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Nicolas Jaar

»Space Is Only Noise«

Circus Company

Wieder so ein »Wunderkind«, ein »Genie« von eigenen Gnaden, dem die Bürde es jetzt endlich ganz anders und neu zu machen übertragen wird. Dabei ist der 21-jährige New Yorker, dem sein Vater, der Documenta- und Konzeptkünstler Alfredo Jaar, gerne Musik zwischen Erik Satie (schwirrt hier immer wieder als Schatten von Brian Eno durch die Tracks) und Keith Jarrett (wo dann die Probleme anfangen) eigentlich eine gespaltene Persönlichkeit, die eher sehr strikt zwischen Edits (nicht nur Michael Jackson, sondern auch Grateful Dead), Maxis und »dem Album« unterscheidet. Denn so toll seine meist kostenlos im Netz zu findenden Arbeiten sind, so beflissen (wenn auch überhaupt nicht verbissen) kommt sein Album als kontemplative Konzeptarbeit der innerlichen Einkehr und der Weltabgeschiedenheit zwecks Suche nach der eigenen Befindlichkeit daher. Zwar aufgelockert durch Supertracks wie »Space Is Only Noise If You Can See«, wo Rockabilly und Dub in Echos ersaufen als hätten Suicide Geburtstag, oder dem zwingenden, knapp an einer allzu langen TripHop-Nacht mit Burial & Godard vorbeischrammenden »I Got A Woman« und in den besten Momenten durchaus an DJ Shadow (oder auch Funki Porcini) erinnernd, bleibt im Endeffekt doch vor allem das beinahe omnipräsente Meeresrauschen im Ohr hängen. Jaar ist dabei zwar nie so clubabgewandt wie James Blake, aber es geht schon in Richtung Sitzdisco (und zwar nicht nachdem Abgetanzt wurde, sondern als Alternative dazu). Seine verlangsamten Housetracks kümmern sich wenig um Minimal oder Deephouse (dazu fehlt ihnen vor allem auch jene roughness aus der etwa Theo Parrish gerade bei den schlampigsten Cuts & Edits seine Energie und Materialästhetik zieht). Aber diese Musik schaut sich um, findet leere Flächen, besetzt Terrains und lässt sich deshalb auch nicht so einfach hochloben oder verrei&szligen wie es scheinen mag. Eher geht es um Auslotungen wie sie auch Burial bei seinen Arbeiten mit Four Tet, Thom Yorke und Jamie Woon praktiziert. Den Glauben Musik machen zu können, die jenseits von Kategorien und Grenzen passiert, wollen wir Nicolas Jaar dabei gerne noch kurz lassen. Auch ob es sich hierbei erneut um ein Anzeichen davon handelt, dass TripHop wieder vor der Clubtür steht, sei noch dahingestellt. Problematischer ist etwas anderes. Nämlich von einem vergleichenden Literaturwissenschaftler zu hören, dass es ihm um »ehrliche Musik«, um den »Herzschlag des Menschen« und darum geht, seinen »persönlichen, inneren Raum zu finden und dort Musik rauszuhören«. Solche Positionen häufen sich in letzter Zeit ja gerade bei jungen, mit Elektronik und Computern Musik machenden Acts. Musikmaschinen zu Gefühlsmaschinen scheint die Losung, Klaviere und Gitarren kommen auch wieder, vielleicht wird ja auch wieder mit der Hand geschrieben als mit der Tastatur. Und da bekommt die Rede vom »Wunderkind« und dem »Genie«, also dem autonom aus sich schaffenden Subjekt ja auch ihre ideologische Komponente: es geht um ein »Ich« als selbst gemachter Marke, als dynamisches, flexibles Aushängebild dessen, was »Creativity« unter neoliberalen Bedingungen und unter Rückbezug auf bürgerliche Vorstellungen von »KünstlerInnentum« bedeutet. Das muss jetzt gar nicht alles auf Acts wie Jaar (oder eben Blake) zutreffen, und es ist auch der Musik zum Glück nicht immer direkt anzuhören, aber das sich hier Probleme manifestieren, sollte auch klar sein. Denn eigentlich war das mit den Maschinen, den Computern, der Elektronik und Pop ja mal ganz anders gemeint. Vielleicht braucht es aber auch einfach nur das Revival des klassischen Synth-Duos mit Diva vorne und Wie-hei&szligt der/die-nochmal hinten.

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