Den Abend leitet die in Berlin ansässige Marta de Pascalis ein. Wie hinter einem übergroßen Schulpult sitzt sie da, in langem Kittel, und beginnt ihr Set mit einem angenehmen, sehr leisen Summen, das unaufmerksame Murmeln im Hintergrund kaum übertönend. Es wird lauter und ein Klingen wie beim Reiben an einem übergroßen Champagnerglas ertönt. Langsam perlt es, die Bläschen steigen auf aus einer ins Blau getauchten Tiefe, prickeln und leuchten wie Sterne, die sich wiederum im Schaumwein spiegeln. Leichte Wellenbewegungen entstehen.
Die ersten Leute holen ihre Operngläser heraus: Welchen Knopf hat sie denn da gedrückt? Neben ihrem andächtigen Warten flicht sie schaurige Synth-Flächen in den Sound, ungeachtet etwaiger Störgeräusche durch eine offensichtlich defekte Box. Abwarten, mit aufeinandergelegten Händen. Die Lautstärke steigt und die Tiefe und Heftigkeit wird immer krasser spürbar. Das Glas ist mittlerweile leer und sein Inhalt schwebt durch den Raum wie Sternenstaub, der sich in den Ohren festsetzt und anregend entspannt. Wer vorher noch müde war, ist jetzt hellwach. Was de Pascalis hier veranstaltet, ist schönster Ambient, lieblich wie der von Harold Budd, der progressiv die Berliner Schule der Elektronik (Tangerine Dream z. B.) wiederaufleben lässt. Wer nicht an Engel glaubt, sollte sich die Chöre anhören, die da durch die Melodien schwirren. Erster Höhepunkt von zweien. Und schwupp ist sie von der Bühne.
Die Bühne für Basinski und English
Was für ein toller Mensch er ist. Wer sich nur mit seiner mitunter äußerst düsteren Musik beschäftigt hat, wird von der Erscheinung William Basinski angenehmst überrascht. Während Lawrence English bei Betreten der Bühne höflich den Hut abnimmt, bedankt sich Basinski erstmal beim Team des Berliner HAU für die fantastische Ausstattung und alles. Und meint: »Everybody make yourself comfy, get next to your lovers, because we’re gonna go through the woods. I think you all know what I’m talking about.«
Toll. Und hinter ihnen leuchtet der Wald an einer riesigen Leinwand. In den geht es jetzt auch. Während Basinski also mit seinen gewohnt brillanten Loops für die gewünschte Waldatmosphäre sorgt, forciert English die Pfade, die sie einschlagen werden. Doch die beiden machen nochmal allen klar, dass ein Waldspaziergang sexy sein kann. Machen wir uns nichts vor, denkt sich Basinski wohl, wenn man beim Auftritt schon nur still rumsteht, dann sollte man dabei auch gefälligst richtig cool und sexy aussehen. William Basinksi ist jemand, der das kann. Während drumherum die düsteren Sounds voranpreschen und dronen, während English sich leicht wippend hin und her bewegt, versucht Basinski gar nicht erst, seinem Tun, das sichtbar lediglich aus kleinen Handbewegungen besteht, besonderen Ausdruck zu verleihen. Seine spärlichen Bewegungen werden nur vom unregelmäßigen Nippen am Wasserglas und Zurechtrücken der Brille unterbrochen.
Beim Ausflug durch den Zauberwald
Er steht quasi symbolisch da, wie um zu zeigen: Lassen wir die Musik mit uns geschehen, wir können eh nicht viel mehr tun, als zuzuhören und zu schauen, was sie mit uns macht, wohin sie uns treibt. Beobachten wir und sehen dabei wenigstens richtig gut aus. Er selbst, Basinski, ist dabei so etwas wie ein Avatar. Vor dem Hintergrund aus Wäldern, die längst nicht mehr nur aus »echten Bäumen« bestehen, sondern schon richtig spacig werden, spielen die beiden ihre Musik. Das sind langsame, äußerst einfache, gediegene Drone-Kompositionen, wie sie am 2018er-Kollab-Album »Selva Oscura« zu hören sind. Für Abwechslung sorgt vor allem Lawrence English, der noch ein futzi-bissi weniger minimalistisch ist als sein Kollege und Field-Recordings einspeist, die Waldhornklang, Vogelzwitschern und ein Stapfen durch das Laub durch den futuristischen Forst jagen.
Den beiden Lichtgestalten zuzuschauen ist schon witzig, ähnlich den Männern von Kraftwerk vor Ewigkeiten, doch hochaktuell, sind sie wie Stellvertreter der Zuhörer*innen im Publikum. Nicht falsch zu verstehen, ihre Arbeit ist wahnsinnig gut und kreativ. Doch davon ist nicht viel zu sehen, ein Großteil entstand wohl schon im Studio, die Klänge, die erzeugt werden, entstehen durch minimalste Bewegungen ihrer Finger. Einen Teil der Arbeit machen ihre Computer und was man dann zu sehen bekommt, gleicht eher einer Performance als einem Konzert. Es ist schon ganz besonders und man kommt nicht umhin, sich Gedanken zu machen über den Prozess des Komponierens, des Live-Spielens und die Künstler selbst. Und Basinski, hinter seiner silberglänzenden Sonnenbrille, schaut vielleicht auch immer wieder aufs Publikum, wie dieses gleichzeitig ihn anschaut. Am Ende nimmt Basinski sein Band aus der Tape-Maschine, steckt es in ein Gefäß, grüßt lieb und verlässt mit seinem Kumpan die Bühne. Was für eine Vorstellung!
Links:
http://www.martadepascalis.com/
https://www.lawrenceenglish.com/
http://www.mmlxii.com/