ulrichkrieger236
Ulrich Krieger

»236 Strings«

L’ST records/Broken Silence

Seine Kollaborationen sind Legende. Ulrich Krieger hat u. a. mit John Zorn, Laurie Anderson, Merzbow und Lee Ranaldo (Text of Light) zusammengearbeitet. Vielleicht am bekanntesten ist sein experimentelles Saxophon-Spiel in Projekten mit Lou Reed. Das Metal Machine Trio und die Lou Reed Band standen unter Kriegers Mitwirkung unter Strom wie auch seine eigene Death-Doom-Metal-Combo Blood Oath. Zeit, endlich mal einen Gang runterzuschalten und das Saxophon beinahe links liegen zu lassen. Für »236 Strings« (so viele Saiten hat das Piano im Durchschnitt), erschienen auf dem weltoffenen Berliner Label L’ST records, holt der Saxophonist mit zwei Musiker*innen ungewöhnliche Klänge aus dem Inneren eines Klaviers. Zunächst assistieren im Klangkörper des Pianos Vicki Ray, die auch mit kleinen Objekten die Saiten touchiert, und Perkussionist Danny Holt, der später dies einfühlsam mit Hammern und Schlegeln macht. Krieger spielt eingangs ein E-Bow-Piano und weckt mit dronigen Tönen Assoziationen zu Altmeister La Monte Young. »Euphotic« heißt dieser Auftakt – ein Teil von Kriegers »Pelagic«-Serie, die die fünf pelagischen Wasserschichten musikalisch ausformuliert. »Euphotic« ist die von Licht durchflutete Oberschicht des Ozeans und steht in seiner klanglichen Vielfalt für das reichhaltige Leben in dieser Zone. Im Hallraum von »Oberfläche« ist das Tropfen der Klavierstrings und Tastenanschläge besonders eindringlich zu vernehmen. Sehr fein dem Wasser in Tropfenform nachempfunden und Danny Holt, der dazu simultan sanft perkussioniert, sorgt dafür, dass die Atmosphäre des Offenen-Ozean-Atmens bestens zur Geltung kommt. »Rote Erde« aus der »Desert«-Reihe empfindet die Hitze der zentralaustralischen Wüste nach und zwei weitere Tracks widmen sich dem unvollendeten »Nordic«-Zyklus: Auf »Hvergelmir« (steht in der germanischen Mythologie für Quelle) erklingen Kriegers Sax-Resonanzen eher wie eine Irritation, während Vicky Ray in »Nach dem Ende, vor dem Anfang« als Solopianistin brilliert. Ein besonnenes Stück mit offenen Intervallen, das auf Ragnarök, den altnordischen Weltuntergang, anspielt. Zaghaft steigt eine grüne neue Welt aus der Verderbnis und Rays lang aushallende Klaviertöne strahlen Zuversicht aus.

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