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Tanzen: das Volk oder die Verhältnisse?

»Der grundlegend tautologische Charakter des Spektakels entsteht aus der einfachen Tatsache, daß seine Mittel zugleich auch sein Zweck sind. Im Reich der modernen Passivität ist das Spektakel die Sonne, die nie untergeht. Es bedeckt die gesamte Erdoberfläche und erstrahlt endlos zu seinem eigenen Ruhm.«(1)

Seit dem Amtsantritt der blau-schwarzen Regierung gibt es, wie wir alle wissen, eine »Widerstandsbewegung« und diese ist bunt. Neben ernsthafter radikaler Kritik, Europaflaggen und der »Zivilgesellschaft« ist den widerständigen Zusammenhängen des letzten Jahres auch eine (pop-)kulturelle Bewegung erwachsen. Neben zahlreichen filmischen Aktivitäten, Diskussionsveranstaltungen kulturpolitischer Natur etc. war vor allem die »Soundpolitisierung« via Volkstanz bzw. »Electronic Resistance«-Veranstaltungen augenfällig. Die angeblich unpolitische Wiener Musikszene artikulierte ihren Widerstand gegen die Regierung; anfänglich noch bei samstäglichen Musikprotestveranstaltungen, heutzutage bei unregelmäßigen Dj-Events und im Rahmen von Diskussionen und Clubs. Die Volkstanz-Veranstaltungen sind gut besucht und stellen – als dezidiert politische »Events« – einen gewissen Anziehungspunkt für Leute aus der »Szene« dar. Stellt diese Entwicklung eine ernsthafte radikale Politisierung subkultureller Zusammenhänge dar, oder handelt es sich bloß um eine kurzlebige Modeerscheinung innerhalb des Pop-Spektakels, eben einen Hype?

Protestiert wurde anfänglich vor allem gegen die Anwesenheit der FPÖ in der Regierung. Die Kritik an strukturellem Rassismus, Sexismus, Antisemitismus oder gar kapitalistischen Verwertungszusammenhängen blieben außen vor, bestenfalls handzahm. Erst in letzter Zeit tauchen in den Volkstanz-Diskussionen auch breitere politische Zusammenhänge auf. Auffällig ist aber, dass der eigene Kampfbegriff, jener der »Soundpolitisierung«, bei diesen Diskussionen fehlt. Was aber ist/will/heißt eigentlich »Soundpolitisierung«? Wird da der Sound politisiert? Die Politik »musikalisiert«? Auf der Homepage erfährt mensch näheres über die theoretischen Hintergründe populärkulturellen Widerstands.

Störfelder, Gnadenstöße, Aufgüsse

Wer sich von der Lektüre des halbseitigen Volkstanz-Manifestes von Rupert Weinzierl Erhellendes erwartet, wird – im wahrsten Sinne des Wortes – enttäuscht. Nach der Feststellung, dass gesellschaftliche Auseinandersetzungen sich nicht auf die Felder »Ökonomie« bzw. »Politik« beschränken (aha!), sondern auch auf »kulturellem und ideologischem Gebiet« stattfinden, kommt Weinzierl zum theoretischen Kernstück, welches der geneigten LeserInnenschaft nicht vorbehalten werden soll:
»Pop ist unser Feld, das wir mit Guerilla-Semiotik beackern, kritischer Hedonismus unsere Utopie, die wir den Realitätskonstrukten der Machthaber entgegenhalten. Unsere politischen Interventionen schaffen Terrains der Verstörung, in denen Subversion wieder möglich wird. Wir kommunizieren exzessiv, aufgezwungenen Realitätskonstrukten setzen wir hingegen Störfelder der Nicht-Kommunikation entgegen. Wir führen den Gnadenstoss gegen Kulturpessimismus, schale Adorno-Aufgüsse und linke Larmoyanz, verkoppeln Pop mit Widerstand und emanzipativen Forderungen, setzen auf Tempo, Hedonismen und Pop und nochmals Pop, um zu deterritorialisieren.«

Aha. Wer diesen Gnadenstoß überlebt, darf auch lamentieren, angesichts dieses schalen Deleuze-Baudrillard-Virilo-Goetz-Aufgusses; wir mutigen Cyber-NomadInnen nehmen schweigend zur Kenntnis und ziehen weiter, zu Oliver Machart’s Text »Was heißt Soundpolitisierung?«. Leider wird es dort auch nicht klarer, auch wenn uns Machart darüber aufklärt, dass die klassische Definition von »Aufklärung« von Kant stammt und nicht von Deleuze. Er kritisiert zwar die »Pop-ist-gleich-Politik-Apologeten (traditionell in Spex und Spex-Umfeld angesiedelt)«, substantielles zum Verhältnis Pop/Widerstand ist aber auch diesem Text nicht zu entlocken: Die Demo-Aktivität von Volkstanz wird zum »Schweigemarsch« mit »Soundtrack«, wogegen er sich richtet ist klar: »Weg mit der Regierung! Keine Koalition mit dem Rassismus!« Das wär’s dann aber auch und klar ist nichts.

Positiv sei erwähnt, dass die »Soundpolitisierung« auch zu kritischer Selbstreflexion in der Club-Szene geführt hat. So findet sich auf der Volkstanz-Homepage auch eine Kritik am Sexismus innerhalb der Wiener Club-Culture, wo auf Flyern von sich als »links« verstehenden Veranstaltern nackte Frauen als »Werbesujets«“ dienen, um die männlichen Besucher zu »motivieren«.(2) Auch ist Electric Indigo’s »female pressure«-Projekt ein wichtiger feministischer Ansatz in der immer noch männerdominierten Pop-Welt. Auf der »grundsätzlichen« theoretischen Ebene der Volkstanz.net-Theorie-Site regieren aber weiterhin die Männer.

Bleibt nach wie vor die Frage nach dem Wesen von »Soundpolitisierung« und nach dem Verhältnis von Pop und Politik bzw. Widerstand. Nach dem Abschied vieler PoptheoretikerInnen von kritischen, antikapitalistischen Standpunkten (siehe beispielsweise die traurige Entwicklung der britischen Cultural Studies) liefert im deutschsprachigen Raum v.a. die beim Mainzer Ventil-Verlag erscheinende Testcard-Serie popkritisches Material, im Folgenden möchte ich mich besonders auf das Buch »ton klang gewalt« des Testcard-Autors Roger Behrens beziehen.(3) Behrens steht in der Tradition der kritischen Theorie und wendet die »Kulturindustriethese« (von Horkheimer und Adorno in der »Dialektik der Aufklärung« erstmals entwickelt) auf die heutige (Pop)Musik an, ohne jedoch die kulturpessimistischen Vorurteile Adornos gegenüber aller Populärkultur zu wiederholen. Doch nun auf zu »schalen Aufgüssen« und »linker Larmoyanz«.

Der Ausgangspunkt für Behrens‘ Überlegungen ist die Warenförmigkeit von Pop. Dem totalisierenden kapitalistischen Verwertungszusammenhang kann nicht entkommen werden, jeder Glaube an »Autonomie« inmitten der Kulturindustrie muss zwangsweise zu einer Ästhetisierung gesellschaftlicher Zusammenhänge und somit zum Verkennen des gesellschaftlichen Phänomens »Pop« führen. Selbst die Abweichung von der ästhetischen Norm wird heutzutage von der Musikindustrie locker integriert. Die Subversionsmodelle der 80er-Jahre müssen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene als gescheitert angesehen werden. Damals setzte die »Poplinke« noch auf Strategien der Unterwanderung von Herrschaftszusammenhängen unter anderem durch »Überaffirmation« kapitalistischer Strukturen. Die damals errichteten »temporär autonomen Zonen« können heute nur mehr äußerst prekär aufrechterhalten werden (z.B. kommt es in letzter Zeit auch hierzulande immer öfter zu Zusammenstößen zwischen »illegalen« RaverInnen und der Polizei, was wahrhaftig meist zu »Deterritorialisierung« führt). »Alle Subversion des Pop kann nur als Subversion im Pop begriffen werden und niemals als transzendierende Kraft des Politischen.« Die Alternative: »Kulturrevolution«.(4)

Ebenfalls kritisch steht Behrens Modellen der Politisierung popkulturellen »Umraumes« gegenüber. Er sieht vielmehr die einzige Chance in einer Politisierung der Kunst (d.h. Musik) selbst. »Sofern es um eine Politisierung der subkulturellen Kunst geht, handelt ein solches Projekt wesentlich von der Musik«.(5) Ausgehend von einer noch zu leistenden Materialästhetik (Behrens orientiert sich hiebei an Ernst Bloch’s Musikphilosophie) wäre mindestens eine Vorführung gesellschaftlicher Widersprüche in der Musik möglich. Es drängt sich die Frage auf, ob diese »orthodoxe« Herangehensweise dem zeitgenössischen Pop – als einer komplexen Form, in welcher zwar die Musik eine wichtige, bei weitem aber nicht die einzige Rolle spielt – gerecht wird. Herbert Marcuse würde kritisch bejahen: »Die Unvereinbarkeit der künstlerischen Form mit der wirklichen Form des Lebens kann als Hebel verwendet werden, um auf die Wirklichkeit das Licht zu werfen, das jene nicht absor
bieren kann, das Licht, das eventuell diese Wirklichkeit auflösen kann (obwohl solche Auflösung nicht mehr die Aufgabe der Kunst ist)
«.(6)

Zwischen Kulturrevolution, »Soundpolitisierung« und p.c.

Trotzdem erscheint ein (von Behrens verworfenes) Programm der »Politisierung popkultureller Umfelder« nicht gänzlich aussichtslos. Dazu würden neben einer klaren Abgrenzung von Rassismus, Sexismus und Antisemitismus in der Szene auch noch Formen von direkter Politisierung (Infotische, Filme, etc.) gehören, eine Reflexion des eigenen Elitarismus ohne Preisgabe politischer Grundsätze und last but not least eine Auseinandersetzung mit den (Re-)Produktionsbedingungen der Ware Pop selbst. Die Frage nach Arbeitsbedingungen, nach Verfügbarkeit und Eigentum von Produktionsmitteln wird selbst in pop-politischen Zusammenhängen kaum gestellt.

Obige Überlegungen würden einerseits die Entwicklung radikaler ästhetischer Formen nicht ausschließen und andererseits zumindest eine Art »Minimalprogramm« von »political correctness« für die Szene selbst erfordern. Als Klammer kann letztlich jedoch nur Kritik am kapitalistischen Verblendungszusammenhang dienen. In Zeiten wie diesen, in denen Shell bereits subkulturelle Partys sponsert und die Volkswagen-Soundfoundation sich der poplinken Szene bemächtigt, würde zumindest ein bisschen Nachdenken über den Kapitalismus wohl niemandem schaden. Immerhin wurden bei den Volkstanz-Diskussionen der letzten Periode ökonomische Zusammenhänge (WEF, Arbeitsbedingungen in »Sweatshops« etc.) verhandelt.

Doch so ehrenwert eine (Sound-)Politisierung der Szene auch ist, ohne die kritische Reflexion von Herrschaftsmechanismen, ohne Abschied von rein moralischer »Anti-FPÖ-Kritik« und ohne Anerkennung der Warenförmigkeit jeder Kunst bleibt »Soundpolitisierung« eine hohle Phrase und selbstgenügsame Gewissenserleichterung; oder, ums mit Behrens zu sagen: »Wenn es keine linke Bewegung gibt, ist am Pop sowieso nichts links zu drehen.«(7) Von dieser Bewegung (und ihrer Radikalität) hängt letztlich die politische Chance von Pop ab: »Subkulturen kritisieren ästhetisch den Kapitalismus allemal; ob es ihnen gelingt, den Kapitalismus praktisch zu kritisieren, entscheidet allerdings nicht die Theorie, wenngleich sie die Chancen auf solche Praxis verstärken kann[…]Ästhetische Kritik istpraktische Kritik oder sie ist belanglos.«(8)

Ob die praktizierte »Soundpolitisierung« tatsächlich eine Verstärkung radikaler Gesellschaftskritik ist, ist mehr als fraglich. Überprüfen kann mensch es u.a. am 7. Juli, da findet nämlich in Wien »free re:public« (nomen est omen!?) als Gegenveranstaltung zur Love-Parade statt. Vielleicht finden wir ja dort heraus, was »Soundpolitisierung« wirklich ist.Übrigens: »…wir befinden uns mitten in einem Ringkampf um kulturelle und politische Hegemonie«.(9)

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Ausgabe 3/2001 der Zeitschrift ContextXXI

1) Debord, Guy: Die Gesellschaft des Spektakels, § 13, Wien 1996, S. 10
2) siehe auch: Eismann, Sonja: Die Titte in der Clubkultur, in: nylon – Kunststoff zu Feminismus und Popkultur, Heft 3, Frühling 2001, S. 26
3) Behrens, Roger: ton klang gewalt, texte zu musik, gesellschaft und subkultur, Mainz 1998
4) ebd., S. 22 (Hervorhebungen im Originaltext)
5) ebd., S. 132
6) Marcuse, Herbert: Kunst und Politik im totalitären Zeitalter – Einige Bemerkungen zu Aragon; in: Nachgelassene Schriften 2, Kunst und Befreiung. Herausgegeben von Peter-Erwin Jansen, Lüneburg 2000, S. 65
7) Behrens, a.a.O., S. 21
8) ebd., S. 133
9) Schlusssatz aus Weinzierls Manifest inkl. Gramsci-Aufguss

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Text
Martin Birkner

Veröffentlichung
04.07.2001

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