Über Buddhismus zu schreiben, ist immer ein bisschen unsinnig. Die Lehre des Buddha ist mit wenigen Sätzen klar zu umreißen und später weiß mensch zwar dann, um was es geht, kann aber mit diesem Wissen wenig bis nichts anfangen. Der springende Punkt wäre eher, die Lehre des Buddhas zu leben, aber dies darf getrost als Minderheitenprogramm bezeichnet werden. Mönche wie Thích Nhất Hạnh fanden allerdings im Westen eine beträchtliche Anhänger*innenschaft, was viel mit dem Exotik-Bonus zu tun hat. Die dabei auftauchenden Fallstricke sind in der Umkehrung leicht zu begreifen: Die Lehre jenes Mannes aus Nazareth ist faszinierend, schillernd und inspirierend. Fünf Minuten im gleichen Raum mit einem durchschnittlichen katholischen Priester reichen zuweilen aus, damit ein denkender Mensch in seinem Leben davon nichts mehr hören will. Im fernen Osten geht es vielen mit dem Buddhismus ähnlich, der als Staatsreligion vielerorts ein Unterdrückungsapparat wurde, der wenig bis nichts mit der Lehre des Buddha zu tun hat.
Ein kurzer Aufbruch
Umso überraschender war der wahrhaft weltweite Erfolg von Thích Nhất Hạnh, dem tatsächlich eine gewisse Erneuerung des Buddhismus gelang. Im Kern sind seine Vorschläge kaum von der Hand zu weisen. Konflikte und Kriege lassen sich nicht mit Wissen und Überzeugungskraft lösen. Wissen ist unendlich vorhanden, Konsequenzen hat es kaum. Eine »innere Umkehr« und ein gelebtes Bekenntnis zu umfassender Liebe wären vielmehr die Voraussetzung für einen friedvollen Umgang. Der Weg dahin ist gut mit einer Mohrrübe zu erklären. Thích Nhất Hạnh rief dazu auf, das Karotterl langsam und bedächtig zu kauen. Das ist einerseits gesund, schützt vor der üblichen westlichen (?) Maßlosigkeit und soll an den wirklich unglaublichen Weg erinnern, den die Rübe zurückgelegt hat. Nhất Hạnh verarbeitet hierbei übrigens wissenschaftlich belegbare Fakten. Der ganze Kosmos war nötig, um der Frucht ihr Leben zu ermöglichen. Die Sonnenstrahlen, die Erdumdrehung, die Tag und Nacht schafft, das ungeheure System aus Wasserströmen und Kapillaren, die das Pflänzchen wachsen ließ. Also, Pro-Tipp: Nicht gleich runterschlucken, um den gierigen Äser ins nächste Schnitzel zu knallen. Alles brauchte Zeit und eine besondere Form kosmischer Liebe, um gedeihen zu können. Dies zu würdigen, erschien Nhất Hạnh als lohnendere Aufgabe, als beispielsweise zwei riesige Armeen im eiskalten osteuropäischen Winter aufmarschieren zu lassen, um dann dort genau was zu tun? Tschernobyl erobern? Ein mörderisches Militärbündnis aus dem Kalten Krieg neu zu »beleben«? Und dann mit ein bisschen Pech einen atomaren Krieg anzuzetteln, der uns alle töten wird? Sehr geehrter Herr Sergei Wiktorowitsch Lawrow und ebenso geehrter Herr Antony John Blinken (die diese Zeilen höchstwahrscheinlich leider nicht lesen werden): Bitte mehr aufs Gemüsekauen konzentrieren!
Die Krisen seiner politisch aktiven Jahre, allen voran der Vietnamkrieg, gedachte Thích Nhất Hạnh mit einer Schulung der »Achtsamkeit« zu überwinden. Seine politischen Analysen waren wenig originell und kaum hilfreich: »Kommunisten und Anti-Kommunisten wähnten sich in Besitz der Wahrheit – beide unterliegen einer Täuschung.« Ja, eh. Aber er konnte einen wichtigen Punkt machen mit der Beobachtung, dass Frieden eine friedfertige Haltung zur Voraussetzung hat, die zunächst errungen werden will. Der Schirm der Achtsamkeit ist hierbei entscheidend. Dies gelingt durch langwierige Schulungen, die dazu verhelfen, jeden Schritt als den Moment zu erleben, »in dem der Fuß die Erde küsst«. Die einfachen alltäglichen Handlungen exerzieren, als einen Schritt zur Überwindung der eigenen Maßlosigkeit und – jetzt kommt’s! – der eigenen Selbstlüge.
Menschen wissen besser, als ihnen lieb ist, in welcher Lage sie sich befinden. Sie wollen diese aber nicht wahrhaben. Den eigenen Tod, das Ableben jedes einzelnen geliebten Menschen, der Verlust jedweden Besitzes darf als vollkommen gesichert gelten. Aber auch der immaterielle Verlust ist unausweichlich. Eines, hoffentlich fernen, Tages wird jemand emotionslos den Stecker ziehen um den skug.at-Server abzuschalten, auf dem sich diese Zeilen befinden. Der Rest ist dann Schweigen. In gewisser Hinsicht war damit alles Streben unsinnig (war es nicht aus Sicht von Thích Nhất Hạnh, aber etwas Geduld noch bitte). Diese Unausweichlichkeit des Verlustes von allem und jedem verursacht einen Schmerz, vor dem wir »erwachsenen« Menschen wie kleine Kinder weglaufen. Augen verschließen und so tun als sei dem nicht so. Damit wird alles nur noch schlimmer. Frust, Gewalt, Aggression etc. sind die hinlänglich bekannten Folgen. Die wunderbar wirren Sixties waren die Zeit, in der viele dachten, das müsse sich nun ändern, und Thích Nhất Hạnh war einer der spirituellen Popstars jener Jahre. Alas – the real change never came.
Gemeinschaft der Achtsamen und Big Business
Der Mönch Thích Nhất Hạnh fuhr allerdings zahlreiche Ehrungen ein, die ihn wenig interessierten. Martin Luther King Jr. schlug ihn für den Nobelpreis vor. Ein weltweites Netz an Klöstern wurde aufgebaut und an die hundert Bücher wurden von ihm (oder in seinem Namen) verfasst. Einige davon so erfolgreich (»The Miracle of Mindfulness«), dass Nhất Hạnh zu einem Haushaltsnamen wurde. Man kannte den Knaben und fand ihn allgemein knuffig und gut. Insbesondere Businessleader vom Weltbank-Präsidenten bis zu Hedgefonds-CEOs (Kalifornien halt) hatten einen Narren an Thích Nhất Hạnh gefressen. Der wiederum war viel zu schlau, um dem Getöse Bedeutung beizumessen. In späteren Jahren summierte er seine politische Arbeit des »Engaged Buddhism«, ähnlich wie sein großes Vorbild Mahatma Gandhi, als »komplett gescheitert«.
Aber eben doch nicht ganz komplett. Diktatoren konnten nicht aufgehalten werden und dem Wahnsinn einer völlig zügellosen Konsumgesellschaft mit all ihren moralischen, seelischen und – ach ja – ökologischen Folgen konnte keine Achtsamkeit Einhalt gebieten. Nhất Hạnh empfahl nämlich kritisches Konsumieren, dessen eigentliches Ziel die Bescheidung war. Wir hören das grünäugige Monster des Kapitalismus im Keller lachen. Kann man nicht sagen, dass jetzt so übermäßig viele mitgemacht hätten. Aber das war eigentümlicherweise auch nicht das Ziel des Mönchs. Sicherlich, er hatte eine Art Medienimperium aufgebaut und jettete von Klöstern in Frankreich zu weiteren in Hong Kong und den USA. Er war Kolumnist der »Times of India« und es gab noch einige weitere Hinweise auf etwas, das gemeinhin »Erfolg« genannt wird. Thích Nhất Hạnhs Denken entwickelte sich aber in eine subtilere Richtung. Er begann »Mutter Erde« als eine Art sich selbst heilende Schöpfergottheit (schlechter Ausdruck, schließlich sind Buddhisten Atheisten) anzusehen, die sich durch Krisen wandelt und besser wird. Deshalb verwandelt sich die individuelle Manifestation spirituellen Wissens (möglicherweise) allmählich in ein Sammelwesen, dessen Vorschein sich heute bereits im »Sangha« erleben lässt. Der Gemeinschaft »achtsamer Menschen«.
Klingt ganz gut und wurde lustvoll auf die eigenen Bedürfnisse runterreduziert. Tunichtgute wie Steve Jobs und andere Giganten der kalifornischen Tech-Industrie, die erfolgreich jene Teile des Hippiegeistes und der Counterculture aufgesaugt hatten, die ihnen behagten, hängten sich im »Sangha« gerne ein. Weitgehend ergebnislos. Der Tipp, »Zeit nicht als Geld, sondern Zeit als Leben und als Liebe« zu betrachten, führte sicherlich zu engagiertem Kopfnicken. Die Entwicklung technischer Geräte, die Menschen zur Besinnung anleiten und im Sinne eines »Sangha« zusammenführen, darf als »in den Kinderschuhen steckend« bezeichnet werden. Der Mönch machte bei dem Kram mit, verblieb aber skeptisch. Die Tech-Elite fürchtete hingegen die schlechte Publicity, weil es gegenüber der Shareholder*innen leicht aussehen konnte, als habe man neuerdings einen leichten Sockenschuss.
Eine bemerkenswerte Ahnung
Interviews gab Thích Nhất Hạnh später nur mehr Journalist*innen, die sich der Mindfulness öffneten und zeitweilig in einem seiner Klöster lebten. Eine schlechtere Publicity-Idee ist kosmisch kaum unmöglich. So wanderte der Mönch behutsam aus der Wahrnehmung einer breiteren Öffentlichkeit heraus. Der Klimawandel bereitete ihm zunehmend Sorge und sein grundsätzlicher Aufruf zum Einwirken auf Produzent*innen durch kritische Konsumation erschien ihm selbst zunehmend aussichtslos. Dies mündete in einer düsteren Spekulation. Der Fortbestand der menschlichen Zivilisation sei im Grunde ausgeschlossen. Die Menschen wüssten dies, verdrängten es aber wie den Schmerz über die eigene Sterblichkeit. Es mag noch hundert Jahre dauern, aber aus der Nummer mit dem Raubbau an dem Planeten kommen wir nicht mehr raus. Dies ist nun – überraschenderweise – nicht so schlimm, weil sich die Erde selbst erneuern wird und neue Wesen schaffen wird. Mag es auch hundert Millionen Jahre dauern. Der Planet hat Zeit zur Erneuerung und er hat die schöpferische Kraft dazu.
Diese Spekulation ist frei von verblödeter Lust am Desaster, die man (vor der Pandemie, als es noch ein Nachtleben gab) zuweilen von angesoffenen Mitmenschen an der Theke ausgebreitet bekam. Kurzversion: »Die Menschen san im Oasch – eh supa, olles Trottln.« Thích Nhất Hạnh Lehre war hingegen von einer tiefen Liebe zu seinen Mitmenschen durchflutet, die frei von jeder Häme über den selbstverschuldeten Untergang im Sterben und in der Wiedergeburt notwendige Entwicklungsstufen sieht. Wir sind vielleicht ein Stäubchen, eine Zelle, ein Atom des neuen Buddha (f*m) als Sammelwesen. Alles wird vergehen, aber diese Spuren werden niemals verloren sein, weil der Kosmos was gut ist, nicht einfach verwirft. Tagtäglich kann jede*r einen, wenn auch nur winzigen, Beitrag liefern. Niemand ist perfekt und sollte es auch nicht versuchen zu sein, aber es ist eben hilfreich, für alle zu versuchen, gut zu sein. Zumindest das.