Nummer höchst prätentiös). Die künstlerische Intention wird nicht umgesetzt anhand klassischer Vorgaben. Vielmehr war der Stoff immer schon irgendwie da und die Form fiel ihm zu. Das schaffende »Genie« beobachtet nur den Prozess und greift manchmal glücklich, manchmal weniger glücklich ein. Das ist keine Schöpfung im altväterischen Sinn und das ist auch gut so. Was sich hier nämlich zeigt, ist, wie im Radiogedudel von »Under Pressure« der entscheidende Widerspruch bewahrt bleibt, der uns tagtäglich ankreischt: »Wir sind gespalten«. Das ist zuweilen schrecklich und kaum aushaltbar, zugleich ist es aber auch gut, diese Spaltung zu erkennen und eben doch auszuhalten, weil die Authentizität einer Einheit weg ist. Unwiederbringlich weg und wehe all denen, die diese wieder beschwören wollen. Okay, diese Aussage muss an dieser Stelle ein wenig erläutert werden.

Irgendwann wird der Druck zu hoch – Explosion im Video zu »Under Pressure« © YouTube

Wirklichkeit ist Widerspruch
Alles, was wirklich ist, muss in sich widersprüchlich sein. Ist etwas glatt, eindeutig und widerspruchsfrei, dann ist es eben ein Irrtum. Die Erfahrung der Moderne konnte belegen, was zuvor nur eine Ahnung war. Dass Musik und Text zufällig zueinander fanden, zuweilen sogar explizit entgegen der Intention der Künstler*innen, hat es natürlich immer gegeben. Dies fällt meist nicht einmal auf. Bemerkt heute noch jemand den Witz, dass die deutsche, ehemals österreichische Nationalhymne ein kroatisches Volkslied ist, mit dem der genervte Haydn seine Auftraggeber abspeiste? Auch wenn ein Zufallsergebnis von einer Schöpfertat kaum zu unterscheiden ist, dann lag aber der gewichtige, historische Unterschied darin, dass die Musiker*innen die Zusammenhanglosigkeit bedauert haben und als Makel begriffen. Sie wünschten die Einheit von Stoff und Form. Text, Musik, Bewegung sollte ein großes Ganzes symbolisieren und spürbar machen. Die Harmonie eines Chores sollte beispielsweise göttliche Ordnung sinnlich machen. Jedes Stimmchen hat sein Örtchen in Gottes schöner Welt. Noch in der Synkope oder der Pause sollten durch die Abwesenheit des Klanges, Tod und Auslöschung erfahrbar werden und es sollte sich mit dieser unausweichlichen, menschlichen Tragödie in der Musik auseinandergesetzt und gegebenenfalls sogar versöhnt werden. Ideen dieser Art, wie jene der Symbolisierung der Notwendigkeit des Leidens in der Musik, wurden schon vom heiligen Augustinus gewälzt und später noch von Beethoven durchgekaut (die Pause ist der Tod …). Dann kam irgendwann glücklicherweise die Moderne und räumte damit auf.

Plötzlich war der Traum der Kunst ein anderer geworden. Eine Einheit von Stoff und Form zu finden, setzt kosmische Überbrückung voraus. Einen tiefen Zusammenhang. Klang und Wort müssen als »füreinander geschaffen« erscheinen. Was aber, wenn diese Überbrückung fehlt. Was, wenn es keine »prästabilierte Harmonie« gibt, die dies garantiert? Jede Identifikation gerinnt zur Rekognition. Ein Ding wird an seinem Ort bestimmt, einfach weil es dort zuvor einmal aufgetaucht ist. Deswegen ist der sentimentale Gehalt einer jeden »Heimatliebe« nichts anderes als Erinnerung an glückliche und unbeschwerte Momente der eigenen Kindheit oder späterer heiterer Stunden. All das Schöne ist nicht mit sich selbst identifiziert schön, sondern durch das, mit dem es zusammenfiel. Dies wiederum ist zufällig und individuell. Wer also Leuten Heimatverbundenheit als etwas »Größeres« einreden will, möchte Sentimentalität politisch ausbeuten. Diese Ausbeutungsgefahr besteht bei jeder Form von sogenannter Identität, die Allgemeinheit und Zusammenhalt bzw. Zusammenhang prätendiert und sich dabei über die Individualität und Kontingenz der Rekognition hinwegtäuscht. Der Geruch des heimatlichen Flusses war manchen ein Gestank und wenn sich der eine an das süße, sommersprossige Stupsnäschen erinnert (wie es nur in deutschen Landen wächst!), das die erste Liebe im Gesicht trug, dann hat der andere den selbstsüchtigen Unsinn nicht vergessen, der unter dem Nasenzinken hervorgebrabbelt wurde.

Kontingenzerfahrung wird bei Queen/Bowie recht klischeehaft illustriert: Überfüllte U-Bahnzüge in Tokio © YouTube

Endlich eins
Am Abend lege ich mich im heißen Juli gerne ins Bett mit den fernen Klängen eines Sommertags, die ich alle zu kennen meine. Aber an der gleichen Stelle der Pritsche liegt auch mein vergessenes Nicht-Ich. Am Morgen wache ich wieder auf und der erholsame Schlaf hat mich von dem Menschen befreit, der ich gestern gewesen bin. Dafür darf man dem Schlaf dankbar sein. Genau diese Auflösung und kaum beeinflussbare Neugruppierung sollte allseits existenziell bejaht werden. Wird sie aber nicht. Stattdessen soll Identität her und hier ist kein Weg zu weit. Das 20. Jahrhundert war voll von Rettungsversuchen, die »eins« wollten: den Gipfel der Identität. Alle sind kurios gescheitert. »Fundamentalontologie« wäre so ein Beispiel. Martin Heidegger in seinem Text: »Bauen, Wohnen, Denken«: »Aus der ursprünglichen Einheit gehören die Vier: Erde und Himmel, die Göttlichen und die Sterblichen in eins. […] Diese ihre Einfalt nennen wir das Geviert.« Heilige Einfalt der ursprünglichen Einheit, das klingt nicht nur bescheuert, das ist es auch. Eine kosmische Superstruktur soll trotz der Kontingenz aller Erscheinungen den Daseins-Laden zusammenhalten. Und wer ist überhaupt das »wir« in »nennen wir«? Dichterische Ergüsse dieser Art zeugen eher von dem auch im 20. Jahrhundert noch immer unstillbaren Bedürfnis, »eins« zu machen und Identität zu verankern. An dieser Stelle hätte der Meisterdenker mit Hang zum Rechtsradikalismus besser »Um boom ba be« geschrieben.

Sicherlich, es ist unangenehm, wenn wir die Frage nach dem »what this world is about« offenlassen müssen. Denn die Welt ist für Menschen ein Nichts. Nicht etwa, weil sie »nichtet« (Heidegger), sondern weil Menschen ihr Dasein nur akzidentiell und individuell begreifen. Und tatsächlich auch nur zeitweilig, das hatte Heidegger ja auch brillant erkannt. Die Zufallsbekanntschaften unserer Existenz sind alles andere als unbedeutend, sie haben ihre eigene, erkenntnisreiche Dignität, die überhaupt keinen Identitätszinnober braucht. Die Schwere des einzigartigen Gefühls, das nie eins wird und das nie eine treffende Form findet, lässt gerade läppischer Pop erleben. Ohne es bewusst zu wollen, denn er bedient sich gerne der »accidental masterpieces« und lässt somit ohne jede Intention die notwendige Spaltung offen und macht diese erlebbar. Das Erlebnis des Widerspruchs ist Widerstand gegen das Totalitäre, das zusammenzwingen will, was nicht mehr eins sein kann. Und genau darauf ist demagogische Politik erpicht. Der clevere Pop hingegen sucht fast immer die Diskrepanz und verliert sich gerade dann im Schönen, wenn er das Unschöne ausstellen möchte. Deswegen halten empfindungsfähigere Menschen Helene Fischer in Kopf und Magengrube kaum aus, denn hier waltet totalitärer Formwille, der von einem in musikalischer Ödnis gehaltenen Publikum goutiert wird.

Nur, Nicht-Identität erlaubt die größte Schläue und die Kunst hat ihre Schliche, wenn die Autor*innen nicht wissen, was sie tun. In einer dieser typisch paradoxen Wendungen der Dialektik des Widerspruchs zeigt sich dann, wie gerade Nicht-Identität menschlichen Zusammenhalt stiftet. Im Gasthaus sitzt am Nebentisch eine unüberhörbare, feuchtfröhliche Runde. Sie intonieren wechselseitig Schlager. Dabei sind sie überraschend textsicher. Sie mixen Country drunter und ein paar Einsprengsel Austropop. Plötzlich gesellt sich für den unwilligen Zuhörer am Nebentisch zur dumpfen Mache der Songs das authentische Gefühl der Sänger*innen. Ihr Schwermut und die ganzen Zurückweisungen, die ihr Leben trübten, sind hörbar, aber auch das kleine (erotische) Glück und die nie ausgelebten Gelüste. Alles wird in den seichten Texten und der Lalalala-Musik mitintoniert und plötzlich (mit-)erlebbar. Das Leben kondensiert sich an den Oberflächen, die es findet. So ist auch inbrünstiger Kirchengesang als Ausdruck wahrer Spiritualität nicht einmal zwischen den muffigen Mauern der katholischen Kirche ausgeschlossen. Die Musik findet noch die kleinste Öffnung, um dem Verlies gesellschaftlicher Zurichtung zu entkommen. Den in die Jahre gekommenen Wiener Sängerknaben* vom Nebentisch können die Zuhörer*innen eigentümlich dankbar sein, denn das nach der Musik einsetzende, dümmliche Gequatsche, das nur so von Sexismus und Verblödung strotzt, schützt vor allfälliger falscher Versöhnung. Es ist eben nichts mehr eins in dieser Welt.

Dieser Text entstand in Zusammenarbeit mit der »Volksstimme«, mit der skug gemeinsam den Salon am 21. Juli 2019 im Central Garden abhalten wird. Dort werden wir über verschiedene Aspekte des Riesenthemas Musik und Politik reden. Als nächster Beitrag wird der Diskursbrandbeschleuniger »Pop und Kritik« von Didi Neidhart auf skug.at erscheinen.

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