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Spielerisch Grenzen überschreiten

Manu Delago hat sich innerhalb kürzester Zeit zu einem weltweit bekannten und gefeierten Hang-Spieler entwickelt und war mit Größen wie Björk auf Tour. Sein Werk ist äußerst vielfältig und nicht leicht einzuordnen. Im skug-Interview spricht er über die (Un-)Möglichkeit von völlig Neuem und davon, was man von anderen Künstlern lernen kann.

skug: Beim Anhören deines sehr vielfältigen Werkes habe ich mich gefragt, ob es für dich einen Unterschied macht, ob du dich in der klassischen Musik, im Pop, im Jazz aufhältst? Oder ist für dich von vorneherein alles eins?
Manu Delago:
Ich versuche, von möglichst vielen Quellen inspiriert zu werden. Wenn ich selbst auf Konzerte gehe, dann achte ich darauf, dass es möglichst verschiedene Konzerte sind. Andererseits mag ich auch Bands, die in ihrer Musik Stile mischen. Ich glaube, dass man dadurch am ehesten seine eigene Sache finden kann, wenn man sich von verschiedensten Quellen inspirieren lässt. Wenn man nur eine Richtung extrem viel hört, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass man zu imitieren beginnt. Ich denke nicht an Stile, sondern ich genieße die Abwechslung, sowohl als Sideman bei Projekten als auch bei meinen eigenen Bands.

Deiner Meinung sei es also erstrebenswert, ein Stilgemisch zu erzeugen? Die neue Platte ist ja relativ nahe dran, einiges auf den Punkt zu bringen, was du bisher gemacht hast.
Ich glaube schon, dass in meiner Musik relativ viel zusammenfließt. Aber ich mache mir keine Gedanken darüber, ob das eine Lied in diese und das andere in eine andere Richtung geht. Wenn man offen ist, dann passiert das auf ganz natürliche Weise. Was ich zum Beispiel bei Björk intensiv erlebt habe, war eine enorme Offenheit. Ich mag es generell, wenn Menschen musikalisch offen sind und in einem Konzert ganz verschiedene Phasen durchlebt werden. Ich war in London auf einem Konzert von Aurora, das ist ein junges Orchester. Die spielen an einem Abend ein barockes Werk, dann ein Werk aus dem 20. Jahrhundert, dann wiederum ein Beatles-Stück. Das mag ich.

Man kann dabei auch an die jüngere Generation im Jazz denken, z. B. Vijay Iyer. Dort ist die Haltung ähnlich. Alles ist Material, alles ist benutzbar, auch Popmusik.
Ich glaube, man muss diese Offenheit auch haben, denn je weiter die Musikgeschichte voranschreitet, desto mehr hat es auch schon einmal gegeben und desto schwieriger wird es, etwas Neues zu finden, also desto radikaler muss man auch sein. Gerade im 20. Jahrhundert sind viele radikale Sachen passiert. Heute befinden wir uns in einer Phase, in der es zumindest keine musikalischen Tabus mehr gibt.

Muss man heute davon ausgehen, dass es schon alles gegeben hat und man nur mehr zitiert? Sind nur die Mischung und die Kombination von Stilen neu, oder gibt es noch so etwas wie »Avantgarde«?
Realistisch gesehen ist es eher das Neumischen. Es geht auch darum, wie man mischt, wie weit man ausholt. Es ist ein Unterschied, ob man Modern Jazz mit Free Jazz mixt oder ob man Zillertaler Volksmusik mit Dubstep kombiniert. Es gibt so viele mögliche Kombinationen. Aus diesen ergeben sich Sachen, die auch neu sind und so bezeichnet werden können. Aber es gibt auch Leute, die sagen, sie machen etwas Neues. Ich jedoch glaube: es basiert immer auf Kombinationen.

Wenn man z. B. »exotische« Skalen und Muster in die Musik integriert, könnte damit etwas Neues entstehen?
Ich habe in London relativ viel Kontakt mit indischer Musik und der indischen Szene. Natürlich wird man davon inspiriert, und ich versuche daher auch mit meinem Instrument, der Hang, auf diese Skalen und Klänge zu reagieren. Aber letztens ist das dann eine Kombination, eine Mischung, die so zwar neu klingt, aber man kann ja erklären, woher diese Musik kommt.

Gibt es so etwas wie »Respektlosigkeit« im Umgang mit »exotischen« Skalen und Traditionen?

handmade_presspic3.jpgEs gibt aus meiner Sicht die Möglichkeit, MusikerInnen aus verschiedenen Genres und Kulturen zusammenzubringen. Oder man kann selbst versuchen, sich von verschiedenen Kulturen inspirieren zu lassen. Dann muss man sich auch manchmal anhören, dass man es nicht so gut macht, etwa wenn man indische Tabla-Rhythmen spielt.

Kannst du mir etwas über deine Rolle als Komponist erzählen? Kannst du dir vorstellen, in Zukunft nur mehr zu komponieren?

Ich denke, das hängt auch mit dem Alter zusammen, also wenn man vielleicht nicht mehr so viel reisen will. Das könnte auch für mich einmal zutreffen. Im Moment gefällt es mir aber so, wie es ist, und ich bin ich gerne viel unterwegs. Meine Rolle als Komponist hat sich auch deshalb ergeben, weil es keine Komponisten fürs Hang gegeben hat. Das hat sich dann weiterentwickelt, von kleineren Besetzungen zum Komponieren für Orchester.

Was beeinflusst dich? Sind es auch »Haltungen« von Künstlern, z. B. von Björk, zur Musik, zur Welt, zum Material?
Ja, es sind zwei Dinge, die mich da beeinflussen und faszinieren: zum einen ihre Liebe zum Extrem – und zwar egal in welche Richtung. Björk liebt es extrem laut oder extrem leise, extrem viel oder extrem wenig oder extrem schnell oder extrem langsam. Ich finde, man kann sich dann etwas davon nehmen und seine eigene Sache daraus formen. Zum anderen bewundere ich ihren Gesamtüberblick und wie aufmerksam sie ist, gegenüber Licht, Videos, Sounds. … b Bis dahin war ich sehr auf die Musik fixiert und darauf, wie gespielt wird, … d Durch sie erst wurden mir die Augen für das Gesamtkunstwerk geöffnet.

Ich empfinde auch, dass Björk eine sehr wache Person ist. Wie jemand, der durch die Stadt geht und Geräusche »aufsaugt« und viel wahrnimmt. Mit Haltung meine ich auch das. Man nimmt Geräusche und die Welt um einen auf eine gewisse Weise bewusst und wach wahr. Daher kommt dann auch das Bedürfnis, Geräusche in die Musik einbauen zu wollen.
Ich selbst verwende ja auch relativ viel Alltagsgeräusche und Alltagsgegenstände als Geräuschquellen in meiner Musik. Etwa Bleistifte oder Musik für Zahnbürsten oder Aufziehspielzeug. Es bringt Abwechslung in das Spiel mit den »richtigen«« Instrumenten. Auch auf der Bühne ist das sehr unterhaltsam für mich.

Ist es dann aber eher nur ein Gag, oder gibt es auch eine »pädagogische« Ebene, also die Leute darauf hinzuweisen, was sich zum Musikmachen alles verwenden lässt? Und somit auch eine Aufforderung, genauer hinzuhören und genauer und anders wahrzunehmen.
Ich mag es nicht, wenn es zu abstrakt wird, mir ist ein spielerischer Ansatz lieber. Man könnte es auch als kindlich und forschend bezeichnen. Es ist ganz klar, dass ein Umgang mit diesen Gegenständen nicht auf dem gleichen technischen Niveau wie das Spiel mit der Hang stattfinden kann, mit der ich mich jahrelang beschäftigt habe.

Man könnte also sagen, dass das Spielerische auch ein schöner Ausgleich ist, eine Balance zu den technischen Momenten in der Musik.
Ja, so kann man das sehen. Es kann auch ganz einfach eine Auflockerung sein.

Noch kurz zur neuen Platte. Ist sie die Verwirklichung der »perfekten Platte« für dich? Ist sie eine Art Endpunkt?
Nein, vielmehr ein Anfangspunkt. Ich habe ja schon sehr viele CDs vorher veröffentlicht, diese waren aber immer eher Dokumentationen meiner Konzerte. Entweder haben wir direkt ein Live-Konzert aufgenommen oder sind danach ins Studio gegangen. Es handelte sich jedenfalls immer um Musik, die mehrere Musiker in einem Raum gemeinsam spielen können. Das war bei »Bigger Than Home« nicht mehr der Fall. Ich wollte ein Album machen, das als Album funktioniert, und nicht daran denken, wie es live funktioniert und wie viele MusikerInnen man dann live brauchen würde. Man kann die Platte auf alle Fälle nicht eins zu eins live spielen. Es war sehr spannend, die Sachen jetzt live zu arrangieren. Ich habe lange an der Platte gearbeitet, und es war ein wichtiges Kapitel für mich. Ich bin mit dem Ergebnis jedenfalls sehr glücklich.


Manu Delago: »Bigger Than Home« (Session Work Records/Lotus)


MANU DELAGO ON TOUR
»HANDMADE«

Isa Kurz – vocals, piano & violin
Philipp Moll – bass, synth & vocals
Chris Norz – drums, FX & light
Manu Delago -hang & drums

26.09.13 / La Canteen, Bristol (UK)
27.09.13 / Barrel House Ballroom, Totnes (UK)
29.09.13 / Richmix, London (UK)
30.09.13 / Komedia, Brighton (UK)
01.10.13 / La Scene Bastille, Paris (F)
03.10.13 / Suedpol, Lucerne (CH)
05.10.13 / Bachschmiede, Wals/Salzburg (A)
06.10.13 / Schlachthof, Wels
07.10.13 / Roter Salon, Berlin (D)
08.10.13 / WUK, Wien
12.10.13/ Stadtmuseum, Siegburg/Bonn (GER)
19.12.13 / Feinkost Lampe, Hannover
20.12.13 /Milla Club, München (+DJ Set)
21.12.13 / Franz Mehlhose, Erfurt
22.12.13 / Komma, Wörgl

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