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TO DO print revs #96

Franz Ferdinand: »Right Thoughts, Right Words, Right Action«

Domino

Was war das doch damals für ein Hype um diese Band! Bis in die Feuilletons hinein wurde ihr Debut umjubelt, bekniet, verehrt. Nichts weniger als die Weltrettung der tanzbaren Rockmusik wurden Alex Kapranos und seinen drei Mitstreitern angedichtet, zumindest gemeinsam mit den The Strokes und noch ein paar anderen, mittlerweile wieder halb vergessenen Bands. Dann kam die zweite CD heraus, »You Could Have It So Much Better«, und das große Jammern begann, obwohl es immerhin noch eine freche Single (»Do You Want To«) gab – und ja, Eleonore hatte irgendwo ihre Boots verloren. Bei »Tonight: Franz Ferdinand« schlugen dann viele Fans die Hände zusammen. Schon waren Franz Ferdinand verrufen als Streberband, die mühsam versuchte, das Erfolgsrezept des Debüts heraufzubeschwören. Und tatsächlich, zu »Evil Eye«, der zweiten Nummer des neuen Albums, kann man sich bestens ein Video vorstellen, in dem Kapranos und Co. im Schlurfschritt herumstolzieren, die Hand am Kinn in Nachdenkerpose verkrampft, dabei summend: »Wie nur, ja, wie nur kriegen wir das nochmal hin?« Und dann die Lösung: »We need some Schmiss! Yeah Baby, Schmiss!« Das ist es, keine Frage! Und das haben Franz Ferdinand vermutlich schon eine Million Mal von besten Freunden und schlechtesten Kritikern unter die Nase gerieben bekommen. Zu verkrampft, zu bemüht klingt das alles seither. Was das Debüt auszeichnete, war weniger eine musikalische Qualität, als eine Einstellungssache bzw. überhaupt etwas, das man am besten mit einem Fingerschnippen oder Achselzucken beschreibt. It has to have Lässigkeit and Rotznäsigkeit, it has to have some Schmiss. Auf »Right Thoughts, Right Words, Right Action« (RTRWRA) sei ihnen das endlich geglückt, jubelt die Presseagentur, jubelt die Fachpresse, jubelt sogar der ewig junge Rezensent der Süddeutschen Zeitung. But well, I’m sorry to disappoint you, but it’s still the streberhafte Versuch so zu tun als ob. Auch wenn es gelegentlich Momente gibt, wo die alte Selbstverständlichkeit durchleuchtet – allzu oft schleppt sich eine schwache Melodie durch ein paar trickreich eingeschleuste Breaks, oder Kapranos sucht sein Heil in fast schon kinderliedhafter Niedlichkeit. Ein Song wie »Fresh Strawberries« erinnert gar an die übelsten Missetaten eines Paul McCartney – so sehr kommt da großes Gähnen. Natürlich ist RTRWRA insgesamt trotzdem viel erfreulicher als das Drama der letzten beiden CDs, aber von einer Genesung zur Schmissigkeit sind wir hier weit entfernt. Die stellt sich vielleicht ein, wenn Franz Ferdinand endgültig unten durch sind und kein Hahn mehr nach ihrer neuen CD kräht. Dann, ohne jeden Anflug von Stress, gelingt vielleicht der wahre Schmiss, wie bei ihrem zeitlosen. Aber Franz Ferdinand anno 2013, das ist Schmiss nach Riss. Ergo eher ein Beschiss.

CURT CUISINE

Daughn Gibson: »Me Moan«

Sub Pop/Trost

Angeblich war Gibson Trucker, Tellerwäscher, Holzknecht, und machte so ziemlich jeden Job, mit dem der amerikanische Traum anfängt – und für viele auch endet. Und wenn die Geschichten nicht wahr sind, so hat sie ein Marketingmensch zumindest gut erfunden. Daughn Gibson wird als das Countrywunder verkauft, dass endlich dieses Genre den elektronischen Beats öffnet, dabei geht auch diese Verkaufslinie an der Wahrheit vorbei. Der Bass von Gibson erinnert an Johnny Cash, und seine wunderbar knappen Songs werden mit den besten Beats von Depeche Mode aus dem letzten Jahrhundert ausgestattet. Darüber verlieren sich dann ein paar Countrysprengsel, aber die Kraft entwickelt Gibson aus seinen Songs und der Autorität der Stimme. Wenn es eine Soloplatte von Dave Gahan wäre, würde die Medienmeute Kopf stehen, so bleibt zu hoffen, dass dieses Beinahemeisterwerk den Platz bekommt, den es verdient.

G. BUS SCHWEIGER

Michel Henritzi: »Yokohama No Shadows«

Dyin‘ Ghost Records

Als Gründer des visionären, auf Lowercase und Minimal fokussierten Labels A Bruit Secret, wie auch als Mitglied der Gitarren- & Noise-Band Dustbreeders hat Henritzi längst eine enge Verbindung zur japanischen Kultur und Lebensform. Sein Album ist in vielerlei Hinsicht ein Roadmovie, eine Reise, ein Film, ein intimer Brief an die andere Seite. Die Umkehrung des amerikanischen Traums wird hier durch Saitenklänge und die einzelnen Beteiligten zustande gebracht. (Oder: Wenn Blues auf Koto trifft, verbinden sich pentatonische Tonsysteme von beiden Seiten des Pazifiks.) Musik, die auf eine Weise lyrisch und stimmungsbetont ist, dass ich nur zustimmen und dieses Album wärmstens empfehlen kann. Wunderschön und zutiefst persönlich.

NOËL AKCHOTÉ/Û: FRIEDERIKE KULCSAR

 

Gagarin/ZickZack/Indigo

Guido Möbius: »Through The Darkness Gathers«

Karaoke Kalk/Indigo

Der Kaiser ist gestorben, es wird nicht mehr geraucht. Der Kaiser ist gestorben, die Luft ist aufgebraucht. Der Hamburger Elektronik-Querschläger Felix Kubin ist in seinem Glanz und seiner Erhabenheit nicht zu diskutieren, rein anzuhimmeln. Aber die neue CD, bewusste Tribute-Kollaboration mit ZickZack-Label-Legende Alfred Hilsberg, ist endgültig DER Seriously Sexy Shit, folks. Klaus Nomi goes darkroom-balling with Max Goldt in a Teutonian Death Disco. Der Welt-Hit »Atomium Vertigo« ist überhaupt Warm Leatherette, rückgeboren mit Gainsbourg-Crooning (großartigster Gesangsauftritt von Nicolas Ekla) und Kraftwerk-Casio-Grundlage. Die einzig wirklich würdige NDW-Neugestaltung nach den ganzen Elektroclash-Wellen und Wirrnissen. Palais Schaumburg. Der Plan. Die Radierer. Grauzone. Ein kongenialer, fetzfreudiger Zitaten-Parcours, Quentin Tarantino goes KlingKlang mit dem Kubin-eigenen Räude-Glamour, mit einer Spiel-Finesse und Detail-Verliebtheit, wie man sie sonst nur von einem Matthew Herbert erwartet. Und als vollwertiger Appetizer sei das brandneue Remix-Album des Köln-Berliner-Strumtronica-Helden Guido Möbius ans Herz gelegt, wo Jason Forrest, Senking, Rotaphon und Candie Hank sein letztjähriges »Spirituals«-Werk süffig durch den Kraut-Strom wursten und dabei freudig stepptanzen. Die 21st-Century-Menschmaschine verliert ihren Ûberhang zur Prätention. Endlich!

PAUL POET

Mäuse: »Das Judasevangelium«

Vienna Wildstyle Recordings/Rough Trade

Die ersten Takte von »Das Judasevangelium« klingen nach Retro-Indie, fast als würden Joy Division im Proberaum »Gone Daddy Gone« von den Violent Femmes einüben. Das hätte so natürlich nie passieren können. Stattdessen ist das Label »Indie« zur beinahe allumfassenden Genrebezeichnung verkommen, mit dem fleißig Major-Platten verkauft werden, während man von »Independent«-Platten nicht einmal mehr die Monatskarte des öffentlichen Personennahverkehrs bezahlen kann. Kümmert Mäuse aber alles nicht. Zum einen haben sie mit ihrer ersten, sich gerade 171 Mal verkaufenden Platte und – seit der Band-Auflösung 1999 – mit dem eigenen Independent-Label Angelika Köhlermann genug Erfahrungen gesammelt um zu wissen, wie der Hase läuft. Zum anderen leben Tex Rubinowitz und Gerhard Potuznik, Kern der Wiener Band, längst von anderen Sachen. Das macht natürlich frei. So frei, dass man bis auf die ersten Takte ein Album lang 1970er-Jahre Progrock und Ost-Bombastrock recyclen kann, die heute definitiv uncoolen und vergessenen Klaus Renft Combo aus der DDR, Omega aus der VR Ungarn oder die frühen Scorpions aus der BRD covern, adaptieren, nachspielen kann. »Braunkohlemelancholie« nennt Rubinowitz diese Mischung aus Ost-Tristesse und West-Bombast, dieses Aufeinanderprallen von kapitalistischen Freiheitsmythen und realsozialistischer Enge. Die wiederauferstandenen Mäuse klingen also nicht mehr nach dem Proto-Electroclash ihrer 1990er Platten, und doch sind sie auch 2013 gewohnt verstörend und düster. Tief dröhnende Bässe, maximal verzerrte Gitarren, harte, stoische Drums und 80er Jahre-Industrial-Percussions und -Synthies tauchen das Album in bleierne, dunkle Farben. Gleichzeitig gerät der Re-Import des Ost-Rock so charmant lo-fi und lärmend krachig, dass die gröbsten Flecken Kitsch und Bombast aus dieser pathetischen Musik herausgewaschen sind. Selbst das quasi Omega-Cover »Schreib es mir in den Sand« oder die Klaus Renft Combo-Adaption »Il Pullover« fügen sich nahtlos in den breitbeinigen-aber-doch-dünne-Hosen-Sound ein. Wie übrigens auch die neu eingespielten, eigenen alten Songs, denn für die neue Platte wurde gleich viermal im Band-internen Backkatalog geplündert. Und so kompromisslos wie der Sound sind auch die Texte. Auf Reime wird konsequent verzichtet, dass sei, so Rubinowitz, schließlich »wie Fasching«. Wäre auch irgendwie unangebracht, denn die meisten Songs widmen sich auf ungewöhnlich unkitschige, nachvollziehende Weise düsteren Themen und tatsächlichen Fällen von Parasuizid, Heroin-Abhängigkeit, brutalem Mord oder Kindesmissbrauch. Mäuse sind – wie wir alle – fasziniert von den dunklen Geschichten hinter den Türen und in den Kellern des Landes. »Düster ist natürlich viel interessanter, als irgendetwas nettes«, meint Rubinowitz, es habe eine gewisse therapeutische Note. Man kann nicht widersprechen, schon gar nicht mit dieser Platte unterm Arm.

HARDY FUNK

Powerdove: »Do You Burn?«

Africantape/Murailles Music

Schrille Damen in der Musik sind immer ein Genuss, vor allem dann, wenn nicht gleich klar ist, ob wir uns jetzt in der Pop- oder in der Experimental-Ecke befinden. Wenn die Musik ein Luftballon wäre, dann wäre diese CD im aufgeblasenen Zustand ein knallroter Ballon, der aber aus unerfindlichen Gründen viereckig ist – mit teils rasiermesserscharfen Kanten. Der erste Track auf »Do You Burn?« beginnt mit einer quietschenden Rückkopplung, dann gesellt sich eine scheppernde Akustikgitarre dazu, bevor die aus Minnesota stammende Annie Lewandowski mit Elfengrazie zu singen beginnt. Noch genialer das zweite Stück, dessen Instrumentalisierung man auch als »Umgekipptes Piano mit Ohrfeigengeklapper« bezeichnen könnte. Ähnlich einfallsreich geht es weiter, was wohl viel mit den beiden Mitstreitern zu tun hat. An Gitarre und Bass werkt der von den altgedienten Schrillfolkern Deerhoof bekannte John Dietrich, die durchgeknallte Multiinstrumentalisierung (»whistlings«, »dry poppy pods«, »tuning forks«) besorgt der Franzose Thomas Bonvalet. Selbst bei Songs, die auf Anhieb etwas moderater klingen, überraschen die drei Querköpfe durch eigenwillige, aber wohldurchdachte Sounddetails. Trotzdem bleibt das Gefüge insgesamt angenehm skizzenhaft, ein wenig wie das morsche Dachgebälk eines vom Sturm abgedeckten Daches. Und durch die luftigen Löcher in diesem Gefüge bläst die zart-kühle Stimme der jungen Annie. Manchmal fast ein wenig zu wehmütig-schwärmerisch, aber zum Glück sorgt die instrumentale Experimentierfreudigkeit immer wieder für die notwendige Schrillness. Ein kleines Meisterstück.

CURT CUISINE

Tonia Reeh: »Fight Of The Stupid«

Clouds Hill/Rough Trade

Wenn nicht alles Zitat wäre, dann – ja dann! Dann wäre der Papst eine Bermudashirt-tragende Schnitzelsemmel und es gäbe ein riesiges espressoschwarzes Loch, das alle kapselfressenden Espressomaschinen verschlingen würde. Heißa! In so einer Welt dürfte man alles glauben, was Presseagenturen so von sich geben. Und jedem Song, jeder Attitüde jedes Songs dürfte man blinden Glauben schenken. Dann wäre Tonia Reeh in Wahrheit ein verzauberter Drachen, ein monströses Ding mit eiterplatzender grüner Haut, Dutzenden Froschaugen und einem Stimmorgan wie der Blasebalg einer Kirchenorgel. Und geringelte Hörner würden ihr aus den Schläfen wachsen, während sie wie eine Ian-Anderson-Koboldminiatur über die Bühne tänzeln würde, um im nächsten Moment eine Glamrock-Pianophrase a lá Moot The Hoople oder Sparks einzustreuen. Aber schon kippt der Song wieder, die Dresden Dolls lachen grinsend aus einem Passepartout. Diese mit so viel Luft angeschlagene Alt-Stimme! Herrlich! Wir hören, in der Reihenfolge ihres Auftretens, Patti Smith als zahnlose Grimassengretel, Polly Jean Harvey als Jokerliebchen Harley Quinn (eine Fehlbesetzung, klar) und nicht zuletzt ein seltsames Zwitterwesen, gebildet aus dem Stirnlappen von Agnetha Fältskog und der Weltverachtung von Diamanda Galas. Wieder waten wir knietief im Sumpf der Referenzhölle, Fledermäuse flattern um unsere Ohren und wir lauschen der Legende. Tonia Reeh, Berliner Musikerin, Mami und Papi Opernsänger. Tonia begann als Noisegöre namens Monotekktoni. Aber bald schon war dem Weltgroll Genüge getan. Also war es an der Zeit, das Hexenhaus weiblicher Kreativität hochzuschütteln wie Frau Holle die Laken. Und genau auf dieser Wolke befinden wir uns auf »Fight Of The Stupid«, as heavenly as it can get. Würde der Kalender nicht verraten, dass wir das Jahr 2013 schreiben, befänden wir uns 30, 40 Jahre früher, es würde einem das Hirn rausfetzen bei diesem größenwahnsinnigen Bombastpop, bei dieser durchgeknallten Melodramatik, dieser genretümpelnden Anmaßung! Aber so wissen wir: Das hier ist alles immer auch Zitat, ist immer auch strategisch und wohldurchdacht und auswechselbar wie das Timbre von Tonias Altstimme. Aber spricht deswegen irgendetwas dagegen, diese CD großartig genial, großartig durchgeknallt, durchgeknallt genial zu nennen? Ney, no, nope, no, Sir. Ah, ich sehe gerade, der Papst steht in Bermudashirts an der Espressomaschine. Ach, komm, noch einen tiefschwarzen Espresso bitte, den mit den Tequilawürmern drinnen. Danke!

CURT CUISINE

Trio Lepschi: »Warz und Schweiss«

Hoanzl

Die an der Manie des Schüttelreimens erkrankten Brüder Stefan und Thomas Slupetzky und der umtriebige Martin Zrost haben ob ihrer Reimbesessenheit ein bereits halb fertiges Album hintangestellt, um mit der Veröffentlichung des Reim-Epos »Warz und Schweiss« (WUS) eventuell von diesem bereits sozial problematischen Leiden befreit zu werden. »Ohne eine Chance auf Linderung müssen wir jedes Wort so lange schnetzeln und pürieren, bis etwas Schlüpfriges, Brutales oder wenigstens Verschrobenes dabei herauskommt« lehrt das Booklet. Ob das mit der Heilung bis dato geklappt hat ist nicht bekannt, mit WUS haben die drei Männer im besten Alter aber sicher schon viele Hörer zum Lachen gebracht. Die Form des Schüttelreims ist – wird auch noch der Dialekt mit einbezogen – ein Fass ohne Boden, bei dem nicht selten gar Derbes und Unkorrektes, oft auch sehr Komisches, zutage gefördert wird. Ein Juwel ist etwa das Stück »Fernsehkoch«, das mit ausgeprägtem französischem Akzent ein absurdes Kochrezept rezitiert, in dem sich »Hirschenkalb« auf »Kirschen halb« und »Kalberlschwanz« auf »Schwalberl ganz« reimt, und das eine/m/r Weisheiten wie »Merke: ist das Fleischerl bockig/wird auch meist das Beischerl flockig!/ Drum gehört auch das Kalb gehackt/ Gut faschiert ist halb gegackt« zumutet. Eine grandiose Parodie auf das seuchenartig um sich greifende Gourmetkochen, nicht nur im TV. Auf der Instrumentenseite stehen bei den oft dreistimmig (oder auch im Frage/Antwort-Schema) singenden bekennenden Epigonen des Hochgeschwindigkeitsgesangs-Duos Pirron & Knapp zwei Gitarren, die singende Säge, und diverses von Alleskönner Zrost gespieltes Instrumentarium (Saxofon, Klarinetten, Cello, Zither usw.). Mit dem klassischen Wienerlied hat das klanglich nur noch in Spurenelementen Gemeinsamkeiten, wenn WUS auch sicher unter »Neues Wienerlied« kategorisiert werden wird – ein Genre, das auch durch den Mangel an genaueren Typisierungen nach allen Seiten hin weit offen ist. In der Grundtonalität mag das zutreffen, mit Anleihen aus Jazz, Blues und Country, oder sogar Tango und Klezmer geht WUS weit über die engen Genregrenzen des klassischen Wienerlieds hinaus.

STEFAN KOROSCHETZ

Various Artists: »Hommage Is Where Your Heart Is«

Seayou Records/Rough Trade

Quel dommage! Der club d’hommage, die Themenparty zum Fanzine avant la lettre, ist nicht mehr. Man verabschiedete sich im Juni hollywoodreif mit einem zweitägigen »Softival« (nicht Fest-ival) in die geschichtsträchtige Sphäre der Nacherzählungen. Wir alle hätten davon einige zu bieten. (Zeit für einen Aufruf zur Einsendung eurer lustigsten/traurigsten/erregendsten Hommage-Erlebnisse?). Die Trauer ist groß – wir wären hier aber nicht nahe dem Küniglberg, gäbe es nicht so etwas wie eine Collector’s Edition mit Outtakes und Behind The Scenes zum mitnehmen und nachweinen: der Clubsampler »Hommage Is Where Your Heart Is« gibt dir folgerichtig das ideologische Werkzeug in die Hand, all das Vorgeführte bitte zu Hause nachzumachen. An 18 musikalischen Beiträgen vorrangig heimischer Independent-Acts (wie [eigene Lieblingsband hier einfügen]) kann die glamouröse Clubgeschichte erinnert werden, das Fortführen der großen Hommage liegt ab jetzt bei dir: Nimm all diese Blackouts und Impressionen und schreib ein Fanzine/bau ein Bühnenbild/gründe eine Band/veranstalte einen Club/küsse deine Nächsten (ganz ohne Zurückhaltung und Anführungszeichen). Das war die Hommage – Du bist die Hommage!

MICHAEL GIEBL

Various Artists: »Wien Musik 2013«

Monkey/Hoanzl

Mit Compilations ist es so eine Sache. Worum geht’s? Darum, Lust auf mehr zu machen? Oder um einen Status Quo festzuhalten? Oder zumindest darum, die wohlklingende Nadel im Pophaufen zu finden? Immer eine Frage des Anspruchs. Im Fall von »Wien Musik 2013« lautet der Anspruch »Soundtrack einer Stadt«. So schreibt es zumindest Walter Gröbchen in den liner notes. Das ist sehr großzügig zu verstehen. Nicht alles auf »Wien Musik 2013« ist seiner Herkunft nach aus Wien, vor allem will nicht alles in Wien bleiben, sondern lieber in die große weite Welt aufbrechen. Sehr schick zelebrieren das etwa zwei Wahl-Wienerinnen mit Bandnamen Fijuka auf »From Now On«, die ob dieser Single auch schon als Geheimtipp gehandelt werden. Das geht durchaus in Ordnung. Gewohnte Qualität liefern auch Bauchklang, die übrigens erst kürzlich mit der traurigen Trennungsnachricht überraschten. Bauchklang führen die Sache vom »Soundtrack Wien« als gestandene St. Pöltner ebenso ins Absurde. Aber ohnehin war der beste Wiener immer schon der »Zuagraste« – besonders dann, wenn er am liebsten gleich wieder weg ist. Also trällern Keiner Mag Faust auf »Wien-Berlin« allzu niedlich, aber doch treffend: »Wien, Berlin, wir wollten doch zusammenziehen«. Grundsätzlich darf man »Wien Musik« natürlich als Gesamtwerk sehen. Das diesjährige Update ist der vierte Teil einer Serie, die eine mittlerweile beachtliche Zusammenschau heimischer Popkultur präsentiert. Aber eben nicht nur. Ein wenig so, wie die heimische Popmusik eben insgesamt ist. Oft schwächelnd, aber dann doch mit großartigen Ausreißern. Herrlich unterhaltsam ist etwa »It’s The Mailath-Pokorny« von Rorschachpunk, hinter denen sich unter anderen Stefan Wildner aka Graf Hadik versteckt. Ein viel zu wenig beachtetes Urgestein heimischer Popmusik, aber für eine angemessene Fanode ist hier kein Platz. Auch entzückend ist das Tango-Chanson »Schmusen« von Monica Reyes, gerade weil es mit einem kecken Hauch von Neuer Deutscher Wienerlichkeit (NDW) gewürzt ist. Getrost ins Herz schließen darf man auch »Wien Wie Es Zweimal War« vom ewigen Geheimtipp Wiener Heimorgelorchester, oder das stimmig hingerotzte »Gemma Halt Ein Bisserl Unter« von Das Trojanische Pferd. Einen definitiven Sonderapplaus gibt es für das herrlich durchgeknallte »Heat The Water« von Koenig Leopold aka Lukas König und Leo Riegler. Das ist angewandter Popunfug, den wir meinen! Auch die schurkige EP »Aalfang« der beiden Herren sei hiermit wärmstens empfohlen. Schimpfen muss man hingegen über »Mitten Im Geschwätz« von den Pop-Oberlehrern C-60. Wer unbedingt auf derart humorlose Weise zwischen gutem und schlechtem Publikum trennen will, sollte sich nicht wundern, wenn das eine wie das andere ausbleibt. Andererseits, was wäre eine Wien-Musik-Compilation ohne nicht wenigstens einen Song, über den man sich grün und blau ärgern kann? Richtig, denn das Sudern und Jammern gehört eben zu Wien – und damit auch zu seiner Musik. Alles in allem eine lohnenswerte Songreise durch Wien.

CURT CUISINE

 

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Batida De Colonia: »Colonia«

Buero 9

Thomas Berghaus hat bereits als Shareholder Tom drei Alben veröffentlicht. An seiner Seite agiert die Kölner Gitarristin und Sängerin Anna Gaden. Und die Kölner Musiker schaffen es locker, Samba, Bossa Nova oder Mambo zu integrieren. Die Idee Mambo, auf Deutsch zu singen, oder eine Cure Nummer als Samba zu veröffentlichen klingt ja auch gut. Und lateinamerikanische Musik als Einfluss kann nie schaden. Die Musik aus den 50ern, 60ern oder 70ern ist auf jeden Fall sinnvoll für moderne Jazzmusiker. Echt eine gute Idee. Sowas sollte einfach öfter vorkommen.

HANS KULISCH

Danny Michel With The Garifuna Collective: »Black Birds Are Dancing Over Me«

Cubancha

Der kanadische Sänger und Songwriter Danny Michel ist spezialisiert auf Roots-Music jeder Art. Mit dem Garifuna Collective aus Belize nahm er das Album dort auf. Die Fusion westlichen Pops und karibischer Musik erinnert Neulinge eventuell an Paul Simons Graceland. Die Variation hier ist aber trotzdem gefühlvoll und ideal.

HANS KULISCH

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Veröffentlichung
18.09.2013

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