Vanitas-Köpfe (Memento Mori)
Deutsch, 1. Hälfte 17. Jahrhundert
Elfenbein 
© KHM-Museumsverband
Vanitas-Köpfe (Memento Mori)
Deutsch, 1. Hälfte 17. Jahrhundert
Elfenbein 
© KHM-Museumsverband

The Fear of Transformation

Warum die Nacht Angst machen kann und warum sie es trotzdem wert ist, in ihr wach zu bleiben. Die Lange Nacht des Kunsthistorischen Museums am 26. November 2016 wurde von einer grandiosen Rede des britischen Künstlers Edmund de Waal gekrönt. Ein Nachtrag.

Der britische Keramikkünstler Edmund de Waal redet aufgeregt und enthusiastisch wie ein Prediger, oder eher wie ein Antiprediger – ähnlich Diamanda Galas in ihrem Gebetssong »The Litanies of Satan«, einer Vertonung eines Gedichtes von Baudelaire. »In der Nacht sind wir außer Kontrolle«, sagt de Waal und spricht über »Apokalypse-Denken aus der Vergangenheit heraus: Die Zombies wachen auf.« Es ist Lange Nacht der Museen in Wien und bereits zwei Uhr früh im Kunsthistorischen Museum.

»Es gibt Helden, wohin man auch schaut, das Kunsthistorische Museum ist eine andere Art von Heldenplatz«, beschreibt der lange, dünne Engländer seinen ersten Eindruck vom Museum. Aber Saal 8 wäre in einen »pool of light« getaucht, »as if you were at sea«. Am Eingang seiner Ausstellung steht ein Künstlerbuch von Albrecht Dürer, aufgeschlagen bei dem Bild »Traumgesicht«: »Mein Körper zitterte, als ich dieses Bild fand. Es zeigt das Ende der Welt, Wassermassen kommen vom Himmel herunter. Dies ist eine Landschaft aus der Kindheit, man fühlt sich allein, ohne Kontrolle und Macht.« Wenn das Buch am Ende der Ausstellung geschlossen und verwahrt werde, würde wahrscheinlich nie wieder jemand diese eine Seite würdigen.

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Edmund de Waal © KHM-Museumsverband

Schattenbilder und Nachtkunst

Jede volle Stunde hält jemand eine Rede zur ausgestellten Kunst: Tuschemalerei trage den Schatten in sich, Lackschalen und wie bei diesen der Schatten fällt – Edmund de Waal hat sich bemüht, die Schatten einzufangen. Ob man im Schatten mehr sieht, ist die Frage. »Der Vollmond verschwindet im Schatten der Nacht« ist der Wortlaut zu einem Bild und genau dieser Moment würde oft in Tuschezeichnungen gezeigt. Ein Kunsthistoriker, der zu de Waals Kunst spricht, zeigt auf ein altes chinesisches Bild. Vollmond, Schatten und Nacht. Zwischen den Kunstbesprechungen kann man in das Café gehen, in dem die Kellner schon herumschleifen wie auf Schlittschuhen. Ein blinder Museumsbesucher freut sich sehr über die Beschreibungen von Bildern in Worten. Eine Schriftstellerin spricht als nächste über die Nacht. »Was uns am meisten ängstigt, ist der unbekannte Schrecken«, behauptet sie, »die Alarmsignale der Gefahr«. Kafka schrieb »Das Urteil« in einer einzigen Nacht! »Die Kunst bringt uns durch die Nacht, sie gibt auch in der Nacht Licht.« Dann redet sie noch von »Mesmerismus«, der »Menschenbesetzung« von anno dazumal, und über das »dritte Auge, das nach innen blickt«, um »Schrecken abzuwehren«. Ängste würden gebannt, wenn man dem Schrecken Gestalt verleihe.

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Schreiender Mann Trophîme Bigot (Arles 1597-1650 Avignon) Um 1615/20 © KHM-Museumsverband

 

Schützende Ûbergangsobjekte

»One thing becomes another«, tönt de Waal von seinem Stehtisch im Café herunter, »we see the fear of transformation during the night. I hear Freud, to turn away the evil eye. We know that people wish us ill.« Der Künstler, dessen Familie großteils in der Shoah ermordet wurde, hat ein erstarrtes Kindergesicht, das ständiges Erstaunen ausdrückt. Er meint, dass uns Objekte beschützen könnten. Sicher hat er auch den Kinderpsychiater Donald Winnicott gelesen, berühmt für seine Schriften über die Ûbergangsobjekte für das Baby, um Abstand von Mutter und Abhängigkeit zu gewinnen.

Winnicott beaufsichtigte die »Evakuierungsprogramme« für Kinder während der Bombenangriffe auf London. »In der Nacht werden wir beobachtet«, sagt de Waal und erwähnt das Auge auf einem Bild, das ihn quer durch das Museum verfolgen würde. Spooky. »In der Nacht sind wir außer Kontrolle. You hear voices.« Im runden Café des Kunsthistorischen Museums gibt es schwarze Sterne, die in den weißen Keramikboden eingebaut sind. »We are all exposed«, sagt de Waal, »found wanting by the objects and images«. Als ob uns die Dinge anschauen würden. »We come here to be exposed. This place is full of voices.« Dann geht es noch um die »Walpurgisnacht« von Karl Kraus. Anschließend kommt der Höhepunkt der Rede – nach all den Ausdrücken und Ausbrüchen zum Thema nächtliche Angst und Panik mit einem erstaunten Lächeln vorgebracht: »It is worth staying awake in the night!« »Hui«, sagt eine Frau.

»Edmund de Waal trifft Albrecht Dürer, During the Night«

Kunsthistorisches Museum Wien, 11.10.2016 bis 29.01.2017

www.khm.at

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